Thriller von Giancarlo de Cataldo

Romanzo Criminale

Giancarlo de Cataldo beschreibt in einem Sittengemälde des Verbrechens den Aufstieg der mächtigen Magliana-Bande seit den 1970er Jahren. Den historischen und politischen Hintergrund des Thrillers bildet der Bombenanschlag auf den Bologner Bahnhof 1980.

Der Kriminelle wird auf der Straße geboren, in Armut, und träumt davon, reich zu werden und ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft. Je mehr er an der Gesellschaft teilnimmt, umso mehr entfernt er sich von der Straße. Von der Straße kommt dann jemand, der noch gewalttätiger ist, noch böser als er und schießt ihm in den Rücken. Den Kreislauf des Verbrechens kennt der Autor Giancarlo de Cataldo aus seinem Brotberuf als Richter.

Viele Verbrecher sagen, sie hätten keine Wahl. De Cataldo findet, dass das nicht wahr ist. Es gibt vielmehr immer eine Wahl. Schließlich führten die meisten Verbrecher ein schreckliches Leben.

Lieber lesen als Fußball spielen

De Cataldos Weg zu seiner Profession als Bestseller-Autor beginnt in seiner Kindheit in Tarent, in Apulien. Giancarlo De Cataldo konnte sich nicht für das Fußballspielen erwärmen, sondern er wurde zum begeisterten Leser und Kino-Liebhaber. Zum Jusstudium ging De Cataldo nach Rom und mit 27 Jahren gewann er den Concorso für die Richterlaufbahn. Während des Studiums arbeitete De Cataldo für den Radiosender "Radio Blu".

Eigentlich wollte er immer schon Schriftsteller werden, doch sein Vater sagte: "Nimm dir doch ein Gehalt", und so veröffentlichte der Richter nebenbei in "La Repubblica", "L´Unità", "La Stampa" und "Il Messaggero" Erzählungen und Film- und Literatur-Rezensionen.

Sein erster Kriminalroman "Nero come il cuore" wurde 1989 sofort veröffentlicht. "Romanzo Criminale", der 2002 erschien, brachte den - auch internationalen - Durchbruch. Das Buch wurde bereits zwei Mal verfilmt.

Eine "öffentliche Geschichte"

Am römischen Appellationsgericht ist De Cataldo in ständigem Kontakt mit der Wirklichkeit, und auf diese Weise kommt er auch zu seinen Figuren und Stoffen.

"Die Geschichte, die diesem Roman zu Grunde liegt, ist eine öffentliche Geschichte, die alle kennen", sagt De Cataldo. "Ich habe selbst einige Mitglieder der Magliana-Bande im Gefängnis kennengelernt. Einigen von ihnen machte ich auch den Prozess. Ich war Richter in einem der vielen Prozesse der Magliana-Bande. Als Schriftsteller habe ich jedoch keine wissenschaftliche Untersuchung über die italienischen Verbrecher geschrieben, ich habe Namen geändert, Situationen und Verbrechen. Wenn in den Prozessakten festgehalten wurde, dass das Verbrechen in eine bestimmte Richtung ging, so habe ich es auf eine andere Weise erzählt, weil es ein Werk der Phantasie ist."

Staat und Kriminelle als Komplizen

Der Zeitgeist der Jahre zwischen 1977 und 1990 spielt die Hauptrolle in "Romanzo Criminale", und damit traf De Cataldo auch den aktuellen Zeitgeist. Das Lese-Publikum will sich erinnern an diese Jahre der jüngeren italienischen Geschichte.

Es ist eine Zeit, in der der Staat und das Verbrechen Komplizen waren. Der Regierungschef Aldo Moro wurde genau an jenem Tag am Weg ins Parlament entführt, als er zum ersten Mal die Regierung repräsentiert hätte mit der Unterstützung der Kommunisten. Das war eine Situation mit vielen Feinden: den Amerikanern, weil Italien ein NATO-Staat war, den Russen, weil die Russen keine kommunistische Partei wollten, die westlich wurde. Der Terrorismus beendete also eine Zeit der Freiheit in Italien, etwas, was Giancarlo De Cataldo den italienischen Terroristen nie verzeihen wird.

Aus verschiedenen Blickwinkeln

"Romanzo Criminale" entwirft ein detailgetreues Fresko Roms. Den gergo, die Sprache der römischen Malavita, kann die sorgfältige und gelungene Übersetzung von Karin Fleischanderl naturgemäß nicht nachempfinden, aber das üppig wuchernde Geflecht von Geheimdiensten, Terroristen und Verbrechern von der Straße wirkt auch in der deutschen Fassung höchst authentisch.

De Cataldo erzählt die Geschichte aus der Perspektive der Protagonisten von der Straße: Patrizia, Dandi, Libanese heißen sie. Der Autor schreibt aber auch aus dem Blickwinkel des Kommissars Scialoja und des Richters Borgia. Die Auswirkungen des Treibens der Magliana-Bande sind heute noch in Rom präsent.

"Ich bin nicht in Rom geboren", so Cataldo. "Ich komme aus dem Süden. Die größten und wichtigsten Romane über Rom wurden von Leuten geschrieben, die aus der Provinz kommen oder von der Peripherie. Nur Moravia wurde in Rom geboren. Pasolini, Gadda, die lateinischen Dichter und Historiker Juvenal, Tacitus und Horaz waren alle aus der Provinz. Um Rom und seine Faszination zu verstehen, muss man in Rom ankommen."

Die österreichische Prostituierte

Die Prostituierte Patrizia ist im Roman eine Symbolfigur, eine Metapher für Rom. Dandi, Patrizia und Scialoja bilden ein klassisches Liebesdreieck. Patrizia ist die römische Wölfin und der Kommissar Scialoja und der Kriminelle Dandi sind die Zwillinge, die die Wölfin nährt. Das Gute und das Böse.

De Cataldo lebte 20 Jahre lang im römischen Stadtteil Trastevere, und musste wegen der beengten Wohnverhältnisse auf der Waschmaschine zu schreiben beginnen. Jetzt lebt der Autor im mondänen Prati. Die römische Wölfin hat ihn angenommen.

Eine Österreicherin kommt übrigens auch in dem überbordenden Dramatis Personae von "Romanzo Criminale" vor. Die österreichische Prostituierte ist eines der soziologisch genauen Details des dichten Romans. 1982 dominierten Österreicherinnen oder Deutsche den Prostitutions-Markt in Rom, in den 1990er Jahren waren es Nigerianerinnen oder Brasilianerinnen und heute sind die meisten Prostituierten Russinnen, Tschechinnen und Polinnen. Obwohl Giancarlo De Cataldo la Malavita auf der Straße in seinem Rom wahrheitsgetreu und episch darstellt, ist er keinen Bedrohungen ausgesetzt, anders als sein Schriftstellerkollege Roberto Saviano, der Autor von "Gomorrha".

"Saviano ist gefährlich, ich bin es nicht", meint De Cataldo. "Ich habe eine Geschichte aus der Vergangenheit aufgeschrieben. Saviano dagegen hat Licht auf diese Camorra-Bande geworfen, die im Stillen agieren wollte. Saviano kommt von dort und er kennt sie gut. Es ist eine Machtprobe, die la Malavita/das Verbrechen mit Saviano ausführt, indem sie ihn zum Tode verurteilen. Es ist etwas sehr Hässliches in einem demokratischen Staat, dass Saviano mit der Eskorte unterwegs sein muss. Das ist eine schreckliche Tatsache, so wie Salman Rushdie, verurteilt zum Tod."

Nur Verlierer

Vielleicht, meint De Cataldo, habe er keine Probleme mit der Malavita, weil er die Bösen nicht beurteilt. Er klagt sie nicht als Mörder und Verbrecher an, doch am Ende bezahlen alle. Alle sterben. Es gibt keine Gewinner, nur Verlierer in "Romanzo Criminale".

Savianos Wertvorstellungen kommen ex contrario zum Ausdruck. Und so hat der Richter auch in seiner blutigen Fiktion Recht: "In einem Gerichtsverfahren lügen alle. Ich bin Richter. Ich muss entscheiden. Ich bin unparteiisch. Die Anklage muss dich zu Fall bringen. Die Verteidigung soll dich retten. Es gibt keine Wahrheit. Es gibt viel mehr Wahrheit in einer erfundenen Geschichte, als in einem wirklichen Prozess."

Service

Giancarlo de Cataldo, "Romanzo Criminale", aus dem Italienischen übersetzt von Karin Fleischanderl, Folio Verlag

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