Verkümmern MP3s unser Gehör?

Lauter Streit um leise Töne

Über acht Jahre lang wurden Studenten der Universität von Stanford MP3-Dateien in verschiedener Qualität vorgespielt. Das Ergebnis: Junge Leute bevorzugen den Klang einer schlecht komprimierten MP3-Datei gegenüber der unkomprimierten Originaldatei.

Über acht Jahre lang hat Jonathan Berger, ein Professor an der Universität von Stanford, seinen Studenten MP3-Dateien in verschiedener Qualität vorgespielt. Sein Ergebnis: Immer mehr junge Leute bevorzugen den Klang einer schlecht komprimierten MP3-Datei gegenüber der unkomprimierten Originaldatei.

Professor Emil Lubej vom Institut für Musikwissenschaft an der Uni Wien macht seit Jahren mit seinen Studenten das gleiche Experiment: "Über die Jahre muss ich feststellen, dass die Differenzierbarkeit nachlässt. Die Leute hören im Internet MP3s in niedriger Qualität und gewöhnen sich daran", sagt Lubej, "dadurch hören sie den Unterschied zum Original immer weniger."

Nichts für feine Töne

Die MP3-Revolution scheint eine Kehrseite zu haben. In ihren Anfängen waren 128 Kilobit pro Sekunde noch "near CD Quality", doch das war in Wirklichkeit ein Kompromiss mit den langsameren Leitungen von früher.

Noch immer geistert eine Menge dieser Dateien im Internet herum - obwohl es längst nicht mehr schwierig ist, eine höhere Qualität bei variabler Bitrate zu verwenden: "Wenn der Konsument das für ausreichend befindet, soll er sich daran erfreuen", sagt Lubej, "aber ich würde auf jeden Fall mehr als 128 Kilobit empfehlen. Das sollte jeder für sich ausprobieren, denn es hängt auch von der Musikrichtung ab - je feiner die Töne, desto höher sollte die Bitrate sein."

Ausnahme Audiophilie

Besonders konsterniert von dieser Entwicklung ist Christian Fröhlich. Er ist einer von den Leuten, die aus der Klangqualität eine Lebensaufgabe gemacht haben. Er verkauft Audio-Equipment für Klangliebhaber, so genannte Audiophile, und er ist natürlich selbst einer: "Heute wird vielleicht mehr Musik konsumiert als je zuvor, aber ich glaube, dass die Musik früher bewusster gekauft und konsumiert wurde."

Fröhlich sieht das Problem schon bei den Ohrstöpseln, die von Haus aus keinen ausgedehnten Frequenzbereich haben: "Wer sich mit dem Thema Klangtreue beschäftigt, wird merken, dass eine bessere Qualität auch zu einem höherem Genuss bei der Musikwiedergabe führt."

Medien in besserer Qualität, die selbst höchsten Ansprüchen genügen, gäbe es zuhauf. Etwa die Nachfolgerin der CD, genannt "Super-Audio-CD", oder die DVD-A, eine spezielle Musik-DVD. Doch diesen Formaten ist gemein, dass sie in den Regalen liegen bleiben, während Millionen von niedrig auflösenden MP3s weiter auf den iPods dieser Welt angehört werden. Der Konsument hat entschieden: Quantität schlägt Qualität, und die Möglichkeit, immer und überall Musik zu hören, ist wichtiger als glasklarer Klang.

Verdeckte Töne

Hand aufs Herz: Wer weiß schon immer genau, wie viele Kilobit pro Sekunde seine MP3s haben? Denn der Trick der MP3-Technik ist eben, dass sie die Töne weglässt, die der Mensch ohnehin nicht hören kann. Dazu gehören alle Töne außerhalb des Hörbereichs, also etwa von 20 bis 18.000 Hertz. Zum Vergleich: Ein Klavier reicht in den Grundtönen etwa von 28 bis 4200 Hertz.

Dazu kommt der psychoakustische Effekt der Verdeckung. Tönt zeitgleich zu einem Geräusch ein zweites, lauteres, kann es das erste komplett überdecken, sodass der Mensch es nicht mehr hören kann. Deshalb kann der Klang eines Staubsaugers den Ton des Radios komplett überdecken, auch wenn man es ziemlich laut aufdreht.

Alle diese unhörbaren Töne werden weniger genau berechnet, und so kann das fertige MP3 nur noch ein Zehntel der ursprünglichen Audio-Information enthalten. Wer mit kleinen Ohrstöpseln in der U-Bahn sitzt oder durch den Park joggt, bemerkt trotzdem keinen Unterschied. Und bei ausreichend hoher Datenrate lassen sich sogar die feinsten Ohren täuschen.

Weniger ist mehr

Doch bei niedriger Datenrate kann es beim Komprimieren zu Artefakten kommen, die hörbar sind - zumindest für Ohren, die sich noch nicht daran gewöhnt haben: "Das hängt auch mit einem Wissen zusammen", sagt Emil Lubej, "wenn ich den Leuten vorher sage, sie sollen zum Beispiel auf das Becken hören, können sie auch eher den Unterschied feststellen."

Denn gerade bei klaren, hohen Tönen, wie ein Becken, eine Triangel oder ein Glockenspiel sie erzeugt, sind diese Artefakte hörbar. "Man sollte seine Ohren auch pflegen und auf sie aufpassen, damit sie solche Unterschiede weiter wahrnehmen können", sagt Lubej. Und dazu gehört auch, den MP3-Player besser hin und wieder zu Hause zu lassen. Denn gerade die ständige Berieselung mit Musik tut dem Gehör keinen guten Dienst: "Wenn man nicht so übersättigt ist, hört man bewusster zu. Nicht nur von der Klangqualität, sondern auch vom Inhalt."

Im Blog des Audiomagazins NoiseAddicts gibt es einen Vergleichstest mit zwei MP3s - eines in 128 Kbit, eines in 320. Auch dort hat eine knappe Mehrheit das MP3 mit niedriger Datenrate zum falschen Gewinner gekürt - hätten Sie den Unterschied gehört?

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