Das Doppelleben des Jack Unterweger

Der Mann aus dem Fegefeuer

Der "Fall" Jack Unterweger dominierte Anfang der 1990er die Medien. Nun hat der in Österreich lebender US-amerikanischer Autor John Leake ein Buch darüber geschrieben, das sich durch intensive Recherche und glaubwürdige Stringenz auszeichnet.

Die Anklage lautete auf elf Morde, Frauenmorde in Österreich, Tschechien und in den USA. Der Schuldspruch der Geschworenen erfolgte in neun Fällen. Damit war ein monatelanger "Sensationsprozess" zu Ende, in dem erstmals auf österreichischem Boden Täterprofile und DNA-Analysen zum Einsatz gekommen waren.

Nach dem Urteil, in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1994, erhängte sich Jack Unterweger in seiner Zelle in der Justizanstalt Graz. Durch diesen Selbstmord ist das Urteil nie rechtskräftig geworden, das sei vorneweg festgehalten.

Schillernde Figur

Es ist weniger dieser Umstand, als die sozusagen "schillernde Biografie" des Delinquenten, die bis heute so manchen Journalisten, Künstler und Schriftsteller auf Trab hält. Im Mai vergangenen Jahres spielte der Hollywood-Star John Malkovich in einer von ihm selbst inszenierten Barockoper in Santa Monica, Los Angeles, den "Prostituiertenmörder Unterweger". Im nächsten Jahr, 2010, soll der österreichische Schauspieler Karl Markovics in einem Film von Elisabeth Scharang in die Rolle Unterwegers schlüpfen.

Und jetzt gibt es das Buch eines in Wien lebenden US-amerikanischen Autors namens John Leake, das sich durch intensive Recherche und glaubwürdige Stringenz auszeichnet. Überdies ist es auch höchst spannend zu lesen, "true crime" also, wie man das Genre aus den USA kennt.

Als resozialisiert entlassen

Zur Erinnerung: Jack, eigentlich Johann Unterweger, Kind einer Österreicherin und eines US-Besatzungssoldaten, aufgewachsen beim Großvater im kärntnerischen Wimitztal, wurde Mitte der 1970er Jahre als Frauenmörder zu lebenslänglicher Haft verurteilt und im niederösterreichischen Stein inhaftiert.

Dort begann seine schriftstellerische Karriere, mit einem herausragenden, autobiografisch gefärbten Buch namens "Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus". Es folgten Theaterstücke, wie das mehrmals aufgeführte "Endstation Zuchthaus", und weitere Bücher, daneben die Herausgabe einer Literaturzeitschrift namens "Wortbrücke". Nicht wenige Intellektuelle und Kulturschaffende - von Elfriede Jelinek bis Peter Huemer - haben sich mit dem Argument der "Resozialisierung" für die frühestmögliche Entlassung des Jack Unterweger, nach 15 Jahren Haft, stark gemacht. Einer davon - das sei der Vollständigkeit halber erwähnt - war auch ich. In jungen Jahren und mit einer ausuferndern Begeisterung für "Gefängnispoeten" der Marke Jean Genet und darunter.

Vier Jahre in Freiheit

Der Rest der Geschichte ist in groben Zügen bekannt: Jack Unterweger, nach seiner Entlassung 1990 televisonär im weißen Anzug, Schicki-Micki- und Promi-Allüren, bis zur polizeilichen Fahndung, der Flucht nach Miami und der Verhaftung ebendort.

Bekannt in groben Zügen. Denn diese vier Jahre - von der Entlassung aus Stein bis zum Urteil in Graz - hat John Leake auf mehr als 450 Seiten zu rekonstruieren versucht. Er hat Freundinnen Unterwegers ebenso befragt, wie Journalisten, Ankläger, Verteidiger und Kriminalbeamte in Österreich und in den USA. Das Bild, das da am Ende entsteht, ist ein stimmiges. Und der Grund- oder Hauptton in dieser biografisch-psychologischen Skizze des Jack Unterweger, die Leakes Buch ja auch ist, ist der einer überdurchschnittlichen Begabung, andere für sich und seine Zwecke vereinnahmen zu können.

In positivem Sinne könnte man diesen Charakterzug "Begeisterungsfähigkeit" nennen. Im vorliegenden Fall aber war es wohl die hohe Kunst der reinen Manipulation. Den "Charme des Psychopathen" nennt es jedenfalls der allzeit diagnosebereite Vorarlberger Psychiater Reinhard Haller, der als Gerichtssachverständiger beim Prozess dabei war und für John Leakes Buch ein Nachwort über Narzissmus, Sadismus, Paranoia und Psychopathologie am Beispiel des Jack Unterweger verfasst hat.

True crime erster Güte

Im englischen Original trägt das Buch übrigens den Titel "Entering Hades. The double life of a serial killer". Bei Residenz heißt es "Der Mann aus dem Fegefeuer. Das Doppelleben des Jack Unterweger", bezugnehmend auf den bereits erwähnten autobiografischen Roman Unterwegers. Der wird bleiben. Und vielleicht bleibt nach der Lektüre von Leakes Buch bei den Engagierten von damals auch etwas zurück, etwas zum Nachdenken, wie es so schön heißt.

Für alle anderen: spannender Lesestoff, akribisch recherchiert, perfekt zusammengefügt, gekonnt übersetzt - "true crime" erster Güte, also.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 11. Jänner 2009, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
John Leake, "Der Mann aus dem Fegefeuer. Das Doppelleben des Jack Unterweger", aus dem Englischen übersetzt von Clemens J. Setz, Residenz Verlag