Ein Meer voller Schildkröten

Meereswelten

Als Christoph Kolumbus in die Neue Welt segelte, staunte er über "ein Meer voller Schildkröten". Heute gelten die Tiere als stark gefährdet. Biologen auf den karibischen Jungferninseln setzten sich für den Erhalt der bedrohten Meeresschildkröten ein.

Im Zickzack-Kurs steuert Joel Dore das Motorboot an der steilen Felsküste der Insel Tortola entlang, konzentriert sucht er mit seinen Augen die raue Meeresoberfläche ab. Nach einigen Minuten entdeckt der Biologe des "Conservation und Fishery Departments" den Kopf einer Meeresschildkröte aus dem Wasser ragen. Der Biologe drosselt den Motor und springt zusammen mit seinem Kollegen ins türkisfarbene Meer.

Eine wilde Unterwasserjagd beginnt: 30 Minuten lang schwimmen die beiden Männer dem Tier hinterher, hetzen es kreuz und quer durch das Riff. Dann gelingt es den Wissenschaftlern endlich, das erschöpfte Reptil zu packen und an Bord zu hieven.

Fast bewegungslos verharrt das Tier am Boden des Bootes. Nur ab und zu rudert es mit seinen riesigen Vorderflossen durch die Luft. Sein dunkler, 50 Zentimeter langer Panzer ist überzogen mit gelben Flecken, das typische Muster der Echten Karett-Schildkröten.

Mit Mikrochip auf Weltreise

Zwischen 70 bis 150 Meeresschildkröten fangen die Forscher jährlich in den Gewässern rund um die Britischen Jungferninseln. "Wir markieren die Tiere mit Metallmarken an den beiden Vorderflossen und implantieren ihnen zusätzlich noch einen winzigen Mikrochip in die linke Schulter", so Dore. "Anschließend lassen wir die Tiere wieder frei."

Der Reiskorn große Chip funktioniert ähnlich wie der Barcode auf einer Lebensmittel-Verpackung. Nimmt ein Forscher einen Scanner und fährt damit über ein markiertes Tier, bekommt er eine Nummer angezeigt. Anhand der zehn Ziffern kann er später in der Datenbank feststellen, um welches Tier es sich handelt und wo es herkommt.

"Im Jahr 2004 haben wir in der Nähe der Insel Guana eine Meeresschildkröte markiert - einige Monate später tauchte sie vor der Küste von Costa Rica auf", erzählt der Forscher. "Ein anderes Tier wurde 800 Kilometer von hier entfernt in den Gewässern vor Venezuela erneut gefangen."

"Meer voller Schildkröten"

Als Christoph Kolumbus Ende des 15. Jahrhunderts in die Neue Welt segelte, berichtete er begeistert über ein "Meer voller Schildkröten". Mit dem Zeitalter der großen Entdecker begann der Niedergang der Tierbestände: Den Suppenschildkröten wurde ihr schmackhaftes Fleisch zum Verhängnis.

Im 18. Jahrhundert entdeckten die Briten Schildkrötensuppe als Delikatesse - sie gehörte bald zu den international gefragtesten Gerichten der Haute Cuisine. Die Echte Karett-Schildkröte wiederum wurde wegen ihres Panzers gejagt, um aus dem gewonnenen Schildpatt Schmuck herzustellen.

500 Jahre nach den Reisen von Kolumbus sieht die Bestandsaufnahme düster aus: Alle sieben Arten von Meeresschildkröten stehen mittlerweile auf der Roten Liste der gefährdeten Arten, darunter auch die Lederschildkröte, die größte Schildkröte der Welt.

Einer der letzten guten Nistplätze dieser Riesen liegt im Naturreservat Sandy Point der Insel St. Croix. Nach Einbruch der Dunkelheit kontrolliert der Park-Ranger Mike Evans den gut drei Kilometer langen Strandabschnitt. Nach 20 Minuten entdeckt er im Schein seiner Taschenlampe die mächtigen Umrisse einer Lederschildkröte. Im Zeitlupentempo hievt sich das gut 1,60 Meter lange Reptil aus dem Wasser, verharrt kurz und schiebt sich mühsam weiter den Sandstrand hinauf. Mit unglaublicher Präzision beginnt das Weibchen mit seinen beiden Hinterflossen eine Kuhle in den Sand zu graben, legt anschließend rund 80 Tischtennisballgroße Eier hinein und schaufelt die Mulde wieder zu.

Weltenbummler der Ozeane

"Nur alle zwei bis drei Jahre kommen die Weibchen an Land, um ihre Eier abzulegen - meist an dem Strand, an dem sie geboren wurden", erklärt der Biologe und deutet auf das urtümliche Tier. "Danach kehren sie wieder ins Meer zurück."

Gut zwei Monate später ist es soweit: Im Schutz der Dunkelheit schlüpfen die Jungen. Wie auf Kommando hasten die kleinen Tiere den Strand hinunter zum Wasser und machen sich auf ihre lange Reise durch die Weltmeere.

Service

Buch-Tipps
Carl Safina, "Voyage of the Turtle - In Pursuit of the Earth’s Last Dinosaurs", Holt Paperbacks, 2006 (auf Englisch)

Richard Ellis, "Der lebendige Ozean - Nachrichten aus der Wasserwelt", Mare-Buchverlag, 2006