Visionen einer Digitalen Demokratie

Politik 2.0

Die sozialen Netzwerke im Internet werden unser Politikverständnis von Grund auf verändern: aus Politikverdrossenheit wird Beteiligungsbedürfnis. Ein Sammelband über Digitale Demokratie fordert jetzt einen Neustart unseres demokratischen Systems.

Soziale Netzwerke im Internet bieten nicht nur neue Möglichkeiten für politisches Handeln, sondern schaffen auch neue demokratische Bedürfnisse. Ein solches Bedürfnis ist das nach Information und Transparenz.

Wenn es die Technik erlaubt, diverse Informationen allen zugänglich zu machen, und wenn das in immer mehr Bereichen auch üblich ist, dann haben die Bürger und Bürgerinnen immer weniger Verständnis dafür, wenn ihnen Regierungen Informationen vorenthalten. Die Menschen wollen wissen, wie politische Entscheidungen zustande kommen. Sie wollen Einblick, wie öffentliche Gelder ausgegeben werden.

Bürger bearbeiten Regierungsdaten

Großbritannien macht vor, wie Transparenz funktionieren könnte: Auf der Plattform data.gov.uk stellt die britische Regierung seit Ende Jänner an die 3.000 nicht-personenbezogene Datensätze frei zur Verfügung: darunter Statistiken über alkoholbedingte Gewaltverbrechen, über Luftverschmutzung bis hin zu Verkehrsstaus.

Das ambitionierte Projekt ist der umfangreichste Open Government Data-Katalog weltweit. Und zahlreiche Bürger haben das Angebot bereits wahrgenommen und Applikationen entwickelt: Parkopedia zum Beispiel sucht von jedem beliebigen Ort in Großbritannien aus den nächstgelegenen Parkplatz. Die Applikation "Where does my money go?" - also wohin geht mein Geld? - analysiert und visualisiert die Ausgaben der britischen Regierung.

Kreativität ohne Geld und Ruhm

"Da kann man unglaublich viel machen und das ist nur durch Transparenz und Offenlegung von Daten möglich. Das Netz spielt dabei einfach die Rolle, dass es diese Möglichkeit zu Null Kosten zur Verfügung stellt", sagt Ulrike Reinhard, Herausgeberin des Buches "Reboot_D: Digitale Demokratie – Alles auf Anfang".

Noch vor zehn Jahren hätte es wohl kaum jemand für möglich gehalten, dass tausende von Menschen ihre Kreativität und ihr Wissen unentgeltlich zur Verfügung stellen, um Dinge zu entwickeln, die der Gesellschaft von Nutzen sind. Aber sie tun es. Bestes Beispiel: Wikipedia, das mittlerweile umfassendste Internet-Lexikon. Die Menschen, die dieses Lexikon laufend erweitern, bekommen weder Geld noch Ruhm, denn sie schreiben die Einträge weitgehend anonym.

Systematisch lernen, seinen Senf dazu zu geben

Ein weiteres Bedürfnis, ist das nach politischer Partizipation. "Wenn Menschen etwas auf Facebook posten, oder täglich Twitter-Meldungen in die Welt schicken, dann trainieren sie Beteiligung", sagt Thomas Gebel, der ebenfalls am Buch "Reboot_D" beteiligt war. Daher werden es sich die jüngeren Generationen auf Dauer nicht gefallen lassen, von der Politik nicht häufiger und systematischer gefragt zu werden, was sie denken.

Seiner Meinung nach, werde die digitale Demokratisierung unserer Gesellschaft in drei Schritten verlaufen. Schritt eins: soziale Bewegungen nutzen das Netz um sich zu mobilisieren. Diese Entwicklung ist bereits im vollen Gange. Beste Beispiele hierfür sind die iranische Demokratiebewegung und die europaweiten Proteste der Studierenden, die bei den Besetzern und Besetzerinnen des Wiener Audimax ihren Ausgang genommen haben.

Interaktives Diskussionsportal statt Kronenzeitung?

Die zweite Stufe funktioniert dann andersrum, also von oben nach unten: Regierungen erkennen das Potential der sozialen Netzwerke und nutzen sie gezielt zur Befragung des Volkes, zum Beispiel in Form von Ideenbörsen im Internet, so genannten eConsultations.

Die dritte Stufe nennt Gebel "die hohe Kunst der ePartizipation": Menschen nehmen laufend zu verschiedenen Themen Stellung. Zum Beispiel über ein offizielles Internet-Portal. "Sie hätten dann 365 Tage im Jahr laufende Diskurse. Und sie hätten elektronisch gestützte Verdichtungs- und Auszählungsmöglichkeiten. Dann hätten sie ein sehr komplexes Trendbarometer. Wenn ich jetzt Bundeskanzler wäre, dann würde ich nicht morgens die Tageszeitung mit der größten Auflage aufschlagen, um des Volkes Stimme zu erfahren, sondern dann würde ich als erstes schauen, was waren denn die Trends der letzten Tage im Meinungsportal", sagt Thomas Gebel.

Digitale Demokratie gegen Rechtspopulismus?

Bürger und Bürgerinnen bringen sich längerfristig eher bei solchen Themen ein, wo sie sich kompetent fühlen. Das hätte das zur Folge, dass die politische Debatte sachlicher werden würde, sind die Autoren und Autorinnen von "Reboot_" überzeugt.

"In dem Moment, wo die Transparenz da ist, wird man an dem gemessen, was man sagt und wie man dann danach handelt. Deswegen glaube ich, dass Transparenz und Offenheit Treiber für eine vernünftigere Politik sind", sagt Ulrike Reinhard.

Das werde auch dem Rechtspopulismus den Wind aus den Segeln nehmen, sagt Co-Autor Peter Kruse. Denn dieser benutze das Bedürfnis der Menschen nach einfachen Erklärungen in einer komplizierten Welt. Doch damit könne man auf Dauer im Netz nicht punkten.

Politik wird farblos

Ebenso wenig werde das politische Lagerdenken in seiner traditionellen Form langfristig bestehen, so Kruse. Politische Ideologien von Schwarz - Rot - Blau - Grün seien schon jetzt dabei, zu verschwimmen. Parteien könnten in Zukunft nicht mehr Gesamtlösungen für alle Bereiche der Gesellschaft anbieten.

Digitale Demokratie erfordert einen neuen Typus von Politiker: Im Netz punktet, wer offen und authentisch ist, sagt Peter Kruse. Der Politiker und die Politikerin von morgen müssten sich damit abfinden, die Themenhoheit an die Netzgemeinde abzugeben. Denn im Web entscheidet nicht der, was interessant ist, der Information hineinstellt, sondern die Masse der User und Userinnen. Der digitale Neustart unserer Demokratie wird spannend, sagen die Autoren von Reboot-Deutschland.

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Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 21. März 2010, 22:30 Uhr

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