Fachtagung im Stift Heiligenkreuz

Tut Religion der Psyche gut?

Die Beziehung zwischen Psychotherapie und Seelsorge ist bis heute problematisch. Beide verbindet eine wechselvolle Geschichte, beide greifen häufig ineinander über. Eine Fachtagung im Stift Heiligenkreuz hat sich des Themas angenommen.

"Religion und Liturgie sind keine Medikamente", sagte der Abt des Stiftes Heiligenkreuz, Gregor Henckel-Donnersmarck und schloss "positive Nebenwirkungen" allerdings nicht aus. "Wir sind mit unserer Liturgie keine Psychotherapeuten, sondern Verkünder der Schönheit Gottes", betont Henckel-Donnersmarck.

Wo endet das Arbeitsfeld des Psychotherapeuten und wo beginnt das des Seelsorgers und umgekehrt? Und: Ist Religion hilfreich für den Menschen? Oder ist Religion -wie Freud es nannte- eine "kollektive Zwangsneurose", die es um der Freiheit des Menschen willen zu überwinden gilt? Das waren die Fragestellungen der Fachtagung "Liturgie und Psyche", die vom Institut für Dogmatik der Päpstlichen Hochschule in Heiligenkreuz veranstaltet wurde. Referenten waren der Schweizer Psychotherapeut Jürg Willi, die Philosophin Hanna Barbara Gerl-Falkovitz, der Neurologe und Psychotherapeut Raphael Bonelli und der Zisterzienserpater Karl Wallner.

Helfende Berufe
Das Wort aus dem Johannes-Evangelium "Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" könnte Psychotherapeuten und Seelsorgern gleichermaßen als Leitgedanke dienen. Denn beide Berufe sind helfende Berufe und müssten daran gemessen werden, ob sie den Menschen in größere Freiheit oder in größere Abhängigkeit führen.

Psychotherapeuten und Seelsorger stehen einander bis heute aber meist nicht ohne Vorurteile gegenüber.

Freuds Religionskritik
Sigmund Freud gilt als einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Der Arzt und Tiefenpsychologe war der Begründer der Psychoanalyse und stellte die -meist negative- Wirkung der Religion auf den einzelnen Menschen in seinen Werken "Totem und Tabu", "Das Unbehagen in der Kultur" und anderen, ins Zentrum seiner Religionskritik.

"Freud hat die Religion in das Reich der Neurosen verbannt", hielt der Psychotherapeut Jürg Willi in seinem Referat in Stift Heiligenkreuz eingangs fest und würdigte C.G. Jung als wichtige Gegenstimme.

Gemeinschaftsstiftung durch Eucharistie
Für den Paartherapeuten und Autor so erfolgreicher Bücher wie "Die Zweierbeziehung", "Psychologie der Liebe" und "Wendepunkte im Lebenslauf", Jürg Willi, hat die Liturgie als gemeinschaftliches rituelles Handeln einen Doppelaspekt: zum einen die Liturgie als Mittel der Annäherung an Gott und zum anderen die Liturgie als Gefäß, das Gott angeboten wird, um sich den Menschen kund zu tun. Wichtig für Jürg Willi ist die Stiftung christlicher Gemeinschaft durch die Liturgie. Dies geschehe im Besondern in der Eucharistie.

"Wir gehen davon aus, dass dort, wo Liturgie – mit allem menschlichen Bemühen - schön gefeiert wird, eine Entlastung und eine Erhebung der Seele geschieht", sagte der Heiligenkreuzer Zisterzienserpater Karl Wallner.

Wichtige Stimmen
Zurück zur Beziehung zwischen Psychotherapie und Seelsorge.
Meilensteine sind dabei neben den Werken Sigmund Freuds und seinem regen Briefwechsel mit dem protestantischen Pfarrer und Psychologen Oskar Pfister aus Zürich, Alfred Adler und sein Streitgespräch mit dem evangelischen Theologen Ernst Jahn, das unter dem Titel "Religion und Individualpsychologie" erschienen ist, sowie die Werke des Schweizer Mediziners und Psychologen C.G. Jung, dem Begründer der Analytischen Psychologie.

Die katholische Kirche hat sich zwar lange gegen die Psychotherapie gewehrt, die Gesellschaft aber entschied anders: Für viele Menschen wurde die Psychotherapie zu einer Art "Religionsersatz". Alfred Adler war einer der ersten, der sich gegen diesen Irrtum aussprach und auch Erwin Ringel wurde nicht müde, dies zurechtzurücken.

Therapie als Seelsorge
Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, meinte, die Psychotherapie sei darauf angewiesen, in Seelsorge zu münden. Die Abwanderung der Menschen vom Seelsorger zum Therapeuten war für den 1905 geborenen Neurologen und Psychiater ein unübersehbarer Tatbestand. Der Psychotherapeut war so für ihn immer auch irgendwie Seelsorger.

Über diese Schnittstellen zwischen Psychotherapie und Seelsorge und über die Voraussetzungen, wie und wann Religion der menschlichen Psyche gut tun kann, sagte der Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe Raphael Bonelli in seinem Referat: "Religion kann dann der Psyche gut tun, wenn sie nicht ich-haft, sondern sachlich gelebt wird", und sagt weiter in Anspielung auf Freud: "Religion ist keine Neurose und das religiöse Leben macht auch nicht neurotisch."

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz unterrichtet Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaften an der Technischen Universität Dresden. Sie zitierte Josef Ratzingers Definition von Liturgie als "ein Fest, ein Fest der Freiheit, auch ein Fest der Freiheit vom Tod" und sagte: "Das ist eigentlich unglaublich! Eine ungeheuerliche und tröstliche Zusage!"

Download-Tipp
Die Sendung Logos, "Tut Religion der Psyche gut?", vom 5. Juli 2009 können Downloadberechtigte bis einschließlich 4. August 2009 laden.

Mehr dazu in oe1.ORF.at

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Päpstliche Hochschule Heiligenkreuz