Die unerträgliche Kompliziertheit des Seins

Vom Kohlenferdl, der Bundeskanzler war

"Dass einer, der aussieht wie ich, Minister werden kann, ist ein echtes Privileg", sagte Fred Sinowatz 1971. Als Privileg sah es der "Kohlenferdl", wie er in seiner Jugend genannt wurde, auch an, dass er es überhaupt so weit gebracht hatte.

Zuletzt hatte der voriges Jahr verstorbene Altbundeskanzler Fred Sinowatz zurückgezogen in seiner Heimat im Burgenland gelebt. Der Sozialdemokrat und promovierte Historiker widmete sich in seinem von randvollen Bücherregalen dominierten Haus in Neufeld historischen Studien. Die Politik verfolgte er nur mehr "aus der Distanz des Pensionisten". In die Tagespolitik wollte er sich nicht mehr einmischen: "Das entspricht meinem Prinzip, dass ich die aktuelle Politik ausklammere", sagte Sinowatz zu seinem 70. Geburtstag.

Zuletzt hatte Sinowatz doch wieder angesichts der SPÖ-Krise das Wort ergriffen und im Juni 2008 in einem "Standard"-Interview kritisiert: "Der SPÖ fehlt die Vision. Und die kommt nur durch Diskussion in der Partei." In Werner Faymann als SPÖ-Chef setzte Sinowatz Hoffnung: "Er ist ein Politiker unserer Zeit: sehr beweglich, sehr modern." Abgelehnt wurde von ihm eine weitere Ausgrenzung der FPÖ.

"Viel gelernt"

Sinowatz war lange Jahre Landespolitiker im Burgenland und trat 1971 als Unterrichtsminister in die Alleinregierung von Bundeskanzler Bruno Kreisky ein. 1983 folgte er dem nach dem Verlust der absoluten Mehrheit zurückgetretenen Kreisky als Regierungs- und wenig später auch als Parteichef nach. Bis Mitte Juni 1986 stand Sinowatz einer Kleinen Koalition mit der FPÖ unter Norbert Steger vor.

Nach der Bundespräsidentenwahl 1986, die am 8. Juni mit dem Sieg Kurt Waldheims endete, trat er als Kanzler, 1988 auch als SPÖ-Chef und Nationalratsabgeordneter zurück. Der Präsidentschaftswahlkampf 1986 überschattete Sinowatz' Leben über seine politische Karriere hinaus: Er wurde in der Causa "Waldheims braune Vergangenheit" rechtskräftig verurteilt. Im Noricum-Politikerprozess ebenfalls angeklagt, wurde er in dieser Causa hingegen freigesprochen. Später bezeichnete Sinowatz die Prozesse als Ereignisse, die schwierig gewesen seien. "Aber auch das möchte ich nicht missen, auch da habe ich viel gelernt."

Reformen des Schulwesens

Fred Sinowatz wurde am 5. Februar 1929 im burgenländischen Neufeld an der Leitha geboren. Er maturierte mit Vorzug am Gymnasium in Wiener Neustadt und promovierte 1953 an der Universität Wien zum Doktor der Philosophie. Seine Parteikarriere begann der "wirkliche Hofrat" der burgenländischen Landesregierung 1961 als SPÖ-Landesparteisekretär. Der erste Landtagswahlkampf, den Sinowatz organisierte, brachte 1964 die Wende vom ÖVP- zum SPÖ-Landeshauptmann (Hans Bögl). 1964 avancierte er, erst 35-jährig, zum ersten sozialistischen Landtagspräsidenten des Burgenlandes.

Gemeinsam mit Bögl-Nachfolger Theodor Kery und Landesrat Helmuth Vogl leitete Sinowatz auf der Basis des SPÖ-Programmes "Für ein schöneres Burgenland" eine neue Ära in der burgenländischen Landespolitik ein. Von 1966 bis zu seiner Berufung in die Bundesregierung war er als Landesrat insbesondere mit Kulturangelegenheiten betraut. In dieser Funktion initiierte er eine Kulturszene, die viele Intellektuelle und Künstler in das Burgenland brachte.

Im November 1971 löste Sinowatz Leopold Gratz, der SPÖ-Klubobmann wurde, als Unterrichtsminister ab. Nach dem Rücktritt von Hannes Androsch stieg er schließlich im Jänner 1981 auch zum Vizekanzler und später zum stellvertretenden Parteivorsitzenden auf. Während seiner Amtszeit als Unterrichtsminister hatte sich Sinowatz Verdienste bei der Schaffung von Chancengleichheit, der Demokratisierung der Schule und beim Ausbau eines liberalen Geistes- und Kulturklimas erworben. In der Bildungspolitik war es für Sinowatz "schon aufregend, dass es uns gelungen ist, alle sozialen Schranken, etwa beim Zugang zu den Schulen, wegzuräumen".

"Leidensweg" als Regierungschef

Im Gegensatz zu seinem Wirken als Unterrichtsminister standen die Jahre von Fred Sinowatz als Regierungschef unter keinem guten Stern. Sein "Leidensweg": Die Koalition mit der FPÖ war eine ungeliebte, dazu kamen Belastungsproben sonder Zahl: Die Konfrontation rund um das geplante Donaukraftwerk bei Hainburg, der Weinskandal, der immer weiter schwelende Konflikt Kreisky-Androsch, der berühmt-berüchtigte Händedruck Frischenschlager/Reder, die Intertrading-Affäre und schließlich der Präsidentschaftswahlkampf 1986.

International vergleichsweise gute Wirtschaftsdaten, ein erster Teil einer Pensionsreform, die begonnene Budgetkonsolidierung und der - letztlich gescheiterte - Versuch einer Verstaatlichtenreform konnten an dieser Optik nichts Wesentliches ändern. "Klassisch" gewordene Sinowatz-Zitate wie "ohne die Partei bin ich nichts" oder "es ist alles sehr kompliziert" waren einem Image als durchschlagskräftiger "Macher" ebenfalls nicht förderlich.

Beunruhigt über Ausländerfeindlichkeit

Zutiefst beunruhigt hatte sich Sinowatz 1999 über die steigende Fremdenfeindlichkeit gezeigt. "Obwohl es noch nie so viel politische Bildung an den Schulen gab wie jetzt und noch nie so eine Fülle von zeitgeschichtlichen Publikationen erschienen ist, gewinnen Fremdenhass und faschistoides Gedankengut immer mehr Menschen. Mich beunruhigt das zutiefst", sagte Sinowatz. Der Faschismus komme in immer neuen Kleidern.

Hör-Tipp
Hörbilder, Samstag, 31. Jänner 2009, 9:05 Uhr

Link
Wiener Zeitung - Fred Sinowatz: Bedingungsloses Bekenntnis zur Sozialdemokratie