Porträt des Schriftstellers Ivan Ivanji

Keine Heimkehr nach Groß-B.

Er studierte Germanistik, dolmetschte für Staatschef Tito und übersetzte Günter Grass und Heinrich Böll ins Serbische. Als sich die Kommunisten zu serbischen Nationalisten wandelten, verließ Ivan Ivanji das Land und ging, fast 70-jährig, nach Wien.

Heute heißt die Stadt Zrenjanin - nach dem Partisanen Îarko Zrenjanin. Zrenjanin liegt 80 Kilometer nördlich von Belgrad im Banat, dem Teil der serbischen Vojvodina zwischen den Flüssen Theiss und Donau, nahe der rumänischen Grenze. Den Namen der Stadt kann man auf den Ortstafeln gleich fünf Mal lesen: auf Serbisch, Kroatisch, Ungarisch, Rumänisch und auf Slowakisch. All diese Sprachen werden heute in der Stadt gesprochen.

Vielsprachig erzogen

Auf Deutsch hieß die Stadt Groß-Betschkerek, und auf Deutsch wurde auch Ivan Ivanji erzogen, seine Eltern unterhielten sich miteinander ungarisch. "Man war Ende der 1930er Jahre im Banat mit sich und aller Welt zufrieden."

Das änderte sich jäh: Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht 1941 kamen seine Eltern als Juden ins KZ Sajmiste ("Messegelände") bei Belgrad, das vom österreichischen Lagerkommandanten Herbert Andorfer aus Goisern geleitet wurde.

Dolmetscher für Tito

Szenenwechsel. Nur mehr wenige Besucherinnen und Besucher kommen heute in das Gebäude im Belgrader Stadtteil Dedinje - ein früheres Glashaus für Rosen. Hier befindet sich das Grab des Josip Broz Tito: auf einem Marmorblock Name, Geburtsjahr, Todesjahr, sonst nichts. Ivan Ivanji hat Tito gut gekannt, hat für ihn gedolmetscht, wenn Bruno Kreisky, Willy Brandt oder Walter Ulbricht auf Staatsbesuch kamen. "Ich habe bei internationalen Begegnungen gesehen, wie ihn alle geschätzt haben, nicht nur wir Jugoslawen."

Mit dem Staat Titos - entstanden aus dem Partisanenkampf gegen die nationalsozialistische Besatzung, erstarkt im Konflikt mit Stalin, anerkannt in seiner Blockfreiheit - konnte sich Ivanji identifizieren: "Wenn man auf die Frage, woher man denn komme, antwortete: 'aus Jugoslawien', konnte man stolz die Nase heben."

In einem Raum neben der Grabstätte ist eine kleine Ausstellung untergebracht, darin eine Landkarte, auf der die Landmarks des früheren 22-Millionen-Staates zu sehen sind: vom Berg Triglav in Slowenien über die Kornfelder Slawoniens, die Brücke von Mostar bis hin zur Bucht von Kotor und zum Ohrid-See. "Wenn ich auf die Karte schaue, dann sehe ich, was für ein gutes, vollständiges Land das war. Und das liegt jetzt alles in Splittern."

Verarmtes Belgrad

Noch ein Szenenwechsel. Die Wohnung im Wiener 19. Bezirk ist klein. Hierher gekommen ist Ivan Ivanji gemeinsam mit seiner Frau Dragana, als sich in den 1990er Jahren die gewendeten Belgrader Kommunisten als serbische Nationalisten entpuppten.

In seinem Roman "Die Tänzerin und der Krieg" sagt die männliche Hauptfigur: "Was haben wir in Serbien noch zu suchen? Ich bin zu alt und zu feige, allein gegen das Übel zu kämpfen, außerdem ekle ich mich dort vor allem, vor der Opposition nicht weniger als vor dem Regime."

Als das Regime des Slobodan Milosevic dann gestürzt war, hat Ivanji Belgrad wieder besucht, lebt aber weiterhin die Hälfte des Jahres in Wien. "Belgrad ist eine schrecklich verarmte, elende Stadt. Eine kleine Schicht ist sehr reich geworden, wenn man aber aus dem Stadtzentrum hinausgeht, kann man Frauen in bürgerlicher Kleidung sehen, die in Mülltonnen wühlen - weil sie nicht wissen, wovon sie leben sollen."

Kein Zurück

Zurück nach Groß-Betschkerek. Wenn man mit Ivan Ivanji durch seine Geburtsstadt geht, merkt man seine Distanziertheit. Das Denkmal König Peter des Ersten ist wieder errichtet worden, das Gymnasium und die Apotheke stehen auch noch am alten Ort. Die König-Alexander-Straße, die in der Zwischenzeit in Adolf-Hitler-Straße und dann in Marschall-Tito-Straße umbenannt worden war, heißt heute wieder nach dem 1934 in Marseille ermordeten jugoslawischen König. Das Julius-Meinl-Geschäft gibt es nicht mehr, dafür eine Unicredit- und eine Raiffeisen-Bank.

In Ivan Ivanjis neuem Roman "Geister aus einer kleinen Stadt" misslingt dem Protagonisten die Heimkehr in die Kleinstadt. Und auch der Autor resümiert nüchtern: "Ich bin gekommen, um Betschkerek zu finden, es ist aber nur Zrenjanin."