Ist der mimische Ausdruck von Emotionen überall gleich?

Der Ausdruck der Gemütsbewegungen

Stellen Sie sich vor, Sie würden in eine Kultur versetzt, die noch nie mit unserer Zivilisation Kontakt hatte. Sie können kein Wort der fremden Sprache und müssten den Gemütszustand Ihres Gegenübers an seinem Verhalten und seinem Gesicht. Abschätzen.

Charles Darwin war einer der ersten, der sich eingehend und systematisch mit dem Ausdruck der Gemütsbewegungen vor allem im Gesicht beschäftigte. Durch und durch sorgfältiger Wissenschaftler, der er nun einmal war, machte seine analytische Beobachtung auch bei der eigenen Familie nicht halt.

Schon bei seinem Sohn William, dem ersten von insgesamt zehn Kindern, machte er genaue Aufzeichnungen über jede Körperregung, unter anderem auch über die Grimassen, die William schnitt, wenn er schrie oder sich offensichtlich freute. Und er stellte erste Überlegungen an, wie sich gewisse Gesichtsausdrücke als Ausdruck bestimmter Emotionen entwickelt haben könnten. Zum Beispiel das Weinen. Ihm fiel auf, dass Kinder in den ersten Lebenswochen beim Schreien noch nicht weinen, große, über die Wangen kullernde Tränen kommen erst später dazu. Und noch später bleibt das Weinen ohne Schreien, und Kummer zeigt sich lautlos durch eine gefurchte Stirn an.

Acht emotionale Grundzustände

Seine eigenen Kinder waren aber keineswegs Charles Darwins einzige Beobachtungsobjekte. Er sandte Zeichnungen und Fotos von Gesichtern mit unterschiedlichen Mimiken in die entferntesten Winkel des British Empire und bat seine Briefpartner, diese Dokumente den jeweiligen "Eingeborenen" vorzulegen. Die sollten dann sagen, ob sie in den Gesichtsausdruck auf den Bildern jeweils die gleiche dahinterliegende Emotion hineinlasen, wie Briten des viktorianischen Zeitalters das tun würden. Außerdem schickte Darwin Fragebögen in alle Welt, in denen er wissen wollte, ob die Menschen in verschiedenen Regionen der Erde bei Freude, Wut oder Trauer auch diesen oder jenen Gesichtsmuskel nach oben, unten oder hinten zogen.

Darwin verglich die Resultate seiner Fernbefragungen noch mit eigenen Beobachtungen an Menschen und an Tieren. Auf diese Weise gelangte er zu der Ansicht, dass es acht emotionale Grundzustände gäbe, die überall auf der Welt gleich ausgedrückt würden: Freude, Angst, Trauer, Wut, Überraschung, Abscheu, Verachtung und Scham.

Ein zweiter Anlauf

Diese Erkenntnis kam im Laufe des 20. Jahrhunderts stark in Verruf, nicht zuletzt wegen der Methodik: suggestive Fragebögen zu verschicken wurde als ebenso wenig tauglich für eine Vergleich verschiedener Kulturen erachtet, wie die Tatsache, dass nur mit europäischen Begrifflichkeiten für Emotionen gefragt wurde.

Wenn eine Kultur kein Wort für Trauer kennt, hilft auch die beste Übersetzung nicht, nach einem Gesichtsausdruck für Trauer zu fragen. Dieses Problems war sich gut 90 Jahre nach Darwins Buch auch Paul Ekman bewusst. Der US-amerikanische Psychologe wollte die Frage, inwieweit der Gesichtsausdruck von Emotionen angeboren und weltweit gleich sei, endgültig klären - und reiste dazu selbst nach Papua Neuguinea, um seine Fotos den Menschen dort zu zeigen, die in Jäger-Sammler-Gemeinschaften lebten und bis dahin keinen oder kaum Kontakt zu anderen Kulturen gehabt hatten.

Die Fotos zeigten nordamerikanische Schauspieler, die verschiedene Emotionen darstellten. Dazu ließ Paul Ekman den Menschen eine Liste mit möglichen Emotionen vorlesen, sie sollten dann auf das Bild mit dem jeweils dazu passenden Gesichtsausdruck deuten. Das funktionierte allerdings schlecht bis gar nicht, die Liste der Emotionen ließ sich kaum übersetzen. Für die nächste Feldsaison im Jahr darauf überlegten sich Ekman und seine Mitarbeiter daher eine andere Methode: sie erzählten den Menschen kleine Geschichten.

Paul Ekman führten seine eigenen und von Kollegen durchgeführte ähnliche Untersuchungen zu dem gleichen Schluss, zu dem einst auch Darwin gekommen war: Der Gesichtsausdruck von Emotionen ist universal. Das gilt, je nach Interpretation der Ergebnisse, für sechs bis acht Grundemotionen.

Der Mensch, ein biosoziales Wesen

1872 erschien "Der Ausdruck der Gemütsbewegungen beim Menschen und den Tieren". Ein Jahr nach Erscheinen der "Abstammung des Menschen" hatte Charles Darwin, 63-jährig, damit seine Veröffentlichungen zur Natur und Entstehung des Menschen abgeschlossen. Er hatte seine Theorien zur Evolution alles Lebendigen, die er 1859 erstmals in der "Entstehung der Arten" beschrieben hatte, damit in vielen Details explizit auch auf den Menschen angewandt.

Natur und Kultur, Angeborenes und Erlerntes sind keine schroffen Gegensätze. Wir sind biosoziale Wesen, unser Geist ist körperlich und spiegelt unser individuelles Leben und das unserer Vorfahren wider. Darwin war damit mit seinen Untersuchungen nicht nur in der Biologie bahnbrechend, folgert Paul Ekman, sondern auch in den Sozialwissenschaften. Bahnbrechend - und, in letzteren, ebenso anregend wie umstritten.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 15. Dezember 2009, 19:05 Uhr