Die Schriftstellerin Erica Fischer
Frauen erzählen besser
Erica Fischer war Mitbegründerin der zweiten Frauenbewegung in Österreich. In ihren Büchern - eines ist "Aimée und Jaguar" - hat sie die Geschichte anderer Frauen festgehalten. Mit "Himmelstraße" ist sie bei ihrer eigenen Familiengeschichte angekommen.
8. April 2017, 21:58
Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Wann er zum ersten Mal begangen wurde, ist nicht ganz klar, es gibt mehrere Versionen der Geschichte. Eine davon sagt, dass er zum ersten Mal 1909 in den USA organisiert wurde, also vor genau 100 Jahren, um den Kampf um das Frauenwahlrecht zu verstärken.
In Österreich wurde der internationale Frauentag von der neuen Frauenbewegung der späten 1960er und frühen 1970er Jahre wiederbelebt und institutionalisiert. Eine der Mitbegründerinnen dieser zweiten Frauenbewegung in Österreich war die Schriftstellerin, Journalistin und Übersetzerin Erica Fischer.
Zwei Schritte vor, einer zurück
Rückblende in das Frühjahr 1971. Laut Strafgesetzbuch ist der Mann das Oberhaupt der Familie, er bestimmt ihren Wohnsitz, er kann seiner Frau verbieten, arbeiten zu gehen. Das Ö1 Mittagsjournal berichtet von etwas noch nicht Dagewesenem: einer Frauendemonstration.
Vieles an der Radikalität der frühen Frauenbewegung war das Ihre nicht: Erica Fischer hatte auch damals Beziehungen zu Männern, gab männlichen Journalisten Interviews, trat vor Auditorien auf, zu denen auch Männer zugelassen waren. Das war unter Feministinnen ja durchaus umstritten.
Dennoch war die Zeit der Frauenbewegung der 1970er Jahre die glücklichste Zeit ihres Lebens, sagt sie heute, und das, was seitdem in der Geschlechterfrage geschehen ist, umschreibt sie mit den Worten: "zwei Schritte vor, einer zurück". Die Einkommensunterschiede, die Gewalt in den Geschlechterbeziehungen - das gäbe es weiterhin, die Sexualisierung der Werbung sei munter vorangeschritten. Aber das Kollektivsubjekt "Frauen", das habe sich mittlerweile aufgelöst.
Übertünchte Schüchternheit
Seit 1988 lebt Erica Fischer in Deutschland, heute in Berlin. Der Erfolg, der hat sich dann dort eingestellt: mehrere bekannte Bücher, die Verfilmung von "Aimée und Jaguar", dieser Geschichte einer Liebesbeziehung zweier Frauen in der NS-Zeit, eine davon Jüdin. Silberner Bär bei der Berlinale, Nominierung zum Golden Globe. Aber mit dem Erfolg ist das nicht so einfach. "Mich als erfolgreich beschreiben, fällt mir schwer", sagt sie. "Ich bin davon ausgegangen, dass alles erfolglos ist. (...) Ich kämpfe bei jedem neuen Buch mit Unsicherheiten, Zweifeln."
In Wirklichkeit sei sie schüchtern, sagt sie. Diese Schüchternheit habe sie nur übertüncht durch den Weg in die Öffentlichkeit, anfangs als feministische Aktivistin, dann als Schriftstellerin.
Zuerst waren es Sachbücher: über Männer, diese eigenartige Spezies. Über Frauen um die 40. Dann dramatisierte Lebensgeschichten: "Die Liebe der Lena Goldnadel" über Frauen und deren Lieben im Schatten des Holocaust. "Die Wertheims - Geschichte einer Familie" über die arisierten Vorgänger der Kaufhausriesen Hertie, Karstadt und Quelle. Auch über die Frauen einer afghanischen Familie hat sie geschrieben und über die Zwillingsschwestern Rosl und Liesl, Titel "Das Wichtigste ist, sich selber treu zu bleiben". Und eben über "Aimée und Jaguar", das Buch wurde in 16 Sprachen übersetzt und verfilmt.
Zeitlebens eine Fremde
"Der Feminismus ist Teil von mir", sagt sie, "alles was ich mache, hat mit Feminismus zu tun. (...) Mich interessieren Auswirkungen der Zeitgeschichte auf den Alltag." Auf den Alltag, auf das Leben bisher der Anderen. In ihrem letzten Buch "Himmelstraße" geht es dann um die Auswirkungen auf ihr eigenes Leben. Der Text beginnt mit dem Selbstmord ihres Bruders und rollt dann die Geschichte der gesamten Familie auf.
Als Tochter österreichischer Vertriebener wurde Erica Fischer in England geboren - das C im Vornamen weist darauf hin. Die Mutter stammte aus Polen, aus einer jüdischen Familie, hatte in Wien studiert und hier einen Wiener Sozialisten kennengelernt. Nach dem Krieg die Rückkehr nach Wien. Hier aber, in der Hauptstadt des Antisemitismus, hatte sich die Mutter zeitlebens fremd gefühlt - Leben im Feindesland. Das Gefühl der Fremdheit hat die Tochter übernommen: "Wenn ich breiten Dialekt höre, dann rinnt es mir kalt über den Rücken."
Verschweigen erzeugt Verhärtung
Das Buch "Himmelstraße" beschreibt eine Familie im Nachkriegswien, jedes Familienmitglied auf seinem eigenen Planeten lebend. Und es zeichnet das Bild einer Mutter, die zerstört ist von der Vertreibung aus und von der Rückkehr in eine Gesellschaft, die sie zugleich fürchtet und verachtet, und die diese Zerstörung an ihre Kinder weitergibt.
Unnötigerweise hatte sie zwei Kinder bekommen, und die hatte sie nun. Unnötigerweise war sie ihrem Mann ins Täterland gefolgt, und da war sie nun. Ein Jahr lang redete sie mit keinem Menschen außerhalb der Familie, derweil mein Vater an seinem Schreibtisch aufblühte. Über ihre Eltern sprach sie kaum.
"Dass meine Mutter nie gesprochen hat, erklärt sich dadurch, dass es zu schrecklich ist. Aber das Verschweigen hat Verhärtung erzeugt, das hat sich auf die Kinder ausgewirkt", sagt Erica Fischer.
Schonungslose Beschreibung
Was ist von all dem individuelles Schicksal, einzelne Lebensgeschichte, was ist Folge der "großen Geschichte", der Zerstörung von Leben und Lebensgeschichten durch den Holocaust? Sie selbst sei gerade noch einmal davongekommen, im Gegensatz zu ihrem Bruder Paul, der sich umgebracht hat, schreibt Erica Fischer, und sie ist schonungslos bei der Beschreibung der Geschichte ihrer Familie und auch ihrer eigenen, gibt Dinge von sich preis, die andere nie erzählen würden.
Also Antonio. Ein seriöser Ministerialbeamter mittleren Alters, älter als die anderen, aber immer noch zehn Jahre jünger als ich. Seine Biederkeit wird mich schützen, in so einen kann ich mich nicht verlieben. Aber der Sex wird immer besser. Nach den vielen Männern aus der linken Szene seinerzeit, mit ihrer Verachtung für korrekte Kleidung, erregen mich Anzug und Krawatte, das Fremde. Auch die Zeit von 5 bis 8 hat ihren Reiz.
Es ist eine fast unglaubliche Offenheit, mit der sie ihre eigenen Bedürfnisse beschreibt, ihre intimsten Ängste, ihr Ausrasten; Sexualität, Selbstzerstörung und Erniedrigung - eine Offenheit, die fast weh tut.
Weibliche Sexualität im Alter
Immer schon hat sie so geschrieben, über ihre Liebesbeziehungen, über die eigenartige Symbiose und das Scheitern ihrer Ehe. Eine öffentliche Person, die, nunmehr 65-jährig, vom "todtraurigen Geschäft des Älterwerdens" berichtet, von der Suche nach Liebhabern via Internet, und davon, wie peinlich eine alleinstehende ältere Frau wirke.
"Wir haben gelernt, dass das Private politisch ist und dass persönliche Probleme immer auch gesellschaftliche Wurzeln haben und dass man sich für die nicht schämen muss". so Fischer. "Zum Beispiel die Schwierigkeiten älterer Frauen, einen Partner zu finden, das halte ich für ein eminent politisches Problem. (...) Also ein Mann, der so ist, wie ich als Frau bin, der findet leicht eine junge Frau und gründet eine zweite Familie, während Frauen mit 60 als Omas gelten und als sexuell absolut unattraktiv."
Das Niederschreiben der eigenen Geschichte, sagt Erica Fischer, habe sie entlastet vom Schatten ihrer Familie. Jetzt sei sie zum ersten Mal in einer Situation, wo sie kein drängendes Problem hat, keines, das einer literarischen Bearbeitung bedürfe. Nach der Entwicklung vom Sachbuch zur dramatisierten Lebensgeschichte, von der Geschichte der anderen zur eigenen Geschichte, gibt es ein neues Ziel: ganz beim Roman anzukommen.