Eine Reaktion von Programmchef Alfred Treiber

Zur causa prima von Ö1

Zur causa prima scheint die neue Satire(Kabarett)-Sendung "Welt Ahoi" geworden zu sein. 25 Minuten am Sonntagvormittag erregen die Gemüter derartig, dass ich mehrfach aufgefordert worden bin, dazu Stellung zu nehmen. Was hiermit geschieht.

Die Aufregung eines Teiles unseres Publikums wegen der Einstellung des über 30-jährigen Dauerbrenners "Guglhupf" war bereits so groß, dass klar war, die "Nachfolge"-Sendung würde von eben diesem Teil des Publikums in der Luft zerrissen werden - egal was wir an diesem Sendeplatz bringen wollten. Einfach war es nicht. Es haben zwar Gespräche mit mehreren Kabarettisten stattgefunden, sie endeten aber alle bei der Scheu der Angesprochenen vor der arbeitsmäßigen und finanziellen Herausforderung einer aktuellen wöchentlichen Sendung.

Schließlich fiel unsere Wahl auf Puntigam, Palfrader, Maurer, Ratschiller und Hofstätter, die sich als neu formiertes Team an die gar nicht leichte Aufgabe heranwagten. Also wagten wir es auch, ahnend was folgen würde.

Was folgte, hat mich, zugegeben, dann doch überrascht. Nicht die Tatsache der weitgehenden Ablehnung, sondern das Ausmaß an Unduldsamkeit, Unflätigkeit, ja blankem Hass, das Ö1 und auch mir persönlich entgegengebracht wurde. Da war von Schas und Scheiß die Rede, von Schwachsinn, unzumutbarer Niveaulosigkeit, einer "Strache-Veranstaltung", die sofort eingestellt zu werden hat - und, als Draufgabe, ich sollte mich doch möglichst bald in die Pension schleichen, weil ich doch schuld an allem wäre…

Abgesehen davon, dass ich durchaus Verantwortung zu übernehmen bereit bin und (diesbezüglich zufällig) ohnehin bald in Pension gehe, muss es mir vorher noch erlaubt sein, festzustellen, dass die Reaktionen vielfach weit unter dem Niveau der angeblichen Niveaulosigkeit der Sendung lagen. Wie hier geifernd, rabiat, mit verbalem Schaum vorm Mund und demonstrativer Intoleranz der Ö1-mäßige Weltuntergang beschworen wurde, ist für ein überdurchschnittlich gebildetes Publikum, das wir ja haben und auf das wir stolz sind, zumindest erstaunlich und dem Anlass in keiner Weise angemessen.

Die erste Sendung war, zugegeben, ein von den Protagonisten kalkulierter Schock, die zweite und dritte waren aber bereits, wie ich meine, Therapie. Und auch aktuell. Denn der Migrations-Sketch mit dem Liedermacher, der weder Liedermacher ist noch Stasi-Verfolgter, sondern das nur behauptet, um medial überhaupt wahrgenommen zu werden und der letztlich sein Geld damit verdient, dass er sächselnden Ossis das bei den Wessis viel beliebtere bayerisch beibringt, war nicht nur komisch, sondern durchaus politisch. Und wer beim Choral der Hörerproteste, dargebracht vom "Gebets- und Gesangskreis rückfälliger Agnostiker", nicht zumindest lächeln konnte, dem ist diesbezüglich nicht zu helfen. Vom auszuweisenden Panda nicht zu reden...

Man wird sich weiter ärgern müssen. Denn weder "schleich" ich mich deswegen sofort in Pension (von "schleichen" wird sowieso keine Rede sein) noch wird die "Scheiße" eingestellt. Auch der Ruf nach dem Zensor wird ungehört verhallen, denn ich denke nicht daran, diese unangebrachte Rolle zu spielen. Unangebracht deswegen, weil es gerade bei einem Kultursender ein paar Nischen geben muss, die als Freiräume zu verstehen sind und wo "Verantwortung tragen" nicht in "Macht ausüben" umschlagen soll. Zu diesen Freiräumen gehören meiner festen Überzeugung nach neue Kunst (a la "Zeit-Ton" und "Kunstradio"), Hörspielexperimente und Satire.

Bei der dritten Ausgabe, die wir hinter uns haben, habe ich besonders auf die angebliche Anhäufung von Fäkalausdrücken geachtet, aber keine gehört. Aber ich scheine ja überhaupt anders zu hören. Mag ja sein, dass "Welt Ahoi!" nicht immer jenes Quantum Humor hat, das unser überkritisches Publikum verlangt (vermutlich auch ein verkehrtes Verlangen), aber weder die Sendungen von "Welt Ahoi!" noch die Protagonisten, das muss ich schon feststellen, sind blöd. Vor allem bringt uns das Ausspielen der "alten" Kabarett-Sendung gegen die "neue" nicht weiter.

Der "Guglhupf" hat seine Meriten gehabt und war eine erfolgreiche Marke. "Welt Ahoi!" muss sich seine Meriten erst erwerben und erst zu einer Marke werden. Das wird aber durch unstatthafte Vergleiche und intolerantes Verlangen (hätte beinahe Sudern geschrieben) nach der Vergangenheit sinnlos erschwert. Leute jedenfalls, die beim sympathisch-harmlosen "Guglhupf" "scharfe" und "kritische" Polit-Satire vernommen haben wollen, müssen wohl eine andere Sendung in Erinnerung haben. Und wenn ich verdächtigt werde, mich durch die Abschaffung bei den Politikern Liebkind machen zu wollen, dann empfinde ich das als den Gipfel der Lächerlichkeit. Liebkind will ich mich höchstens bei unserem Publikum machen - und selbst das scheint in diesem Fall nicht zu gelingen…

Mag auch sein, dass Leute recht haben, die "Welt Ahoi!" an einem falschen Sendeplatz sehen. Wir wollten der Gewohnheit Rechnung tragen, nach der es eben am Sonntagvormittag eine Kabarett-Sendung gibt. Sollte sich nach angemessener Zeit herausstellen, dass uns die Hörerinnen und Hörer nicht folgen und die Reichweiten zu diesem Zeitpunkt signifikant sinken, werden wir reagieren. Das wissen wir aber erst nach Radiotest und Radiotagebuch Anfang nächsten Jahres. Bis dahin heißt es: Nerven bewahren!

Ansonsten ist sozusagen alles Bestens.

Ö1 hat eine nie da gewesene Aufmerksamkeit erfahren, hat ein Zeichen gesetzt, dass es für alt und jung da ist, hat die Befürworter der neuen Kabarettsendung aus der Reserve gelockt und eine enorme Protestwelle gegen die vermeintlich verletzten Grund-Anliegen eines Kultursenders ausgelöst.

Die nicht gerade schmeichelhaft gemeinte Bemerkung eines Journalisten, dass die Reaktion auf "Welt Ahoi!" "manches über das Publikum aussagt", sehe ich persönlich positiv. Denn wenn sich dieses Publikum auch das falsche Objekt ausgesucht haben mag, so zeigt doch die rabiate Reaktion auf eine vermutete kulturlose Demontage von Ö1 ein beachtliches und letztlich bewundernswertes Engagement, über das wir bei anderer Gelegenheit vielleicht noch froh sein werden…

Text: Alfred Treiber
Kultur- und Programmchef Ö1

PS: Bei den Print-Journalisten zeigt sich "Welt Ahoi!" in einem anderen Licht. Der "Standard" ortet zwar "Plattheiten im absurden Humor", nennt die Sendung aber einen "Glücksfall für Ö1". Die "Kleinen Zeitung" findet, dass die Sendung "gehört gehört". Und im "Kurier" schreibt Anna Gasteiger: "Ein Grund, am Sonntagvormittag wieder Ö1 zu hören".

Und noch etwas: Manche geben uns den gut gemeinten Rat, diesen absurd-schrägen Humor zu FM4 zu übersiedeln. Nun ist es aber Teil des Ö1-Erfolgsrezeptes, keine relevanten Publikumsschichten zu anderen Sendern zu schicken. Die entscheidende Frage ist nur, ob es sich bei den Liebhabern dieser Art von Sendungen um eine für Ö1 relevante Publikumsschicht handelt. Das wird sich aber erst dann zeigen, wenn wir nicht sofort bei jedem rabiaten Publikumsreflex in die Knie gehen, sondern, wie es sich für Ö1 gehört, nachhaltig untersuchen.

Letztlich: Herrschaften, bitte!! Wir reden hier über eine kleine 25-Minuten-Sendung und nicht über einen Tsunami oder das letzte Gericht...