Österreichischer Kabarettpreis 2009

Thomas Maurer und "Áodílí"

Für sein von meisterhafter Sprachgewalt und vollendeter Performance geprägtes Kabarettprogramm "Àodìlì" erhielt Thomas Maurer - als erster Künstler in der Geschichte des Österreichischen Kabarettpreises - diese Auszeichnung bereits zum zweiten Mal.

Ein Mann mittleren Alters im Warteraum der Abflughalle im Flughafen Beijing. Eigentlich sollte er längst schon im Flugzeug nach Hause, nach St. Hypokrit im Mühlviertel sitzen. Aber es kommt zu Verzögerungen, Grund unbekannt. Oder doch nicht ganz. Laut bruchstückhafter Auskunft des Bodenpersonals hat Sigi Gschwandtner, der als Dipl. Ingenieur die letzten zehn Jahre in der Wirtschaftsmacht China als Gasterbeiter verbrachte, angeblich schon das Land verlassen.

Dieser Grund ist für den Gschwandtner-Sigi nicht gerade einsichtig, denn er ist ja eindeutig noch da. Das spürt er auf unangenehmen Weise, denn was bleibt: warten, sich langweilen und die Zeit mit Telefonaten nach Hause, nach Àodílí totzuschlagen. Dies ist die Ausgangssituation von "Áodílí". "Áodílí" ist Chinesisch, bedeutet "Österreich" und ist der Titel des aktuellen Solo-Programms von Thomas Maurer. Für dieses von großem analytischen Geschick, von meisterhafter Sprachgewalt und vollendeter Performance geprägtes Kabarettprogramm erhält Thomas Maurer - als erster Künstler in der Geschichte des von Wien Energie gestifteten Österreichischen Kabarettpreises - diese Auszeichnung bereits zum zweiten Mal.

Nur Geduld!

Thomas Maurers Kunstfigur Sigi Gschwandtner ist trotz eines Jahrzehnts im Reich der Mitte der Landessprache nicht mächtig. Er kennt aber inzwischen die Mentalität seiner Gastgeber doch gut genug, um zu wissen, dass in derlei Situationen weder aggressives Aufstampfen noch penibles Beharren auf irgendwelchen Rechten, sondern ausschließlich Geduld angebracht ist. Im Telefonat mit seiner deutschen Frau Wiebke, genannt "Weibi" wird offenbar, dass die entscheidenden kulturellen Gräben nicht unbedingt zwischen Europa und Asien zu finden sind.

"Áodílí" ist Thomas Maurers 12. Soloprogramm, allerdings befindet sich während des ganzen Abends neben der Figur des Sigi Gschwandtner noch eine Person auf der Bühne. Der junge Chinese Joey Chen, im Gegensatz zum recht salopp in zu weiten Billigjeans, kariertem Hemd und Safarijacke gekleideten Mann aus Áodílí, stellt den perfekt gestylten chinesischen Geschäftsmann dar, den Sigi die ganze Wartezeit über anschwafelt. Der stehende Satz "Sorry, no English!", mit dem der Businessman die Mühlviertler Wortkaskaden zu stoppen versucht, nützt ihm wenig, Sigi ist in seinem Mitteilungsbedürfnis nicht zu bremsen.

Punktgenaue Pointen

Zehn Jahre China sind eine lange Zeit: Das Leben fern der Heimat, das Jonglieren mit der fremden Kultur und der Mangel an Kommunikation haben durchaus Spuren beim Gschwandtner Sigi hinterlassen. Souverän und gelassen bringt Thomas Maurer in Regie von Petra Dobetsberger diesen in die Mühlen der Globalisierung geratenen Oberösterreicher aus Überzeugung auf die Bühne. Selbst dem - für den gebürtigen Wiener nicht ganz einfachen - Mühlviertler Idiom wird Thomas Maurer überzeugend Herr.

Eine Recherchefahrt des Kabarettisten nach China hatte zur Folge, dass in "Áodílí" die Konfrontation von österreichischer Seele mit asiatischer Lebensart ein satirisches Potenzial auf hohem Niveau freisetzt. Thomas Maurer, der scharfe Denker, Analytiker und Formulierer, versteht es gekonnt, mit Hilfe seiner schwadronierenden Kunstfigur gewisse Zusammenhänge unserer Wirtschaftswelt durchschaubar zu machen und ad absurdum zu führen. Mit Mühlviertler Gelassenheit und doch großer Eloquenz serviert er überdies punktgenaue Pointen und gibt allzu menschliche Charakterschwächen wie die Gier mit Bravour der Lächerlichkeit preis. "Àodílí" ist so auch ein höchst aktueller Kommentar zur aktuellen Finanzkrise.

Gelegenheit macht Diebe

Immer wieder schafft Thomas Maurer den Bezug zur Heimat, denn Korruption, Bestechung und unlauterer Wettbewerb sind seiner Einschätzung nach keine Exklusivität des Fernen Ostens. Wie es die Global Player gibt, die auf höchster Ebene ihren Profit zu machen verstehen, gibt es auch im Mikrokosmos des eigenen Umfelds immer wieder Personen, die gewitzt genug sind, ihren persönlichen Nutzen aus gewissen Umständen zu ziehen - auch wenn es einmal am Rande der Legalität sein sollte.

Gelegenheit macht Diebe, ein Sprichwort, das auch auf wirtschaftliche Belange zutreffen mag. Ein gutes Beispiel für einen "local player", der es mit Geradlinigkeit in welchem Bereich auch immer nicht immer ganz genau nimmt, ist zweifelsohne der Opa Gschwandtner. Ihn zitiert Thomas Maurer im Lauf seines Abends immer wieder. Dieser Opa feiert die Feste, wie sie fallen, ergreift opportunistisch und ohne Skrupel günstige Gelegenheiten und tut mit gewisser Bauernschläue das, was andere tun würden, wenn er es nicht täte.

Philosophische Momentaufnahmen

"Áodílí" oszilliert auf den unterschiedlichen Ebenen zwischen Ost und West, zwischen Heimat und Fremde. Das Große und das ganz Persönliche haben nebeneinander Platz, Ideologien und Hausverstand, nachgeplapperte Allgemeinplätze und philosophische Momentaufnahmen. Und dabei lässt Thomas Maurer bloß seinen Gschwandtner Sigi darauf warten, endlich ausreisen zu dürfen. Ob dies dem Mühlviertler aus Überzeugung nach etwa 100 Minuten im Wartesaal des Flughafens von Beijing gelingt, sei hier natürlich nicht verraten.

Service

Thomas Maurer
RadioKulturhaus - Kabarettpreis 2009
kabarett.at
kabarett.cc