Der Kampf um Aneignung von Brachland

Bei den Landbesetzern von Alagoinhas

Land ist in Brasilien so ungleich verteilt, wie kaum wo auf der Welt. Es gibt ein paar wenige Großgrundbesitzer und Millionen von Landlosen, die in bitterer Armut leben. Diese haben eine Bewegung gegründet und besetzen Grundstücke, die niemand bebaut.

"Das hier ist eine historische Landbesetzersiedlung", erklärt uns der Landlosenaktivist Adailton de Oliveira. "Ja, eine historische Siedlung", wiederholt sein Vater Valdemir. "Hätten wir dieses Land damals nicht erkämpft, dann gäbe es die ganzen anderen Siedlungen rundherum gar nicht. Wir waren die Pioniere."

Das Assentamento Alagoinhas liegt im Landesinneren des Bundesstaates Bahía in Nordostbrasilien, zirka 30 Kilometer von der Stadt Jacobina entfernt. Wir befinden uns hier im sogenannten Sertao, einer halbwüstenartigen Landschaft. 47 Familien leben in Alagoinhas. Seit mittlerweile 15 Jahren.

Brachland der Großgrundbesitzer

Als "Assentamento" bezeichnet man Siedlungen beziehungsweise Ländereien, die ursprünglich von Landlosen besetzt wurden, aber mittlerweile bereits rechtmäßig in deren Besitz übergegangen sind. Die brasilianische Verfassung sieht nämlich vor, dass fruchtbares Land, das brach liegt, den ursprünglichen Besitzern weggenommen und an Kleinbauern verteilt werden kann.

"Aber natürlich wird die Regierung hier nicht von selbst aktiv, sondern erst, wenn es einen Konflikt gibt", erklärt uns der österreichische Landlosenaktivist Thomas Bauer. Der Vorarlberger lebt seit 15 Jahren in Bahia und arbeitet hier für die Comissao Pastoral da Terra (CPT), eine kirchliche Organisation, die Landlose in ihrem Kampf um Grund und Boden unterstützt.

Landbesitz ist in kaum einen Staat so ungleich verteilt, wie in Brasilien: Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 80 Prozent der Fläche. Daneben sind Millionen von Familien in ruralen Gebieten landlos.

Unterstützung durch die Kirche

Um eine Enteignung zu erzwingen, besetzen besitzlose Landarbeiter und Landarbeiterinnen mitunter brachliegende Grundstücke. Sie errichten dort provisorische Zeltlager und versuchen, über die Gerichte eine Zwangsenteignung zu erreichen. In diesem Stadium der Landebesetzung spricht man von einem "Acampamento".

"Zwei Jahre haben wir hier im Zeltlager ausgeharrt", erzählt Almir Jesus de Oliveira, der Bruder von Adailton. Die Anwältin der Diözese hat ihnen bei den rechtlichen Formalitäten geholfen. Die lokalen Gerichte in Jacobina schmetterten den Antrag auf Enteignung ab. Aber die Anwältin brachte den Fall bis nach Brasilia. Die Gerichte der Hauptstadt sprachen das Land schließlich den Besetzern und Besetzerinnen zu.

"In diesen zwei Jahren waren wir sehr stark von Spenden abhängig. Wir bauten ein paar Grundnahrungsmittel an, aber konnten ja nicht die gesamte Fläche bewirtschaften", berichtet Almir. Bei den Großgrundbesitzern der Umgebung bekamen sie keine Arbeit mehr. Denn wer Land besetzt steht quasi auf der schwarzen Liste

Zeltstädte am Straßenrand

Das "Acampamento" von Alagoinhas sei aber noch verhältnismäßig rasch verlaufen, erklärt uns Thomas Bauer. Häufig leben die Menschen sechs bis neun Jahre in Zeltlagern, bis ihnen das Land zugesprochen wird. Erschwert wurden das Landbesetzen durch ein Gesetz, das der vorige Präsident Fernando Henrique Cardoso erlassen hat: Ländereien, die besetzt sind, können nicht mehr so ohne weiteres enteignet werden. Seither campieren Landbesetzer eben jahrelang am Straßenrand, neben dem Grundstück, das sie beanspruchen.

Die Bewegung der Landlosen entstand in Brasilien in den 1970ern während der Militärdiktatur. Die größte dieser Organisationen ist die Bewegung der Landarbeiter ohne Land (MST). Diese ist in verschiedenen Regionen Brasiliens aktiv, aber hier in Bahia weniger verbreitet.

Almir und sein Bruder sind Aktivisten der lokalen Landlosenbewegung CETA. Die MST habe ein Problem, erklärt er uns: Der jetzige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der selbst aus der Arbeiterbewegungen komme, habe viele hohe MST-Funktionäre in die Regierung geholt. Das habe die MST zahnlos gemacht. Denn sie tue sich jetzt schwerer, die Regierung zu kritisieren.

Service

Malandragem - Reiseblog Brasilien
Comissao Pastoral da Terra (CPT)
Wikipedia - Commissao Pastoral da Terra (CPT)
Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST)
Wikipedia - Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST)