Die Macht sozialer Netzwerke

Connected

Das reale soziale Netzwerk der Menschen umfasst mehrere tausend Personen. Und es beeinflusst sie mehr, als sie glauben, behaupten Nicholas Christakis und James Fowler. Nicht aus dem Bauch heraus, sondern aufgrund einer profunden Studie. Ihre Erkenntnisse haben Sie nun niedergeschrieben.

Jeder hat einen Begriff davon, was Ansteckung bedeutet. Die meisten denken an Krankheitskeime. Doch wenn der Harvard-Mediziner und Soziologe Nicholas Christakis von Ansteckung spricht, meint er soziale Ansteckung. Wenn Gedanken, Gefühle und Verhalten sich von einem zum anderen ausbreiten. Und dann weiter zum Nächsten und von diesem zum Übernächsten.

Nicholas Christakis und sein Ko-Autor, der Politologe James Fowler von der University of California in San Diego, führen in ihrem Buch "Connected. Die Macht sozialer Netzwerke und warum Glück ansteckend ist" viele Beispiele für soziale Ansteckung an. Dazu zählen etwa Übergewicht, Rauchen, Einsamkeit, Depression, aber auch Glücklich-sein.

Freunde und Verwandte

Die Daten für ihre Studien über Ansteckung in sozialen Netzwerken stammen von der berühmten Framingham-Herz-Studie über Herz-Kreislauf-Risikofaktoren, die seit 1948 läuft. Benannt ist sie nach einer Kleinstadt in Massachusetts, wo die Teilnehmer leben. Anfangs machten 5.000 Bewohner Framinghams mit. Seit 1971 sind auch deren Kinder in die Studie miteinbezogen.

Zunächst planten Nicholas Christakis und James Fowler, für ihre Untersuchung mit einigen Teilnehmern der Studie zusammenzuarbeiten. Sie hofften, dass sie auch deren Freunde, Partner oder Geschwister zur Kooperation überreden könnten. Dieses Netzwerk wollten sie dann über längere Zeit verfolgen.

"Doch während wir verschiedene Möglichkeiten recherchierten, stießen wir auf ein interessantes Detail: Administrative Betreuer der Studie haben über Jahre genau solche Unterlagen über die Teilnehmer gesammelt", so Christakis im Gespräch. "Immer, wenn jemand zur Untersuchung gekommen ist, hat man detaillierte Kontaktdaten aufgenommen. Man wollte sicher gehen, dass man die Teilnehmer auch in zwei oder vier Jahren wieder kontaktieren konnte. Also hat man sie gefragt: Mit wem sind Sie verheiratet? Wo arbeiten Sie? Mit wem sind Sie gut befreundet? Haben Sie Geschwister und, wenn ja, haben Sie deren Telefonnummer? Es war ein glücklicher Zufall für uns, dass viele Freunde und Geschwister von Teilnehmern ihrerseits auch in die Studie eingebunden waren."

Die "three degrees of separation"

Doch keine dieser wertvollen Informationen waren im Computer gespeichert. Also fütterten die Forscher die Daten von Jahrzehnten in einen Rechner. Über 30 Jahre hinweg identifizierten sie bei den 5.000 Teilnehmern mehr als 50.000 soziale Verbindungen.

Eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit Netzwerken ist: Wie eng oder wie entfernt müssen Menschen verbunden sein, dass ihr Verhalten auf andere ansteckend wirkt?

"Der Einfluss nimmt nach drei Verbindungen ab. Man beeinflusst über drei Ecken. bzw. wird beeinflusst", meint Christakis. "Es geht also um die Freunde, die Freunde der Freunde und die Freunde der Freunde der Freunde. Weiter reicht der Einfluss nicht. Wir nennen es die Regel der 'three degrees of separation'. Das sind sehr viele Menschen: Dazu gehören die Partner, die Geschwister, Freunde, Kollegen, Nachbarn und so weiter."

Glück ist in der Mitte

Die Forscher analysierten die Ausbreitung verschiedener Befindlichkeiten und Verhaltensweisen. Glückliche Menschen befinden sich üblicherweise in der Mitte eines Netzwerks und nicht am Rand. Freundschaft mit jemandem, der glücklich ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, selber glücklich zu sein um neun Prozent. Zum Vergleich: 5.000 Dollar mehr zu verdienen, macht potenziell nur um zwei Prozent glücklicher. Und wenn jemand sich einsam fühlt, dann steigt das Risiko des Einsamkeit-Empfindens für dessen nächste Verbindungen um 52 Prozent.

Das meiste Aufsehen erregten die Christakis-Fowler-Ergebnisse zur sozialen Ausbreitung von Übergewicht: Wenn man fettleibige Freunde hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man selber viel zu viel wiegt um 57 Prozent. Nicholas Christakis erklärt den Mechanismus, warum Übergewicht sozial ansteckend ist:

"Bei der Fettleibigkeit können zwei Dinge eine Rolle spielen: Sie breitet sich aus, weil Leute die Ess- und Fitnessgewohnheiten von anderen nachahmen. Es ist zum Beispiel so: Wenn meine Freunde anfangen, Sport zu betreiben, dann mache ich es auch, und das veranlasst andere, es auch zu tun. Das heißt: ein bestimmtes Verhalten breitet sich in einem sozialen Netzwerk aus. Uns ist noch etwas anderes aufgefallen: Wir vermuten, dass sich nicht nur Verhalten, sondern auch Normen ausbreiten. Wenn Menschen, mit denen man in Kontakt kommt, immer runder werden, dann verändert sich dadurch das, was man als akzeptables Gewicht betrachtet. Man verinnerlicht eine andere Norm."

Verhalten ist ansteckend

Viele US-Experten für öffentliche Gesundheit sind von den Christakis-Fowler-Studien begeistert. Das überrascht nicht. Denn die Amerikaner werden rasant dicker. Ein Drittel der Erwachsenen ist fettleibig, ein weiteres Drittel übergewichtig. 20 Prozent der Kinder sind zu dick - doppelt so viele wie vor 30 Jahren.

Dass soziales Verhalten ansteckend wirkt, ist für die Autoren nicht überraschend. Evolutionsgeschichtlich stecke die Bereitschaft dazu im Menschen drinnen.

"Ich glaube, vieles ist genetisch vorprogrammiert", meint Christakis. "Menschen sind in verschiedener Hinsicht soziale Wesen. Wir leben nicht nur in Gruppen, wir leben in sozialen Netzen. Und wir imitieren ständig andere. In unserem Buch haben wir die sehr lustige Bemerkung eines Gesellschaftskritikers zitiert. Er hat gesagt: Wenn den Leuten völlig freisteht zu tun, was sie wollen, dann imitieren sie andere. Das ist ein wenig lächerlich, aber genauso ist es. Wir interessieren uns immer für andere Menschen. Und wir kopieren sie. Ich glaube, die Struktur unserer sozialen Netzwerke sowie das Imitationsverhalten sind letztlich in unseren Genen verankert. Nicht alles ist genetisch bestimmt, aber manches."

Der freie Wille

All diese Erkenntnisse, auf wie vielfältige Art und Weise Verhalten und Entscheidungen bestimmt werden, werfen freilich eine philosophische Frage auf: Wenn wir von anderen Menschen beeinflusst werden, selbst von Freunden unserer Freunde unserer Freunde, die wir nicht kennen, aber deren Handlungen oder Einstellungen sich im Netzwerk ausbreiten - wie frei ist dann eigentlich der freie Wille? Nicholas Christakis ist sich des Dilemmas bewusst.

"Ist es unsere Verantwortung, ob wir glücklich oder übergewichtig sind oder ob wir mit dem Rauchen aufhören?", fragt Christakis. "Wenn wir bloß Tiere in einer Herde sind, die in die eine oder andere Richtung rasen, welchen Einfluss haben wir eigentlich auf die Richtung? Sehr wenig. Doch wenn man andererseits die Überlegungen zu sozialen Netzen ernst nimmt, dann ist der freie Wille wichtiger denn je zuvor. Denn wie unsere Forschung zeigt: Wenn man in seinem Leben etwas positiv verändert - wenn man zu rauchen aufhört, versucht glücklich zu sein und andere mit Güte behandelt -, dann verhalten sich auch andere Menschen zunehmend ähnlich. Das heißt, das eigene Verhalten zieht Kreise über die erwähnten 'three degrees of separation'. Es ist also wichtig, dass man positive Handlungen setzt. Das nützt uns und auch anderen."

Service

Nicholas Christakis und James Fowler, "Connected. Die Macht sozialer Netzwerke und warum Glück ansteckend ist", S. Fischer Verlag

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