Pessimistischer Verdi

Simon Boccanegra

"Simon Boccanegra" ist pessimistischer Verdi, wie er wohl in keinen Galakonzerten auftauchen wird. Zu erleben ist mit dieser Oper, was Menschen einander alles antun - und dass die Mächtigen auch nicht glücklich werden. Ö1 übertrug live aus der Wiener Staatsoper.

Giuseppe Verdis "Simon Boccanegra" ist kein Stück, das in Galakonzerten oft auftaucht, wenn Soprane und Tenöre strahlen wollen. Es ist pessimistischer Verdi, der vorzeigt, was Menschen einander alles antun - und dass die Mächtigen auch nicht glücklich werden. Den Hass des starren Fiesco, des Anführers der Adelspartei, wird Boccanegra, der Plebejer-Doge der Stadtrepublik Genua, die ganzen 25 Jahre, über die sich die Opernhandlung spannt, nicht los.

Fädenzieher im Hintergrund werden zu zähnefletschenden Gegnern, sobald man ihnen einen Wunsch abschlägt - Paolo Albiani, der Boccanegra einst auf den Dogensessel gehievt hat, wird ihn am Ende vergiften. Das einzige Glück des alternden Regenten ist seine Tochter, die er nach einem halben Leben wiederfindet: Die Mutter hat den Druck nicht ertragen und ist in den Tod gegangen.

An der Schwelle zum "Alterswerk"

"Simon Boccanegra", dieses Altmännerstück der düsteren Klangfarben, nimmt den Faden von Verdis früher Dogenoper "I due Foscari" von 1844 wieder auf, ist - mit dem Uraufführungsjahr der Erstfassung 1857 - "mittlerer" Verdi und Entstehungs-Nachbar von "Les Vepres Siciliennes" und "Un ballo in maschera", zugleich aber - in Form der bühnenüblichen Revision von 1881 - der Beginn von Verdis Alterswerk.

Giuseppe Verdi und Arrigo Boito

Erst auf hartnäckiges Drängen seines Verlegers Giulio Ricordi, der nach "Aida" seit fast einem Jahrzehnt keine neue Oper von Verdi mehr erhalten hatte, ließ sich der Komponist zu dieser Neubearbeitung einer Oper herab, die er längst abgeschrieben hatte. Sie spannte ihn erstmals mit Arrigo Boito zusammen, dem vom Saulus zum Paulus gewandelten früheren Verdi-Gegner, "scapigliatura"-Aktivisten und Multitalent, dessen eigene musikalische Ambitionen (im Anschluss an "Mefistofele") bald mehr und mehr zugunsten der Librettisten-Arbeit für Verdi in den Hintergrund traten. Ricordis Kalkül ging perfekt auf und bescherte seinem Verlag später das "Schokoladenprojekt" (so wurde, geheimniskrämerisch, "Otello" im Werkstatt-Jargon von Verdi und Boito genannt) und den "Dickwanst" (dem gemeinsamen opus summum "Falstaff").

Giuseppe Verdi seinerseits, der schon damit kokettiert hatte, sein Leben als Landwirt zu beschließen, erhielt, durch den jüngeren Kollaborateur angestachelt, die Chance, sich in seinen 70ern musikalisch noch einmal neu zu "erfinden", in zwei Opern, die sich von der von ihm selbst mitgeprägten Konvention weit in Richtung Neuland entfernen. Oder besser: in zweieinhalb Opern!

Wie ein Tisch, der wackelt

Die "Simon-Boccanegra"-Bearbeitung war der Test, ob Verdi und Boito miteinander "konnten". Sporadische Wiederaufführungen des "Ur"-"Boccanegra" von 1857 beweisen, dass auch dieses Stück mit seinem schleppenderen dramaturgischen Ablauf, den à la "Forza del destino" breit ausgemalten Hintergrundszenen zur eigentlichen Kern-Handlung lebensfähig ist - trotz der "Katastrophen"-Meldungen, die Verdi nach der Premiere im venezianischen Teatro La Fenice verbreitete.

Gemessen an der Effekt-Dramatik der 1870er Jahre wirkte es lasch. Plastisch formulierend Arrigo Boito: "Das Drama ist verdreht, es erscheint wie ein Tisch, der wackelt, man weiß nicht, auf welchem Bein, und so sehr man ihn auch aufzurichten sucht, er wackelt immer noch."

Unterschiedliche musikalische Sphären
Die Neufassung kam nicht ohne tiefe Einschnitte auch in die musikalische Substanz des älteren "Simon Boccanegra" aus, und dass dadurch der kantable Vokalstil des "mittleren" Verdi (in den Vater-Tochter-Szenen à la "Luisa Miller", à la "Rigoletto") auf Passagen trifft, in denen etwa der Intrigant Paolo schon Jago-Charakterzüge trägt, und auf ein wie mit dem Schwert dreinfahrendes Orchester, kann man als Schwäche, aber auch als Reiz des Werkes sehen.

Wenn Amelia, die Lichtgestalt der Oper, bei ihrer Auftrittsarie übers Meer blickt, illustriert der seit 1866 regelmäßig in einem Palazzo in Genua "überwinternde" Verdi das mit beinahe impressionistischem Klangfarben-Spiel. Und wenn Simone (nur gemeinsam mit dem Familiennamen ausgesprochen verkürzt sich sein Vorname auf "Simon") vor der Ratsversammlung sein Wort an "Plebe! Patrizi!" richtet, klingt es, als wären alle bisher von Verdi erdachten Bariton-Figuren in eine verschmolzen.

Wiederentdeckung durch Franz Werfel
"Adel! Plebejer! Genuas Volk, von Finsternis umfangen!" - so lautete diese Passage in der deutschen Übertragung des "Simon Boccanegra" durch Franz Werfel, die 1930 an der Wiener Staatsoper unter der musikalischen Leitung von Clemens Krauss dem Werk zu einem neuen, unerwarteten Popularitätsschub verhalf. Sogar in Italien selbst, bald auch an der Metropolitan Opera kam es zu "Boccanegra"-Neuinszenierungen.

Die jüngere Aufführungsgeschichte des Werkes ist eng verknüpft mit den Namen zweier Regisseure: Giorgio Strehler bescherte der Mailänder Scala "die" "Simon-Boccanegra"-Deutung der 1970er Jahre, eine Inszenierung, die später auch an der Wiener Staatsoper nachgespielt wurde. 2002 wurde sie im Haus am Ring durch die szenische Fassung eines anderen Theater-Magiers abgelöst: Peter Stein.

Hör-Tipp
Giuseppe Verdi: "Simon Boccanegra", Samstag, 27. September 2008, 19:30 Uhr

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Links
Wiener Staatsoper
Simon Boccanegra - Libretto