Sein Leben für die Liebe riskieren

Schwulsein im Gottesstaat

"Wir haben keine Homosexuellen", sagt der iranische Präsident Ahmadinedschad. Auch wenn der Iran 4.000 Männer, die Männer lieben, seit der Islamischen Revolution am Baukran hat erhängen lassen. Darius ist schwul und lebt in Teheran.

Darius über eine Polizeiaktion auf einer Party

Darius sitzt in einem traditionellen iranischen Restaurant mitten in Teheran und zerlegt einen Kebab-Spieß mit der Präzision eines Chirurgen. Sein marineblaues Sakko verschmilzt mit den türkisfarben gemusterten Kacheln an der Wand hinter ihm. "Manchmal merke ich kaum, dass ich mich mit meiner Kleidung meiner Umgebung anpasse, wie ein Chamäleon", sagt Darius und führt langsam die Gabel zum Mund. Sein Lachen klingt leiser als das der anderen Gäste, und als er ein alkoholfreies Bavaria Bier bestellen will, übersieht ihn der Kellner zunächst. Darius ist geübt darin, nicht aufzufallen. Darum geht es ihm seit 20 Jahren.

Am Baukran erhängt

Darius, 34, ist schwul, und auf Homosexualität steht im Iran die Todesstrafe. Immer wieder gibt es öffentliche Hinrichtungen, bei denen selbst Teenager am Baukran erhängt werden. Zuletzt starb ein Schwuler im Dezember 2007, zurzeit warten vier Homosexuelle im Gefängnis auf ihr Urteil.

Wenn man Darius fragt, wie es ihm geht, lächelt er und sagt: danke, gut. Sein Großvater war Ayatollah, ein geistlicher Kleriker, und die streng religiösen Eltern würden ihn persönlich ins Gefängnis schleppen, wenn sie wüssten, dass ihr Sohn homosexuell ist. Das sagte sein Vater einmal beiläufig in einem Nebensatz. Seitdem achtet Darius darauf, vor ihm ein paar schwulenfeindliche Sätze zu bringen. Nicht einmal sein Zwillingsbruder weiß, dass Darius auf Männer steht. "Manchmal fühle ich mich sehr einsam", sagt er und beobachtet eine Großfamilie, die am Nebentisch darüber streitet, ob es am Wochenende ins Gebirge oder zum kaspischen Meer geht.

Gay-Websites boomen trotz Zensur

Darius zahlt und verlässt das Restaurant. Dämmerung liegt über der 14-Millionen-Einwohner-Metropole. In einer von Platanen gesäumten Einfahrt zu einem 50er-Jahre-Plattenbau grüßt Darius eine Nachbarin im Tschador, dann schließt er die Tür zu seinem Zweizimmer-Appartement auf. Das einzig Anheimelnde in seiner Wohnung ist ein rot gemusterter Perserteppich auf dem Estrich, ansonsten kahle Wände, eine Küchenzeile und ein Schreibtisch mit einem Computer. Darius lässt die Jalousien herunter und startet seinen PC.

Am späteren Abend ist er oft alleine zu Hause und chattet mit anderen Schwulen im Internet. Im Iran gibt es unzählige Homosexuellen-Portale, die von der Organisation Iranian Queer Railroad von Kanada aus betrieben werden. Manchmal sperrt die iranische Regierung eine Internetseite, dann erscheint ein gelbes Warndreieck auf weißem Grund: Zugriff verweigert. Doch dafür eröffnet an anderer Stelle eine neue Website. Der Gottesstaat kann das weder verhindern noch kontrollieren. In dem Portal, in dem Darius unterwegs ist, sind 4.035 Schwule allein aus Teheran angemeldet. Jeder Beruf, jedes Alter und jede Gesellschaftsschicht ist vertreten. Selbst in religiösen Hochburgen wie Qom oder Maschad inserieren Homosexuelle, um die große Liebe oder ein schnelles Date zu finden.

Geheime Zweittelefone

Darius klickt auf die Besucherliste seines Profils, in der das Passbild eines Jungen mit Locken und einer sympathischen Lücke zwischen den Schneidezähnen erscheint: 28 Jahre alt, 170 groß, Architekturstudent, romantische Sex-Beziehung gesucht, steht in dem Steckbrief neben dem Foto. Darius verabschiedet ihn, indem er das Profil entfernt. Er möchte eine stabile Beziehung für den Alltag und kein Abenteuer, sagt er. Manchmal findet er einen Jungen, der ihm gefällt, dann gibt er seine Telefonnummer raus, um sich zu verabreden. Irgendwo in einem Coffeeshop oder einem Schnellimbiss im wuseligen Zentrum von Teheran, wo zu viel passiert, als dass man dort auffallen würde.

Darius hat für diese Dates ein Zweithandy. 15 Dollar kostet im Iran eine Nummer, die nicht offiziell registriert ist. Falls er sich bei einem Kontakt unsicher fühlt, wirft Darius das Zweittelefon weg und ist damit nicht mehr auffindbar.

Die ständige Angst vor den Sittenwächtern

Darius hat sich verändert im letzten Jahr. Damals wog er sechs Kilo mehr, lachte viel und war frisch verliebt. Seine Stimme klang schnell und leidenschaftlich, wenn er erzählte, wie sein Freund durch sein Schlafzimmerfenster geklettert ist, um ein Herz aus Rosenblättern auf seiner Bettwäsche auszubreiten. Am Donnerstag, dem islamischen Wochenende, gingen die beiden manchmal aus und trafen andere Schwule auf Privatpartys.

Von der Polizei wurden sie nie gefasst, aber einmal wäre es fast so weit gekommen. Sie waren auf einer Feier in Isfahan eingeladen, die von den Revolutionswächtern gestürmt wurde. Alle Gäste wurden für drei Tage eingesperrt, gefoltert und mussten anschließend unterschreiben, dass sie sich nie wieder mit Homosexuellen treffen würden. Der Gastgeber wurde nur deshalb nicht gehängt, weil der UN-Menschenrat eingegriffen hatte.

Wenn man Darius heute nach der Situation der Schwulen im Iran fragt, antwortet er so unverbindlich, als würde er über das Wetter in Teheran plaudern: Mal gut, mal schlecht. Jetzt, seit er einen gut bezahlten Job bei der Regierung hat, fürchtet er noch mehr, aufzufliegen. Er passt sich an und wird vielleicht sogar irgendwann heiraten. Eine Frau, selbstverständlich. Das ist der beste Schutz, um keine Probleme zu bekommen, sagt er.

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Leporello, Mittwoch, 13. Mai 2009, 7:52 Uhr