Sonic Zones - Teil 7 - Zeitzone +8

Zu weit ab vom Schuss

Über elf Zeitzonen spannt sich das Territorium der ehemaligen UdSSR. Im siebenten Teil unserer Serie über die dortige experimentelle elektronische Musik bleiben wir noch in Sibirien und besuchen die beiden Städte Irkutsk und Ulan Ude.

Sonic Zones Teil 7 zum Nachhören

Irkutsk, erzählt Anna Ceeh, liegt nun bereits dermaßen ab vom Schuss, dass die Musikerinnen und Musiker dort gar nicht mehr in Erwägung ziehen würden, woanders hin zu gehen.

"Die Leute aus Novosibirsk sagen, ok, wir lernen hier, wir legen hier auf, machen Musik und akklimatisieren uns ein bisschen in der Szene und dann hauen wir ab", erzählt Ceeh. "Moskau ist noch nicht gar so weit entfernt. In Irkutsk ist das anders. Irkutsk ist schon wieder so weit weg, dass viele sagen: Ok, bleiben wir da, gründen wir eine Familie und versuchen wir, das beste aus der Situation zu machen."

Musik für eine Rucksacktouristen-Metropole

Wegen seiner prominenten Lage am Baikalsee ist Irkutsk in den letzten Jahren aber zu einer Rucksacktouristen-Metropole herangereift, und die Touristinnen und Touristen wollen auch mit Musik versorgt werden, erzählt Franz Pomassl.

Das treibe die Entwicklung der lokalen Musikszene voran, wenn auch nicht unbedingt in Richtung Experiment: "Da geht es dann mehr so in die Richtung Trance und Drum 'n' Bass. Auch für die Gäste spielt man in diesen Clubs dann ein bisschen gefälligere Musik."

Netlabel Electronica

All jene, die laut Eigendefinition experimentelle elektronische Musik machen, auch wenn diese für westliche Ohren eben zu gefällig klingen mag, findet man beim Internetlabel Electronica, unter anderem die Heimat von Sanderik, Okcug und Audiodump. Irkutsk und Ulan Ude sind überhaupt auffallend gut digital vernetzt, schildert Pomassl. Und besonders beeindruckend sei die schnelle Einstellung auf das digitale Kommunikationszeitalter, wenn man bedenkt, dass viele Haushalte in dieser Gegend von Russland bis vor wenigen Jahren noch nicht einmal ein eigenes Telefon hatten.

Die jungen Musikerinnen und Musiker rund um das Netlabel Electronica können sich an diese Zeit wohl kaum noch erinnern und wissen die Möglichkeiten des Internets auch bestens für sich zu nutzen. Andere Trägermedien wie etwa CDs oder Vinylplatten kämen ihnen gar nicht mehr in den Sinn, so Pomassl weiter. Und es wird Kontakt gehalten zu Musikerinnen und Musikern auf der ganzen Welt.

Internet alleine ist nicht genug

Auf die Frage, wie diese Weltoffenheit mit dem vorhin angesprochenen Hinterweltertum zusammenpassen würde, meint Pomassl: "Daran kann man schon auch ablesen, dass man eventuell doch reisen und persönlichen Austausch betreiben muss, um einen Trend wirklich aufzuschnappen. Der Austausch über das Internet alleine ist dann vielleicht doch zu einseitig."

Im Internet könne man Musik eben nicht so hautnah und intensiv erleben, wie das in einem Club möglich ist, ergänzt Anna Ceeh. Es fehle vor allem auch an Publikumserfahrung. Die jungen Elektronikmusikerinnen und -musiker in Irkutsk und Ulan Ude hätten deshalb Angst ihre Musik öffentlich zu präsentieren.

Aufblühen einer alten Musiktradition

Ulan Ude ist die Haupstadt der seit 1992 autonomen russischen Republik Burjatien. Hier hätten sie zum ersten Mal auf ihren Reisen durch den postsowjetischen Raum das Gefühl gehabt, sich in einem wirklich anderen Kulturkreis zu befinden, schildern Anna Ceeh und Franz Pomassl. Davon kündet nicht zuletzt der dreizehn Meter Durchmesser umfassende Leninkopf auf dem Hauptplatz, dessen Augen asiatische Züge aufweisen.

Die Burjaten hielten trotz dieser einfach nicht zu übersehenden Machtbekundung bereits während der Sowjetzeit an ihrer Kultur entschlossen fest, die nun in voller Blüte steht. Die alte Musiktradition wird allerorts mit viel Begeisterung hochgehalten, in die elektronische Musik hätte sie allerdings noch keinen Eingang gefunden, so Anna Ceeh: "Es ist noch zu früh! Erst jetzt können die Menschen dort ihre Musik in vollem Ausmaß leben. Für die wiedererlangte Identität müssen nun erst einmal Formen gefunden werden. Aber auf alle Fälle sind die jungen Leute dran, und das ist gut."

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Mittwoch, 1. Juli 2009, 23:05 Uhr

Links
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Cherno-Belye Snimki