Jirí Davids "Revolution"

Ein Kunstwerk aus Schlüsseln

Im November 1989 haben tausende Bürgerinnen und Bürger aus Tschechien mit ihren Schlüsseln gerasselt - als symbolisches Zeichen, um den Eisernen Vorhang aufzusperren. Diese Demonstration mit den Schlüsseln hat den tschechischen Künstler Jiri David zu einer ungewöhnlichen Skulptur inspiriert.

Kulturjournal, 09.04.2010

Karin Materna

Prag, Franz-Kafka-Platz. Den glanzvollen Namen seines Namensgebers spiegelt der kleine, unscheinbare Platz nicht wider. Der Verkehr ist hier trotz der Enge der angrenzenden Straßen wie immer rege. Kein Ort, der zum Verweilen einlädt. Doch seit einigen Tagen zieht er dennoch täglich die Blicke von Dutzenden Besuchern auf sich.

Ein ungewöhnliches Kunstwerk ist der Grund: eine Statue ganz aus Schlüsseln. 85.000 davon hat der tschechische Künstler Jirí David für sein siebeneinhalb Meter hohes Objekt gebraucht.

Erdrückendes R

Ganz oben prangt ein großes R, das jeden Moment herunterzufallen droht. Darunter die spiralförmig angeordneten und deutlich kleineren Buchstaben E, V, O, L, U, C, E. Revoluce also, das tschechische Wort für Revolution. Jeder der Buchstaben kopiert in seiner Form den Schriftzug eines bestimmten Produktes aus kommunistischen Zeiten. Das R stammt aus der damaligen Zeitung "Rude Pravo".

"Das ist sehr schön: Dieses riesige R scheint die Buchstaben darunter mit seiner Last regelrecht zu erdrücken. Das letzte E liegt völlig zerquetscht am Boden", beschreibt eine etwa 60 Jahre alte Pragerin, die mit zwei gleichaltrigen Freundinnen an der Schlüssel-Plastik vorbeischlendert. Das sei sinnbildlich für die Samtene Revolution, glaubt sie. Von der sei nach über 20 Jahren ja auch kaum etwas übrig geblieben.

Nachdenken, wie es weitergeht

Die Unzufriedenheit mit dem Status-quo in der tschechischen Gesellschaft war auch für den 53-jährigen Jiri David der Motor zu diesem Werk. Das erläutert der großgewachsene, sportlich gekleidete Künstler mit dem angegrauten schulterlangen Haar bei einem persönlichen Treffen.

"Das hier ist kein Denkmal für das Jahr 1989, die Samtene Revolution also", sagt David. "Es geht mir darum zu demonstrieren, dass die Revolution von damals sich weiterentwickeln sollte, ein permanenter Prozess also. Wenn das R herunterfiele, würde das Wort Evolution übrig bleiben. Ich möchte, dass die Leute auch heute darüber nachdenken, was um sie herum geschieht und warum."

Ein Herz auf der Burg

Für Jiri David ist der öffentliche Raum bei Weitem kein Neuland. Sein Name ist spätestens ein Begriff, seit er auf der Prager Burg ein überdimensionales, blinkendes Herz aus rotem Neon installierte. Das thronte wochenlang hoch über der Stadt. Ein Bild, das sich ins Gedächtnis einbrannte – und für beispiellose Debatten in Politik und Öffentlichkeit sorgte:

"Ich überrasche gern", sagt David. "Ich habe an die vielen kitschigen Prager Postkarten gedacht und mir vorgestellt, wie es aussehen würde, wenn dort zusätzlich ein noch kitschigeres Motiv – ein Herz – zu sehen wäre. Kritiker haben mir vorgeworfen, das sei ein Auftrag von Vaclav Havel gewesen, das stimmt aber nicht. Viele andere störten sich an der Assoziation mit einem Bordell."

Dornenkrone in Neon

Die Idee zu dem Herz auf der Burg war dem damaligen Mittvierziger bei den Vorbereitungen zu einem anderen Projekt gekommen, das Aufsehen erregte. Dem Dach des Prager Rudolfinums, das die Tschechische Philharmonie und eine der größten Kunst-Galerien Prags beherbergt, verpasste er kurzerhand eine gigantische Dornenkrone. Ebenfalls in Neon. Ein jeder Dorn maß zwei Meter. "Der 'etablierten' Kunst habe ich damit eine alternative Krone aufgesetzt", so David.

Vor einigen Monaten erst wurde Jirí David von einer tschechischen Wochenzeitschrift zum bedeutendsten Küstler der letzten 20 Jahre gewählt. Die Jury setzte sich aus 40 Kunstschaffenden und 50 Kritikern zusammen. Sein Neon-Herz landete auf Platz zwei der herausragendsten Werke.

"Jirí David gehört zur tschechischen Avantgarde, wenn man das so nennen darf, denn die Zeit ist ja eigentlich vorbei", meint Milan Knízák, Leiter der tschechischen Nationalgalerie. "Ich meine damit zeitgenössische Künstler, die den Anspruch erheben, eine führende und progressive Rolle in der Kunstszene zu spielen."

Kunst zum Anfassen

Auch mit seinem aktuellen Werk zwingt Jiri David den Betrachter zum Hingucken. Selbst wenn die Aussage des Werkes vor allem manch jüngerem und ausländischen Besucher eher Kopfzerbrechen bereitet. "Ich weiß nicht, was mir das sagen soll. Aber es gefällt mir", meint ein Mädchen.

Für Betrachter wie diese Teenagerin ist Jiri Davids "Schlüsselrevolution" vor allem eines: Kunst zum Anfassen. Kaum ein Passant widersteht der Versuchung, die glitzernden Schlüssel einmal zu berühren und zum Klingen zu bringen.

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