Porträt George A. Romero

Grandfather of the Zombies

Es gibt nur wenige Regisseure, die das Horrorkino so nachhaltig geprägt haben wie George A. Romero. Für ganze Generationen steht sein Name als Synonym für ebenso blutige wie humorige Genrefilme. Demnächst läuft seine jüngste Vision, "Survival of the Dead", in den österreichischen Kinos an.

George A. Romero im Interview

Am Anfang verstand Romero nicht, was die Kritiker mit "Zombies" meinten.

George A. Romero, von seinen Fans liebevoll "Grandfather of the Zombies" genannt, hat mit dem klassischen Horrorkino wenig am Hut: Ihm geht es nicht nur um heraus hängende Eingeweide und abgeschossene Köpfe, ihm geht es um die metaphorische Kraft des fantastischen Kinos. Seine Kreaturen - allen voran natürlich die ikonischen Zombies - sind weniger Schreckgespenster als Alarmsignale; Erinnerungen, wie schnell die Menschen ihre Menschlichkeit verlieren können, Hinweise darauf, wie porös und fragil das ist, was jeder als Zivilisation identifiziert. Romero inszeniert für jede Gesellschaft den Zombiefilm, den sie verdient.

Zombies auf der Insel

Auf Plum Island ist die Hölle los: Bereits seit Jahrhunderten bewohnen zwei Clans, die Muldoons und die O'Flynns, die kleine Atlantikinsel. Abgesetzt vom Rest der Welt kommen hier viele Haushalte noch ohne elektrischen Strom und fließendes Wasser aus. Vieles erinnert an eine Siedlung aus dem 19. Jahrhundert, der Zeit des Wilden Westens.

Mit der weltweit grassierenden Zombie-Invasion gehen die Inselmenschen pragmatisch um: Die O'Flynns erschießen die Untoten, die Muldoons halten sie wie Vieh im Stall, wollen sie als moderne Sklaven nutzbar machen. In diesem Hexenkessel landet eine dezimierte Soldateneinheit; moderne Cowboys mit modernen Waffen, die aus Romeros vorigem Film "Diary of the Dead" übrig geblieben sind.

Der reale Horror der Medien

Mit "Diary of the Dead" setzt Romero 2008 zu einem riskanten Projekt an: Er startet einen neuen Zombie-Zyklus, reist zurück in jene Nacht, in der die Toten zum ersten Mal auf der Erde gewandelt sind. Ein Filmprofessor und seine Studenten flüchten vor der Bedrohung, filmen aber gleichzeitig mit, stellen Ausschnitte des Materials auf YouTube.

Wieder trifft Romero die wunden Punkte einer nach allen Seiten abgesicherten Gesellschaft: Der reale Horror wird durch die mediale Verbreitung zum unwirklichen Vergnügen. Im Kern des Films steckt das Misstrauen gegenüber den Internet- und Fernsehbildern, steckt die Überzeugung, dass es so etwas wie Wahrheit nicht mehr geben kann. Alles was ist, ist die Lüge.

Das Eigene und das Andere

Der Unterschied zwischen "Diary" und "Survival of the Dead" könnte größer nicht sein: Eine medialisierte steht einer Wild-West-Welt gegenüber. Was sich allerdings nicht ändert, ist die menschliche Konstitution: Seit Jahrhunderten feinden sich die beiden Insel-Clans an. Mittlerweile haben sie den Grund des Konflikts längst vergessen, der gegenseitige Hass ist ein antrainierter Reflex geworden, nicht unähnlich dem Mordshunger der Zombies.

Romero ist immer daran gelegen, die Grenzen zwischen Mensch und Monstrum, dem Eigenen und dem Anderen einzureißen. Für ihn sind die Untoten nur ein metaphorisches Instrument, um die tiefer liegenden Wahrheiten innerhalb von Gesellschaften an die Oberfläche zu zerren. Seine Filme wirken wie ein Knallfrosch, den man in einen Fischteich wirft. Plötzlich wird alles so klar - und so traurig.

Realismus statt Plastik

1968, inmitten der neuen amerikanischen Unsicherheit, fegt ein Film sui generis durch die Kinos: "Night of the Living Dead", von ein paar Freunden für gut 100.000 Dollar in und um Pittsburgh herum realisiert, beerdigt die Plastik-Schreckensvisionen der 1950er Jahre und ersetzt sie durch unvermittelten Realismus.

In gespenstischem Gegenlicht schleppen sich Untote durch schwarz-weiße Landschaften, reißen Gedärme aus dampfenden Leibern. Die Revolution frisst ihre Kinder, das Horrorkino ist neu erfunden. Legendär ist auch das Ende des Schreckens: Der einzige Überlebende ist ein farbiger Mann, der von einem weißen Lynch-Mob erschossen wird. Die Albträume erreichen das Hippie-Land.

Tod im Einkaufszentrum

Vietnamkrieg, Paranoia, Kommunistenhetze, grenzenloser Konsum: Romeros Kino wirkt deswegen so stark, da es die Hässlichkeiten der jeweiligen Gesellschaft in deren Unterhaltungskulturen einschleust. Immer noch am prägnantesten und eindringlichsten ist dies in "Dawn of the Dead" aus dem Jahr 1978 zu sehen:

Im Zeitalter der totalen Kommerzialisierung wird ein Einkaufszentrum zur letzten Festung für die Flüchtenden. Trotz Todesangst ergötzen sie sich an der bunten Produktwelt, ganz nebenbei werden die Zombies geschlachtet. Das Blut tropft von den Schaufensterpuppen. Selten reagierte ein Film ehrlicher, grimmiger und gnadenloser auf den Zeitgeist wie "Dawn of the Dead".

Spiegel für die Krankheiten der Gesellschaft

Romero hat sich als Regisseur an vielen verschiedenen Genres versucht. In "The Crazies" aus dem Jahr 1973 lässt er einen Virus auf eine Kleinstadt los, 1978 dekonstruiert sein Meisterwerk "Martin" den Vampir-Mythos.

Seine größte künstlerische Errungenschaft aber bleiben die Zombies. Sie sind ein Spiegel für die gesellschaftlichen Krankheiten, sind eine Metapher, die sich immer wieder neu zusammensetzen lässt. Denn wenn Romero eines weiß, dann dass nichts menschlicher ist als die Unmenschlichkeit. Insgeheim wünschen sich Regisseur und Publikum sehnlich ein Monster zu sein - und jene Unschuld zurück zu erlangen, die einem in Romeros Kino ins Gesicht spritzt.

Text: Markus Keuschnigg