Der bewusste Moment

Die Kraft des Hier und Jetzt

Den Augenblick intensiv wahrnehmen, ohne in Gedanken in die Zukunft oder Vergangenheit abzudriften, Momente erleben, in denen wir ganz und gar anwesend sind: Viele Menschen können diese Art der Aufmerksamkeit nicht lange aufrecht erhalten.

Wie lange gelingt es uns, ganz im Hier und Jetzt zu sein? Vollkommen anwesend und wach zu sein, den Augenblick intensiv wahrzunehmen, ohne mit den Gedanken in die Zukunft oder in die Vergangenheit abzuschweifen. Die meisten Menschen können diese Art der wachen Aufmerksamkeit und Fokussiertheit nicht länger als ein paar Sekunden aufrechterhalten.

Allzu schnell wird man vom permanenten inneren Monolog eingeholt: Man plant die Zukunft, ohne sie zu kennen oder hängt in Gedanken in der Vergangenheit, obwohl diese bereits vorbei und nicht mehr zu ändern ist.

"In Gedanken woanders"

Das Resultat dieses mechanischen Denkverhaltens ist, dass das Leben nur teilweise wahrgenommen wird. Denn all jene Momente, während derer wir "in Gedanken woanders" waren, haben wir genau genommen versäumt. Das lässt sich leicht anhand eines persönlichen Experiments ausprobieren: Wie lange ist es möglich, einen Wanderweg entlang zu gehen und ganz bewusst jeden Sinneseindruck, jede Bewegung wahrzunehmen? Und um wie viel entspannter ist man in diesem Zustand, als wenn man stattdessen mitten in der Natur über einem persönlichen Problem brütet?

Bewusst achtsam

Wahre Lebensintensität und Lebensfreude erleben wir immer dann, wenn wir mit allen Sinnen und ganzer Aufmerksamkeit da sind: Das sind dann jene Augenblicke, in denen wir uns selber und unsere Umgebung wahrhaft spüren: Wenn wir in Stille die Natur durchwandern, wenn wir mit voller Begeisterung Sport betreiben, bei beeindruckenden Kulturerlebnissen oder intensivem Zusammensein mit einem anderen Menschen.

Die spirituellen Strömungen der meisten Religionen lehren diesen Weg der Bewusstheit, auch "Achtsamkeit" genannt. Wer sich der Kraft des Hier und Jetzt hingibt, erfährt Gott, so heißt es. Auch in Wissenschaft und Therapie haben Erforschung und Training des "Hier und Jetzt" Eingang gefunden.

Achtsamkeitstraining gegen Depressionen...

In zahlreichen US-Kliniken wird "Mindfullness based stress reduction" angeboten. Dieses achtwöchige Achtsamkeitstraining eignet sich sowohl für körperliche als auch für seelische Erkrankungen. Die vielversprechenden Resultate zeigen, dass Depressionen, Schmerzzustände und Stress effizient reduziert werden können.

Ein depressiver Patient hält dann in seinen selbstzerstörerischen Zukunftsprognosen ("Ich werde scheitern") inne und erlebt: Im Hier und Jetzt bin ich noch nicht gescheitert, im Hier und Jetzt sitze ich auf meinem Stuhl und spüre meinen Körper.

...und Schmerzen

Ein Schmerzpatient kann sich besser entspannen: "Ich fürchte mich davor, dass in der Nacht die Schmerzen stärker werden" - Solche stressbeladenen Gedanken verblassen, denn im Hier und Jetzt sind die Schmerzen möglicherweise gering, und was später sein wird, kann ich nicht sicher wissen. Wenn ich mich jetzt bereits davor fürchte, vergälle ich mir das Erlebnis einer schmerzfreien Gegenwart.

Vorgefasste Meinungen über zukünftige Situationen verlieren ihre emotionale Kraft, die Begegnung mit anderen Menschen wird vorurteilsfreier, im Alltag verringert sich die Routine. Auch eigene Gefühle werden intensiver wahrgenommen und zugelassen, weil jeder Augenblick mit seinen Emotionen bewusst durchlebt wird. Die Momente innerhalb eines Tages werden mehr: ein Empfinden, wie wenn man für kurze Zeit aus der Welt der permanenten Vorstellungen ausbricht, aus dem Traum der Gedanken erwacht und sich der Wirklichkeit bewusst wird.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 10. August bis Donnerstag, 13. August 2009, 9:30 Uhr