Sonic Zones - Teil 9 - Zeitzone +10

Musik aus Russlands Fernem Osten

Über elf Zeitzonen spannt sich das Territorium der ehemaligen UdSSR. Im neunten Teil unserer Serie mit Franz Pomassl und Anna Ceeh von Laton über die dortige experimentelle elektronische Musik dringen wir weiter in Russlands Fernen Osten vor.

Sonic Zones Teil 9 zum Nachhören

Nach vielen weiteren Stunden Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn landen wir in Chabarowsk, in der nach langer Reise ersten größeren Stadt im Fernen Osten Russlands, sie zählt rund 500.000 Einwohnerinnen und Einwohner, die chinesische Grenze ist nur 20 Kilometer entfernt.

Hier würde man schnell merken, dass die Uhr in dieser Gegend anders tickt als in Moskau, so Anna Ceeh: "Die Menschen in Chabarowsk leben nach ihren eigenen Gesetzen. Moskau ist einfach zu weit weg, deshalb musste man sich eine eigene Infrastruktur aufbauen, die auch zu einem gewissen kulturellen Output geführt hat. Es gibt in Chabarowsk etwa einen eigenen Fernsehsender und eigene Radiostationen."

In den Fußstapfen von Pratega

Ganz wichtig für die Entwicklung der experimentellen elektronischen Musik in Chabarowsk war der Produzent, DJ und Radiomacher Pratega, erzählt Franz Pomassl. Die Mitschnitte seiner Sendungen waren in den Kassettenrekordern der heranwachsenden Musikinteressierten in Heavy Rotation, so etwa auch im Kassettenrekorder von Gleb Morozov, der heute selber Radio macht und mit Valentine Semchenko das Musikprojekt Antiphodes betreibt. Als ein weiteres spannendes Musikprojekt aus Chabarowsk nennen Anna Ceeh und Franz Pomassl "Orchestrovaja Jama".

ledocool

Wir verlassen Chabarowsk und reisen weiter in den Norden, nach Komsomols-na-Amure, eine Stadt, die - wie bereits der Name verrät - einst von den Komsomolzen gebaut wurde, nach einem strengem, klaren Plan. Komsomols-na-Amure sei eine sehr spezielle und auch gefährliche Ecke Russlands, erzählt Anna Ceeh. Gefährlich deshalb, so Ceeh, weil jene, die aus der Reihe tanzen, oft schnell in eine Schlägerei verwickelt werden.

Die Bevölkerung von Komsomols-na-Amure sei dem Neuen gegenüber nicht gerade aufgeschlossen, trotzdem war hier einige Jahre das Zentrum für experimentelle elektronische Musik im Fernen Osten Russlands, dank Natalia Astanina, die das Festival ledocool ins Leben gerufen hatte.

Durchgebrannt
Für die Kuratierung des Musikprogrammes holte sich Natalia Ostanina Evgeny Beresnev aka Park Modern aus Wladiwostok. Ostanina selber übernahm die Organisation. Einschlägige Erfahrung gesammelt hatte sie bereits beim Veranstalten von Rockmusik-Konzerten.

Anna Ceeh: "Sie ist auf elektronische Musik umgeschwenkt, weil das Veranstalten hier auch billiger war. Es braucht nicht so viele Leute für den Aufbau und die Musiker nehmen in der Regel alles was sie brauchen bereits selber mit. Natalia Ostanina hat uns zwei Mal zu ihrem ledocool Festival eingeladen. Beim zweiten Mal ist sie nach dem Festival dann einfach verschwunden. Sie hat niemanden ausgezahlt, und es hat sie auch keiner der Festivalteilnehmerinnen und -teilnehmer jemals wieder gesehen. Letztendlich hat sie aber viel bewegt, in der Zeit in der sie aktiv war."

Unter anderem hat Natalia Ostanina auch eine Reihe von Compilations herausgebracht, die ledocool-Sampler, auf der sich Musikerinnen und Musiker aus dem gesamten russischen Raum finden, vom westlichsten Zipfel des Westens bis hin zum östlichsten Zipfel des Ostens.

Electric Sabbath im BSB
Besonders aufmerksam machen uns Franz Pomassl und Anna Ceeh auf Nikola, der inspiriert durch ledocool in Wladiwostok schließlich den Club "Electric Sabbath" für experimentelle elektronische Musik ins Leben gerufen hat, "das avancierteste und waghalsigste Clubprojekt dort", wie Pomassl meint. Er befindet sich im BSB, und es würden dort nicht so wie meistens einfach nur DJs auflegen, sondern eben Live-Konzerte präsentiert.

In vielen russischen Clubs gäbe es gar keine Vorstellung davon, wie man denn überhaupt live elektronische Musik machen könne, im Club "Electric Sabbath" sei es umgekehrt, schildert Ceeh: "Erst mit der Zeit ist das Bedürfnis entstanden, auch etwas tanzbarere Musik zu spielen, nach den Konzerten, und daraufhin haben die Musiker gesagt: Gut, dann lernen wir eben auch dieses Metier."

Park Modern
Der bekannteste und gefragteste Elektronikmusiker in Wladiwostok ist der bereits vorhin erwähnte Evgeny Beresnev aka Park Modern. In seinen Klangbildern spiegeln sich die rostigen Metalltürme des Wladiwostoker Hafens wieder, und die aus dem Meer ragenden abgewrackten Schiffsrümpfe, beschreibt Franz Pomassl.

Franz Pomassl: "Und wenn man durch die Straßen geht, dann hört man die Musik von Park Modern immer wieder aus den Autos schallen. Trotz der sehr eigenwilligen Spielform hat die Musik von Evgeny Beresnev eine sehr große Akzeptanz. Er trifft mit seiner Musik einen ganz speziellen Nerv."

Weshalb man in diesem Fall auch tatsächlich von einem "Sound of Wladiwostok" sprechen könne, der auch in den zahlreichen Produktionen jener Musiker seinen Niederschlag finden würde, die sich auf Park Modern beziehen, wie etwa Khaki, Inkredible Diz, Ringo oder Dambo.

Versuchte Öffnung
Lange Zeit war Wladiwostok eine geschlossene Stadt, und das sei auch noch immer spürbar. Alles sei sehr starr und unflexibel, oder vielleicht auch nur schüchtern, so Franz Pomassl. Die jungen Musikerinnen und Musiker der elektronischen Musikszene würden demgegenüber aber ganz gezielt den Kontakt suchen, insbesondere auch zu Gleichgesinnten jenseits der Grenzen in China, Korea und Japan, führt Anna Ceeh noch weiter aus, jedoch leider ohne Erfolg.

"Die ganzen Kulturabkommen befinden sich auf einem Niveau der uninteressantesten volkstümlichen Musikprojekte", sagt Anna Ceeh. "So kann kein Austausch entstehen. Das ist natürlich traurig, aber gerade diese Enge, in die sich die Menschen in dieser Gegend getrieben fühlen, drängt sie schließlich auch dazu, wirklich gute Sachen zu machen."

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Mittwoch, 2. September 2009, 23:05 Uhr

CD Tipp
Park Modern, Mechanical Bowels, Laton Records 036

Veranstaltungs-Tipp
Club Zone mit StirliTZ, Poonk, Not-A-Mind, Dabelka, Mr. Belk und Anna Ceeh, Freitag, 25. September 2009, 19:00 Uhr, Wiener Sezession

Links
Laton
Club Zone
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Kontakt - UFO über Wladiwostok
Laton - Park Modern
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