Das EU-Projekt Indect

Schutz für den Bürger?

Das EU-Forschungsprojekt Indect möchte die Sicherheit im städtischen Raum erhöhen und entwickelt dafür Maßnahmen zur Verbesserung von Überwachungstechnologien und zur Sammlung von Informationen. Datenschützer warnen vor dem totalen Überwachungsstaat.

London ist die Stadt mit den weltweit meisten Überwachungskameras. Eine Million sollen es bereits sein, die britische Regierung hat laut der britischen Zeitung The Independent 500 Millionen Pfund dafür investiert. Trotz dieses immensen Aufwandes ist London beileibe nicht die sicherste Stadt Europas - im Gegenteil.

Im Jahr 2008 wurden mit Hilfe der Überwachung sogar nur 1.000 Fälle von Verbrechen gelöst. Ein Grund für diese schwache Bilanz ist, dass die Polizisten gar nicht mehr auf die Kameras achten beziehungsweise das Material nicht auswerten. Es ist einfach viel zu viel.

Was liegt also näher, als diese Arbeit von Computern erledigen zu lassen? Und wenn die Technik für den Nachweis von Verbrechen eingesetzt werden kann, könnte sie dann nicht auch gleich zu deren Verhinderung dienen?

Diese Überlegungen entspringen nicht nur der Phantasie von Drehbuchautoren, sondern offenbar auch der von Wissenschaftlern. Anfang 2009 startete - vorerst unbemerkt von der Öffentlichkeit - das von der Europäischen Kommission mit fast elf Millionen Euro geförderte Forschungsprojekt Indect (Intelligent Information System Supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment), das derlei entwickeln soll - und zwar nicht nur für Überwachungskameras, sondern für eine Vielzahl von Technologien.

Ständige Überwachung?

Auf der Website des Projektes ist eine Reihe von Dokumenten zu finden, in denen die Aufgaben und ersten Ergebnisse der neun "work packages des umfangreichen Forschungsprojekts beschrieben sind. Unter anderem heißt es darin, es sollen Techniken entwickelt werden, die die Überwachung des Internets, die Analyse von Informationen und das Erkennen von krimineller Aktivität und Bedrohungen unterstützen können.

Software-Agenten sollen "kontinuierlich und automatisch" frei verfügbare Quellen wie Websites, Diskussionsforen, Usenet-Gruppen, Fileserver, peer-to-peer-networks und individuelle Computer überwachen - und zwar die Inhalte und die Verkehrsdaten. Im Jargon der Geheimdienste nennt man das "open source intelligence". Das bedeutet, dass Informationen aus frei verfügbaren Quellen gesammelt und analysiert werden, um daraus verwertbare Erkenntnisse zu gewinnen.

"Kontinuierliches und automatisches Monitoring" - das klingt nach Big Brother. Indect-Projektleiter Andrzej Dziech will aufklären: "Solche Begriffe führen zu Missverständnissen. Die Leute haben dann Angst, dass sie ständig von Kameras beobachtet werden. Nein, wir wollen die Menschen nicht ständig überwachen. Kontinuierliches Monitoring bedeutet: wenn wir Bedrohungen erkennen wollen, brauchen wir Informationen, und diese Informationen kommen von existierenden Überwachungskameras. Und natürlich sollten diese Informationen kontinuierlich zu unserem Analyse-System fließen. Es bedeutet aber nicht, dass wir die Menschen ständig überwachen wollen. Wir fokussieren wirklich nur auf Terroristen, Kriminelle und gefährliche Situationen."

"Abnormales Verhalten"

Dafür sollen Algorithmen entwickelt werden, die "abnormales" oder "kriminelles" Verhalten erkennen, damit das Überwachungspersonal vor den Monitoren automatisch alarmiert werden kann.

Indect will aber nicht nur Überwachungskameras verbessern und vernetzen, sondern auch das Erkennen von Personen in Fotos und Videos zum Zwecke der Fahndung oder die Suche nach Fotos oder Dokumenten in Datenbanken und auf Festplatten.

Mit der Verbesserung von natural language processing, also der Verarbeitung natürlicher Sprachen, und anderen Techniken, sollen Websites und soziale Netzwerke analysiert und so die Beziehungen zwischen Menschen und Organisationen herausgefunden werden. Net-Crawler sollen automatisch Websites finden, die für kriminelle Zwecke genutzt werden könnten.

Individuen, Fahrzeuge und mobile Objekte sollen mit winzigen Computern, die mit Sensoren bestückt sind und selbstständig ad-hoc-Netzwerk bilden, begleitet werden können, um zum Beispiel Geldtransporte aus der Ferne zu überwachen. Nicht zuletzt ist die Entwicklung unbemannter, autonomer Luftfahrzeuge geplant, also Drohnen, mithilfe derer die Polizei ein Gebiet kontrollieren können soll.

Alles, was geht

Der Eindruck, dass alles, was machbar ist, gemacht werden soll, hat im Herbst vergangenen Jahres Bürgerrechtsbewegungen und Datenschützer auf den Plan gerufen. Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx ist auf das Forschungsprojekt Indect aufmerksam geworden und hat eine Stellungnahme an die Europäische Kommission geschickt.

"Diese Vorgangsweise soll sicherstellen, dass Überlegungen zur Privatsphäre zum frühest möglichen Zeitpunkt inkludiert werden nach dem Prinzip des sogenannten 'privacy by design'. Ich bin mir sicher, dass die Kommission, die das Projekt ja aus der Distanz managed, unsere Stellungnahme berücksichtigen wird. Wir haben das schon in anderen Fällen gemacht und es war effektiv", meint Peter Hustinx.

Service

Indect
Europäischer Datenschutzbeauftragter
Wikinews - mit Indect-Video
Wikipedia - Indect

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