Im Zeichen des Umweltschutzgedankens
Grünes grün aufnehmen
Von Anfang an ging es den Betreibern der Musikplattform und des Labels Grünrekorder nicht nur um das klangliche Festhalten der grünen Umwelt, sondern vielmehr auch um eine dabei grüne, umweltbewusste Arbeitsweise.
8. April 2017, 21:58
Schwertwale bei der Karusselljagd
Grünrekorder, der Name ist Programm, denn Mode hin oder her, mittlerweile würden wir es uns gar nicht mehr leisten können, eben nicht grün zu denken, so Lasse-Marc Riek, einer der Begründer und künstlerischen Leiter der Musikplattform. Er und die Leute rund um Grünrekorder würden einfach versuchen, ihren Teil zum Umweltschutz beizutragen, indem sie Beispiel geben.
Und in Anbetracht des Ernstes der Lage weist Lasse-Marc Riek dann auch das Wort Mission nicht zurück, wobei dem Künstler und Aktivist dabei sehr wohl bewusst ist, dass er damit nun den Kritikerinnen und Kritikern Angriffsfläche bietet. Leider würden sich nämlich im Allgemeinen die Dinge im Bereich der Musik hier eher schleppend weiterentwickeln. Die Musikerinnen und Musiker sollten doch bitte einmal die Gitarre aus der Hand legen.
Für ein aktives Eingreifen
Stattdessen könnten sie etwa in den Supermarkt gehen, um darum zu bitten, dass die Hintergrundmusik dort abgestellt oder zumindest leiser gedreht werde. Und sie könnten sagen, dass sie andernfalls dort einfach nicht mehr einkaufen würden, weil sie nämlich zum Einkaufen keine Hintergrundmusik bräuchten.
Lasse-Marc Riek: "Wir müssen uns nicht hinter unseren Projekten verstecken, sondern wir können auch wieder auf die Straße gehen - mit neuen Mitteln. Wir können Audioinstallationen bauen, die unsere Anliegen thematisieren. Wir können sämtliche Foren erschließen, um uns zu gruppieren und um Ideen zu sammeln. Es ist alles möglich! Wir sollten unsere Zeit nicht nur bei MySpace verschwenden, um Freunde zu sammeln, die wir nie in unserem Leben kennenlernen werden, sondern wir sollten uns viel eher selber fragen, ob wir das alles verantworten können, was wir dort tun, und wir sollten diese Frage auch nach außen hin stellen."
Umweltbewusstsein statt Technikfetischismus
Natürlich sei eine entsprechende technische Ausrüstung für das Arbeiten mit Feldaufnahmen wichtig, so Riek, oftmals arte die Beschäftigung mit der Aufnahmetechnologie aber in einen regelrechten Technikfetischismus aus. Der Dialog über die verwendete Technik würde in den einschlägigen Foren viel stärker geführt, als etwa der über philosophische, politische oder soziale Aspekte des Themas, kritisiert Lasse-Marc Riek, nicht nur bei Neuankömmlingen, sondern auch bei Alteingesessenen: "Man muss schon seinen Porsche in die Wüste mitnehmen."
An der Grenze des Aufnehmbaren
Apropos mit dem Porsche in die Wüste fahren, von dort hat Lasse-Marc Riek ein ganz besonders spannend klingendes Erlebnis zu erzählen. Die Begegnung mit einem extremen Naturraum ließe sich klanglich ja oft gar nicht festhalten, meint er, das konnte er an vielen Orten bereits feststellen.
"Ganz extrem war es in der Wüste von Namibia", berichtet Riek. "Ich bin dort eine etwa 300 Meter hohe Wanderdüne hoch gelaufen und habe geglaubt, den Wind zu hören, und auch die Düne an sich, bis ich dann bemerkt habe, dass ich einfach nur mehr meinen eigenen Körper gehört habe."
Reisen lassen statt selber reisen
Die Leute von Grünrekorder wollen ihn führen, den philosophischen, politischen und sozialen Dialog rund um das Aufnehmen und musikalische Arbeiten mit Feldaufnahmen, und sie führen ihn auch.
"Müssen wir zum Beispiel wirklich überall hinreisen?", fragt Riek "Also muss ich jetzt auch noch den Gletscher Nummer 15 aufnehmen, wenn der schmilzt? Kann ich nicht stattdessen die Kollegin Andrea Polli zu meiner Plattform holen, die dort schon arbeitet, und sie einladen, eine Veröffentlichung zu machen - was wir dann mit 'Sonic Antarctica' auch getan haben."
Walgeräusche als Klangkunst
Mit der Klanglandschaft im hohen Norden beschäftigt sich eine weitere Grünrekorder-Veröffentlichung. Seit etlichen Jahren bereits fährt Heike Vester, Biologin, Bioakustikerin und Gründerin der Plattform "Ocean Sounds" auf die arktischen Meere hinaus, um die dort lebenden Meeressäuger aufzunehmen. Die Kommunikationslaute dieser stehen in den Stücken für ihre CD "Ocean Sounds" dann auch deutlich im Vordergrund. Interessant sei dabei nicht zuletzt, so Riek, dass die Suche nach Harmonie und Ästhetik unmittelbar einsetzen würde, denn vom Klang der umliegenden Landschaft weitgehend befreit würde das Verhältnis der Kommunikationslaute zueinander plötzlich "wahnsinnig konstruiert" klingen.
"Der Mensch hat hier die Sehnsucht, Vergleiche heranzuziehen und Analysen zu machen", führt Riek weiter aus, "aber dann merkt man, dass hier gar nichts generiert ist." Die Klänge würden zwar vielleicht an Klangkunst erinnern, und die CD "Ocean Sounds" wurde von vielen Musikjournalistinnen und -journalisten auch dahingehend rezensiert, tatsächlich aber seien sie lediglich Funktionsklänge.
Die Aufnahmeverweigerung als kompositorische Idee
Zu seiner eigenen musikalischen Vorgehensweise befragt, meint Riek, dass diese jeweils vom Thema abhängig sei, und von der kompositorischen Aufgabenstellung, insofern diese überhaupt vorhanden ist. Bei Naturaufnahmen sei er jedenfalls von der Verfremdung und Bearbeitung des Aufgenommenen immer mehr abgekommen, als er bemerkte, dass der geschlossene Kontext, den die Klänge bereits mit sich bringen dermaßen ausgestaltet und harmonisch ist, dass es dem eigentlich nichts Bereicherndes mehr hinzuzufügen gibt.
Lasse-Mark Riek: "Wenn man überhaupt von Komposition sprechen will, so wird für mich das auf die Stopp-Taste drücken immer mehr zu einem kompositorischen Mittel. Christoph Korn und ich betreiben ein gemeinsames Projekt, die 'Series Invisible', bei dem wir so weit gehen, dass wir Orte sozusagen verhüllen, indem wir die Aufnahmen, die wir dort gemacht haben wieder löschen. Es gibt also gar keine Tonspur mehr, nur ein Zitat, eine Notation von dem Ort, an dem gearbeitet worden ist, eine Notiz in der steht, um welchen Ort es sich handelt, wann man dort war und wie lange die Aufnahme war. Es gibt keinerlei Hörinformation mehr."
Hör-Tipps
Zeit-Ton, Freitag, 19. November 2009, 23:03 Uhr
Kunstradio - Radiokunst, Sonntag, 8. November 2009, 23:03 Uhr
CD-Tipps
Heike Vester, "Marine Mammals and Fish of Lofoten and Vesteralen - Recorded by oceansounds", gruen 066
Andrea Polli, "Sonic Antarctica" gruen 064
Links
Grünrekorder
Ocean Sounds