Nahe am und unabhängig vom Original

Was heißt "Ding" an sich auf Türkisch?

Übersetzer und Übersetzerinnen transferieren Bedeutungen von einer Sprache in die andere. Das ist keine mechanische Arbeit, sondern ein kreativer Prozess. Ganz besonders gilt das für Übersetzungen philosophischer und geisteswissenschaftlicher Texte.

2.000 Übersetzer gibt es laut dem Deutschen Übersetzerverband im deutschsprachigen Raum. 100, vielleicht 150 sind es in Österreich, die geisteswissenschaftliche Bücher übersetzen, schätzt die österreichische Übersetzergemeinschaft.

Einer von ihnen ist Richard Steurer. Er hat für Suhrkamp und den Passagen-Verlag bereits mehrere Bücher zeitgenössischer Philosophen aus Frankreich ins Deutsche übersetzt, darunter Jean Baudrillard, Jean-Luc Nancy und Jacques Rancière. Ideal, so meint Richard Steurer, ist eine Übersetzung, wenn man gar nicht merkt, dass es sich um eine handelt.

"Gelungen ist eine Übersetzung dann, wenn sie dem Original treu ist und es gleichzeitig schafft, flüssig gelesen werden zu können, d.h. gleichzeitig so nahe wie möglich am Text und eine ausreichend große Unabhängigkeit vom Text zu haben."

Nationale Diskurskonventionen

Damit eine Übersetzung so klingt, als wäre sie gar keine, ist eine Reihe von Fähigkeiten nötig. Dazu gehören vor allem Sachwissen und eine ausreichende Kenntnis der beiden Sprachen, der Ausgangssprache und der Zielsprache. Aber auch eine kulturelle Kompetenz, wie die Translationswissenschaftlerin Mary Snell-Hornby betont: "In dem Fall die philosophische Kultur, weil in verschiedenen Ländern sind die Kulturtraditionen und die Diskurskonventionen anders."

Die gebürtige Britin Mary Snell-Hornby wurde 1989 auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Übersetzungswissenschaft an der Universität Wien berufen und hat in Folge die auch international noch junge Disziplin etabliert. Snell-Hornby betont die kulturellen Transferleistungen, die Übersetzer zu erbringen haben. Auf die nationalen Unterschiede etwa in der zeitgenössischen Philosophie muss achtgegeben werden.

Doppeldeutiges in Klammern, Glossar und Wortimporte

Strategien der Übersetzung sind sehr unterschiedlich, jeder der philosophische oder andere geisteswissenschaftliche Texte gelesen hat, kennt sie. Im Deutschen sehr beliebt ist die Fußnote, hinter der sich oft wertvolle Informationen verbergen.

Um schwierige oder doppeldeutige Begriffe zu erklären, bieten manche Bücher ein Glossar, mitunter greifen Übersetzer aber auch zu Erklärungen in Klammern. Eine weitere Möglichkeit ist die Übernahme eines Originalausdrucks in die Zielsprache.

Häufig geschehen ist das etwa bei den Schriften der Psychoanalyse von Sigmund Freud. Viele seiner Fachbegriffe wie "Über-Ich", "Anlehnung" oder "Fehlleistung" stammen aus der Alltagssprache und wurden dann mit einem ganz bestimmten Sinn versehen. Das hat dazu geführt, dass einige Sprachen die deutschen Wörter importiert haben. Im Spanischen z.B. heißen die Freudschen Instanzen des Ich "El Es" und "El Ich".

Wörter erfinden

Übersetzer und Übersetzerinnen haben aber auch noch andere Möglichkeiten, wenn für bestimmte Begriffe noch keine Wörter in der Zielsprache existieren. Sie können einen eigenen Terminus erfinden und hoffen, dass sich der dann etabliert, so der Romanist Hartwig Kalverkämper von der Humboldt-Universität zu Berlin.

Eine junge Übersetzerin, die das versucht, ist die Polin Justyna Gorny. Sie war zu Beginn dieses Jahres als Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien und hat dabei ausgewählte Texte der feministischen Historikerin Karin Hausen aus dem Deutschen ins Polnische übersetzt.

Im persönlichen Kontakt mit der Autorin ist es Gorny gelungen, das polnische Wort "Geschlechterordnung" in einen neuen Bedeutungszusammenhang zu stellen. Die Arbeit von Übersetzern und Übersetzerinnen ist also kein reines Abbilden und mechanisches Handwerk, sondern eine kreative, schöpferische Tätigkeit.

Reich wird man davon nicht

Und die ist oft nicht besonders lukrativ. Im Schnitt kommen Übersetzer auf ein monatliches Bruttogehalt von 1.000 Euro, hat der Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke in seiner jüngsten Umfrage errechnet. Belletristik ist etwas einträglicher als Sachbücher, Übersetzungen aus dem Französischen oder Russischen bringen mehr Geld als solche aus dem Englischen - aus dem der Löwenanteil aller Bücher stammen.

Das gilt auch für die Philosophie, auch wenn hier dank Postmoderne und Poststrukturalismus das Herkunftsland Frankreich ebenfalls stark vertreten ist. Es waren aber nicht erst Autoren wie Jacques Derrida, die der Philosophie den Nimbus besonders schwierig zu verstehender Texte verliehen haben.

Welten aufbauen

Die oft sehr eigenwillige Sprache von Philosophen, die Worte mit sehr speziellen Bedeutungen versehen, stellt Übersetzer vor ganz besondere Herausforderungen, meint die Translationswissenschaftlerin Mary Snell-Hornby.

"Die meisten Texte haben einen Bezug auf eine Situation, auf eine Welt, in der Literatur auf eine fiktive Welt, und besonders philosophische Texte sind sehr abstrakt. Philosophen erfinden eigene Termini, und es geht auch nicht nur um die Termini, sondern um die Botschaft, um den Sinn des ganzen Texts. Fachtexte bestehen durch widerspruchsfreie verständliche Termini und geisteswissenschaftliche und philosophische Texte bauen Welten auf", so Snell-Hornby.

Service

Mary Snell-Hornby, Mira Kadric (Hsg), Jürgen Schopp (Hsg), "Translationswissenschaft in Wendezeiten", Stauffenberg Verlag 2008

Radegundis Stolze, "Übersetzungstheorien. Eine Einführung", Narr Studienbücher 2008

Paul Kußmaul, " Verstehen und Übersetzen", Narr Studienbücher 2007

Hartwig Kalverkämper/Larissa Schippel (Hsg.), "Translation zwischen Text und Welt", Frank & Timme Verlag 2009

Christian und Robert Hrdina, "Scientific English für Mediziner und Naturwissenschaftler", Langenscheidt 2009

"Übelsetzungen - Brandneue Sprachpannen aus aller Welt", Langenscheidt 2009

Mary Snell-Hornby, Universität Wien
Hartwig Kalverkämper, HU Berlin
Justyna Gorny, IWM
Richard Steurer, Passagen Verlag