Die ungewöhnliche Lebensgeschichte des Kim Jong Ryul

Im Dienst des nordkoreanischen Diktators

Dieser Tage erscheint das Buch "Im Dienst des Diktators" von Ingrid Steiner-Gashi und Dardan Gashi. Es geht um einen nordkoreanischen Flüchtling, der sich 1994 nach Österreich absetzte und seitdem hier als U-Boot lebt. Jetzt bricht er sein Schweigen.

Bratislava, 18. Oktober 1994: Eine nordkoreanische Iljuschin steht abflugbereit. An Bord der Transportmaschine sind unter anderem zwei Feuerwehrautos. Insgesamt ein Jahr lang hat ein Einkaufsteam aus Nordkorea die vom Regime in Pyöngyang geforderten Güter in Wien mühsam zusammengekauft.

Delegationsleiter des dreiköpfigen Einkaufsteams ist der 58-jährige Vizedirektor der Fuhrparkabteilung im nordkoreanischen Personenschutzministerium, Kim Jong Ryul. Seit 20 Jahren ist er, angesehenes Parteimitglied und hochdekorierter Oberst, in der ganzen Welt unterwegs, um nicht selten auch verbotene Waren für den großen Führer Kim Il Sung und seine Familie zu besorgen. Doch von dieser Reise im Jahr 1994 soll er nicht in die Heimat zurückkehren.

Nach dem Mittagessen trennt sich die Gruppe kurz, Kim fährt zum Bahnhof in Bratislava und setzt sich in den Zug nach Wien. Von dort fährt er mit seinem Diplomatenpass weiter nach Linz.

Flucht und Leben in Österreich

Nur wenige Stunden nach seiner Flucht läuft bereits eine großangelegte Suchaktion nach dem vermissten Nordkoreaner. Nach Tagen der ergebnislosen Suche wird Oberst Kim Jong Ryul für tot erklärt - er sei wahrscheinlich einem Raubmord zum Opfer gefallen, so die Vermutung.

Die nächsten fünf Jahre lebt der Mann, der gut Deutsch spricht, in einer kleinen Wohnung in Linz-Urfahr - zurückgezogen und unauffällig, illegal und ohne polizeiliche Meldung. Danach zieht er in einen anderen Ort im Osten Österreichs - hier lebt er bis heute unerkannt. Geschäfte auf der Bank oder Arztbesuche erledigt er mit seinem österreichischen Führerschein, den er bereits vor Jahren mit Hilfe eines Geschäftsfreundes in Wien gemacht hat. Er lebt von dem Geld, das er sich durch Rabatte bei Barzahlungen erspart hat.

Frühere nordkoreanische Geschäfte in Österreich

Kim Jong Ryul war von 1974 bis 1994 Einkäufer im Dienste des Diktators. Mithilfe österreichischer Geschäftsleute konnten, so erzählt Kim aus seiner langjährigen Erfahrung, Güter aller Art gekauft werden, auch solche, die unter das Embargo gegen Nordkorea fallen, etwa Waffen, Codier-Telefonanlagen und Fingerabdruck-Identifikationsgeräte.

Diesen Gesetzesbruch bekamen die österreichischen Zwischenhändler fürstlich entlohnt. Kim Il Sung und später Kim Jong Il ließen sich zu Hause mit Luxus made in Austria ausgestattete Villen bauen und sie kauften zahllose Autos der Marke Mercedes für ihre Flotte, während die Bevölkerung unter chronischer Unterernährung leidet und nicht einmal das Allernotwendigste hat.

Fluchtgründe

Kim Jong Ryul wollte, obwohl er zu Hause ein im Vergleich zu seinen Landsleuten privilegiertes Leben führte, nicht mehr unter dem brutalen Regime in Nordkorea leben. Mit seiner Pensionierung hätte er seine Parteimitgliedschaft, die Uniform und die Orden ablegen müssen und hätte all seine Funktionen und Privilegien verloren.

Die Machthaber hatte er satt und die Diskrepanz zwischen den Luxusgütern, die er im offiziell so verteufelten Westen für den Führer und seine Familie besorgen musste, und dem bitterarmen und von Mangel geprägten Leben der normalen Nordkoreaner, war ihm schon lange sauer aufgestoßen.

Warum das Buch?

Warum aber hat sich Kim Jong Ryul entschlossen, nach 15 Jahren im Untergrund in Österreich aus seinem Versteck aufzutauchen, an die Öffentlichkeit zu gehen und seine Geschichte zu erzählen, seine Beweggründe für die Flucht und seinen Hass auf die kommunistische Führung Nordkoreas?

Er sei zwischen die Wahl gestellt, im Untergrund verschwunden zu sterben oder vor dem Sterben noch einen letzten Schrei zu machen, erzählt Kim Jong Ryul. Er müsse über sein Leben noch einmal genau nachdenken, dann werde er von seinem Leben erzählen und schließlich sterben.

Wie wird Nordkorea darauf reagieren?

Kim fürchtet, dass der berüchtigte nordkoreanische Geheimdienst auf ihn losgeschickt wird, sobald herauskommt, was der ehemalige Oberst wirklich getan hat. Eines ist jedenfalls klar: Das Regime in Pyöngyang wird Kims Familie vermutlich in ein Arbeitslager stecken. Mit gutem Leben in der Hauptstadt und Annehmlichkeiten wird es dann vorbei sein. Das weiß auch Kim Jong Ryul, dieses Risiko geht er bewusst ein.

Kim hat sich entschlossen, in Österreich um Asyl anzusuchen. Sein Asylanwalt Andreas Lepschi ist davon überzeugt, dass der Flüchtling in Österreich bleiben kann und dass Kim Jong Ryul politisches Asyl bekommt.

Service

Buch, Ingrid Steiner-Gashi und Dardan Gashi, "Im Dienst des Diktators. Leben und Flucht eines nordkoreanischen Agenten", Ueberreuter Verlag

Ueberreuter
North Korean Economy Watch
Daily NK
Korean News Service (KNS) in Tokyo