Wie Pillen uns wacher und gescheiter machen sollen

Gehirndoping für alle?

Ende 2008 publizierten sechs weltweit anerkannte Hirnforscher in der Zeitschrift "Nature" einen Artikel, in dem sie die Freigabe von "cognitive enhancers" anregten. Über die Wirkung von Neuro-Stimulantien auf Gesunde ist aber nur sehr wenig bekannt.

Im Dezember 2008 erschien in der Zeitschrift "Nature" ein Aufsehen erregender Kommentar. Zehn Neurowissenschaftler, Ethiker und auch der "Nature"-Herausgeber Philip Campbell selbst forderten, man möge Pillen, die die Hirnleistung steigern, für Gesunde freigeben. In den USA, so die Autoren, würden schon jetzt viele StudentInnen und Studenten, und ForscherInnen und Forscher auf Neuropharmaka wie Amphetamine zurückgreifen, um ihre kognitve Leistung zu erhöhen. Die Begründung der Autoren:

Der menschliche Einfallsreichtum hat uns viele Mittel geschenkt, mit denen wir unser Gehirn stärken - durch Erfindungen wie die Schrift, den Druck oder das Internet. Die meisten Autoren dieses Kommentars sind Lehrer und bemühen sich, den Verstand ihrer Schüler und Studenten zu kräftigen, einerseits indem sie ihnen gehaltvolle Informationen zuführen, andererseits indem sie ihnen neue und besser Wege zeigen, wie man diese Informationen verarbeiten kann. Wir sind uns alle der Möglichkeit bewusst, dass man den Geist mit adäquater Übung, Ernährung und Schlaf stärken kann. Die Medikamente, über die wir hier schreiben, fallen unserer Meinung nach gemeinsam mit neuen Technologien wie Gehirnstimulation oder Gehirnimplantaten in dieselbe Kategorie wie Erziehung, Gesundheitsbewusstsein und Informationstechnologie - alles Methoden, mit denen unsere einzigartige Spezies sich zu verbessern sucht.

Ritalin zur Hirnleistungsverstärkung

Eines der Medikamente, das bei den "Nature"-Autoren ganz oben in der Liste der Hirnleistungsverstärker steht, ist Ritalin. Hierzulande ist es nur auf Rezept erhältlich, in den USA kann man es frei einkaufen. Dort wird es in rauen Mengen dazu verwendet, hyperaktive Kinder mit einem angeblichen Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ruhig zu stellen bzw. sie dazu zu bringen, sich auf eine Aufgabe konzentrieren zu können.

Auch bei Gesunden soll Ritalin zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und damit zu einer besseren Lernleistung führen, wie Matthäus Willeit, Psychiater am AKH-Wien bestätigt: Ritalin greift in den Dopaminhaushalt ein und verhindert den Dopaminabbau. Das bedeutet, mehr Dopamin verstärkt die Wachheit, hebt die Bewusstseinslage und fördert die Konzentration. Gleichzeitig sinkt die Reaktionszeit und Impulsivität.

Mit Aufputschmitteln klüger?

Ritalin ähnelt in seiner Wirkung übrigens dem Kokain, betont Harald Sitte, Neuropharmakologe an der Medizinischen Universität Wien. Aber macht dieses Aufputschmittel Menschen tatsächlich klüger oder merkfähiger?

"Natürlich ist eine Verbesserung der Gehirnleistung möglich, wie man zum Beispiel bei Alzheimer-Patienten dokumentiert hat. Was man aber nur sehr schwer sagen kann ist, dass jeder von so einer Substanzeinnahme profitieren kann", meint Sitte. Die Autoren des "Nature"-Artikels sind da ganz anderer Meinung:

Im Sport gilt eine pharmakologisch induzierte Leistungssteigerung als Betrug. Und zwar deshalb, weil es gegen die Regeln ist. Gute Regeln müssten unterscheiden können zwischen den heutzutage erlaubten kognitiven Leistungsverstärkern wie Nachhilfelehrern oder doppelten Espressi und neueren Methoden, wenn man sie verbieten sollte. Aufgrund unserer Überlegungen plädieren wir dafür, dass geistig zurechnungsfähige Erwachsene ihre Gehirnleistung durch Medikamente verbessern können sollten.

Wirkung und Nebenwirkung

Wo eine Wirkung ist, da ist nach einem klassischen Gesetz der Pharmakologen immer auch eine Nebenwirkung. So wie bei Ritalin und anderen Amphetaminen, also Aufputschmitteln, betont Matthäus Willeit: "Wenn solche Substanzen hochdosiert über längere Zeit, das können auch nur einige Tage sein, eingenommen werden, dann führt das meistens zu psychotischen Zustandsbildern, das heißt, die Leute bekommen Wahnvorstellungen, sehen und hören Dinge, die nicht da sind. Jeder, der über längere Zeit hochdosiert Amphetamine zu sich nimmt, der wird wahrscheinlich psychotisch werden."

Eines der zentralen Probleme für Matthäus Willeit und seine Kollegen: Neuropharmaka sind in ihrer Wirkweise nicht so einfach zu durchschauen, da auch die Grundstimmung des Patienten zum Effekt beiträgt. Zudem sind Wirkungen an Nebenwirkungen gekoppelt, wie man am Beispiel Prüfungsangst zeigen kann.

So könnte man bei Prüfungsangst natürlich Beruhigungsmittel einnehmen. Das Problem dabei ist, dass Beruhigungsmittel nicht nur die Angst einschränken, sondern gleichzeitig auch die intellektuelle Leistungsfähigkeit einschränken. Das heißt, der Prüfling ist sicher sehr gelassen, hat sich aber gleichzeitig die Chance genommen, all seine Möglichkeiten abzurufen. Umgekehrt könnte man sagen: Wenn man die Aufmerksamkeit erhöht, steigt auch das Angstpotenzial.

Wirkung nur bei Leistung

Laien und Interessierte konnten unter dem "Nature"-Artikel im Netz Kommentare hinterlassen. Einer davon weist auf ein weiteres Problem hin. Kognitive Leistungen setzen die Mitarbeit des Betroffenen voraus - anders als etwa Antibiotika:

Es gibt ein fundamentales Missverständnis über die Natur der Hirnleistungsverstärker. Ich habe diese Dinge schon in den 80er Jahren studiert. Seitdem hat sich wenig verändert, abgesehen davon, dass die Nebenwirkungen etwas weniger wurden.
Anders als stimmungsverändernde Medikamente brauchen die Kognitionsverstärker die Kooperation des Betroffenen, damit sie funktionieren. Sie verhalten sich weniger wie ein Antibiotikum, das auch wirkt, wenn man sie nur nimmt, sondern viel mehr wie Anabolika - die wirken nur, wenn man sich tatsächlich an den Fitnessgeräten abschindet. Hirnleistungsverstärker verlangen von Ihnen Strategie, oder noch besser: eine kognitive Strategie und gewisse Verhaltensweisen, die das neurochemische System fördern, auf die die Droge wirkt. Kein Medikament wird jemals eine fehlende Strategie ersetzen können.


Auch der Biologe und Philosoph Rüdiger Vaas wies darauf hin, dass Intelligenz durch Chemie reinem Wunschdenken entspricht. "Wer Pillen schluckt, nimmt noch kein Wissen zu sich, so Vaas, allenfalls können die Enhancer die Ausdauer, Konzentration oder Merkfähigkeit verbessern. Lernen muss man trotzdem noch, so schön ein Nürnberger Trichter auch wäre."

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 29. SEptember 2009, 19:05 Uhr

Link
Nature - Towards responsible use of cognitive-enhancing drugs by the healthy