Sicherheitswahn und Überwachungsstaat

Angriff auf die Freiheit

"Angriff auf die Freiheit" ist ein mit Daten gespicktes Pamphlet. Zahlen und Fakten werden dem Leser in geschliffenen Formulierungen hingeknallt, der vieles, was hier steht, geahnt hat, aber vielleicht doch nicht so genau wissen wollte.

Betrachten wir unsere Sprache, deftig wird verspottet, wem es an Mut fehlt. Angsthase, Duckmäuser, Drückeberger, Pantoffelheld, Jämmerling, Bangbüchse, Ausreißer, Hasenfuß, Kriecher, Leistetreter, Memme, Schlappschwanz, Waschlappen, Jammerlappen. Keine Frage, wir schätzen den Mut und das aus gutem Grund. Die Angst ist - im Gegensatz zur nützlichen Vorsicht - eine der größten Geißeln des Menschen. Hat sie sich einmal eingenistet, beginnt sie zu wuchern, lähmt uns, lässt sich durch kein passendes Wort und keine passende Geste eindämmen.

Juli Zeh und Ilija Trojanow haben in ihrem gemeinsam verfassten Buch, "Angriff auf die Freiheit" eine klare Botschaft: Angst sells, obwohl sie nicht imagefördernd ist. Angst wird politisch und ökonomisch instrumentalisiert. "Wer nichts verbrochen hat, hat auch nichts zu befürchten", suggerieren die Ordnungshüter aller Couleurs. "Sind Sie sicher?", fragen die Autoren.

Angst boomt

Immer mehr Bürger fühlen sich beschützt, wenn sie auf öffentlichen Plätzen videoüberwacht werden. Immer weniger Bürgerinnen haben Vorbehalte, ihre Daten für ein paar Prozentpunkte Rabbat an der nächsten Supermarktkassa abzuliefern. Die Angst, zum gläsernen Bürger zu werden, hält sich in Grenzen. Die Angst, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, boomt.

Wovor fürchten wir uns wirklich? Der grenzenlosen Unübersichtlichkeit der Welt? Der einzigen Sicherheit, die wir haben: dem Tod? Sind es Stellvertreterkriege, die wir ausfechten, wenn wir uns ausgerechnet gegen das schützen wollen, was uns mit minimaler Wahrscheinlichkeit bedroht und dafür eine andere Gefahr in Kauf nehmen: den Abbau mühsam errungener bürgerlicher Rechte?

Wie hoch liegt seit dem 11. September die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Opfer eines Terroranschlags werden? 0,01 Prozent, weniger, mehr Prozent? Selbst wenn wir davon ausgehen, die Kofferbomber von Köln hätten Erfolg gehabt, bedroht Sie das mit einem Risiko von eins zu vier Millionen. Rund sieben Mal wahrscheinlicher ist es, als Kind zu ertrinken. Natürlich kommt niemand auf die Idee, Schwimmbäder oder Badeteiche zu verbieten. Aber 76 Prozent der Deutschen geben an, dass sie Angst haben, Opfer eines Terroranschlags zu werden.

Bedrohte Demokratie

"Angriff auf die Freiheit" ist ein mit Daten gespicktes Pamphlet, Daten, an die man allerdings ohne Verletzung des Datenschutzes herankommt. Zahlen und Fakten werden dem Leser in geschliffenen Formulierungen hingeknallt, der vieles, was hier steht, geahnt hat, aber vielleicht doch nicht so genau wissen wollte.

Einerseits könnte man zynischerweise aufatmen, denn 99,9 Prozent der Menschen werden - je nach dem, ob sie zur Mehrheit der Armen oder zur Minderheit der Wohlsituierten zählen - keinem terroristischem Anschlag zum Opfer fallen, sondern an dem sterben, woran sie schon immer gestorben sind: an Hunger, Krieg und Seuchen im einen, an Krankheiten, Unfällen und Altersschwäche im andern Fall. Anderseits sehen die Autoren Gefahren, die unsere Demokratie bedrohen: Dazu gehört der biometrische Fingerabdruck aller EU-Bürger, der über kurz oder lang in einer zentralen europäische Datenbank gespeichert werden soll. Die Juristin Juli Zeh hat beim Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe Beschwerde dagegen eingelegt, Ausgang offen. Dazu gehört Video- und Online-Überwachung, eine Vernetzung von Informationen, deren mögliche Folgen sich die exemplarische Durchschnittsfigur Achim Angepasst im Buch genauso wenig ausmalt wie unsereins.

"Wir haben einen Standpunkt, Ilija und ich, und wir haben alle Argumente zusammengetragen, die unseren Standpunkt veranschaulichen und wir bedienen uns solcher Verfahren, etwas zu ironisieren, zu polemisieren, zu überspitzen, weil das Ziel einfach ist, die Aufmerksamkeit auf diesen Zusammenhang zu lenken", sagt Juli Zeh im Gespräch. "Das ist wirklich eine Kampfschrift, ein Manifest und alles was drin steht ist diesem Zweck auch untergeordnet."

Sorgloser Datenfluss im Internet

Der deutsche Innenminister Schäuble wird zitiert, etwa mit seiner fragwürdigen Ansage, dass ein terroristischer Atomschlag nur eine Frage der Zeit wäre, wir bis zu diesem Tag X aber noch unbeschwert leben sollten. Auch Angela Merkel kommt zu Wort, die diese Ängste offenbar nicht teilt und findet, dass eigentlich alles ganz prima läuft, wir aber trotzdem der Überwachung bedürfen. Warum? Weil - so die Kanzlerin - Videoüberwachung zu den Dingen gehört, die man nicht diskutieren darf, die man einfach machen muss. Da sind die Autoren dezidiert dagegen.

Sinnlos, einer ausgewiesenen Kampfschrift vorzuwerfen, dass es sich um eine Kampfschrift handelt. Geschehen in den Feuilletons von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" bis zur "Welt". Aber die lebendige Diskussion über ein Buch wie dieses findet ohnehin woanders statt: in den Blogs der Internet-Community, also genau dort, wo die Daten über Facebook & Co. besonders sorglos fließen.

"Ich glaube, dass es im Moment einen Generationenkampf gibt, zwischen den Älteren, für die das Internet zwar mittlerweile ein Arbeitsmittel geworden ist, aber nicht wirklich gelebte und vor allem geliebte Realität, und den Jüngeren, die sich hier ihren eigenen Kommunikationsraum schaffen", meint Ilija Trojanow. "Es ist so, dass im Internet viele Illusionen zusammenlaufen, vor allem die, dass man noch selber regulieren kann, was passiert."

Zweck verfehlt

"Noch bleibt die Sensibilität der Bürger weit hinter der Tragweite des Problems zurück", schreiben die Autoren. Und:

Wer sich nur dann an seine Grundrechte erinnert, wenn er sich persönlich geschädigt fühlt, hat entweder nicht verstanden, worum es geht, oder er zeigt sich schlicht verantwortungslos.

Das zu belegen, scheuen Ilija Trojanow und Juli Zeh keine Mühe, denn ein Pamphlet basiert auf harten Fakten und ist nicht mit Science-Fiction zu verwechseln. Videoüberwachung, Rasterfahndung und Online-Durchsuchung haben ihren vorgeblichen Zweck verfehlt, schreiben die Autoren mit gut unterfütterten Daten derer, die es eigentlich wissen müssen, Scotland Yard zum Beispiel. Glaubt man dieser Argumentation, so wurde kein Terroranschlag durch Videoüberwachung verhindert oder aufgeklärt. Aber Personen wie der demokratische US-Senator Edward Kennedy wurden daran gehindert, ein Flugzeug zu besteigen.

"Ich habe immer angenommen, dass Informationen, die gesammelt werden, ob vom Staat oder der Privatwirtschaft, dann auch missbraucht werden können", so Trojanow. "Ich war erstaunt zu sehen, in welchem Umfang das schon vorkommt."

Kriminelles Handeln vorverlegt

Was also ist der reale Zweck der Überwachung?, fragen die Autoren. Null Toleranz gegen Park-, Umwelt- und sonstige Sünder? Nicht, dass es in Ordnung wäre, seinen Müll in die Wiese zu kippen, aber wollen wir eine Gesellschaft, in der diese Art von Delikten mit Ausnahmegesetzen gegen den Terror verfolgt wird? Und was ist mit jenen, die überhaupt nichts verschuldet haben, die als NGOs oder Wissenschaftler für eine offenere Gesellschaft arbeiten?

"Juristisch spricht man von einer Vorverlagerung der Kriminalität", erklärt Juli Zeh. "Also man ist nicht dann kriminell, wenn man etwas kaputt macht oder jemanden verletzt, sondern man ist schon dann kriminell, wenn man einer Gruppe angehört, die vielleicht mal irgendwas kaputt macht oder jemanden verletzt."

Appell an mündige Bürgerinnen und Bürger

"Angriff auf die Freiheit" ist ein mit aufklärererischem Impetus geschriebenes Buch, ein Appell an den mündigen Bürger, ein Buch, in dem es um die Grundrechte geht, die per definitionem für alle gelten müssen. Um unsere Grundrechte genauso wie die von tatsächlichen oder angeblichen Terroristen. Wenn es sich um keine Terroristen handelt, dann sind sie freizusprechen. Wenn es sich nachgewiesenermaßen um Terroristen handelt, dann sind sie zu verurteilen. Nach unserem Strafrecht. Und nicht nach einer undurchsichtigen Sondergesetzgebung, die eine eigene Spezies von Mensch schafft, für die unser Recht nicht gilt.

Wenn das begriffen wird, so hoffen die Autoren, dann könnte die Datenschutzbewegung eine ähnliche Entwicklung nehmen wie die Umweltschutzbewegung.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 27. September 2009, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Ilija Trojanow, Juli Zeh, "Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte", Hanser Verlag

Link
Hanser Verlag - Angriff auf die Feiheit