Schweizer berechnet Spekulationsblasen

Experte: "Krise war erst der Anfang"

Spekulationsblasen lassen sich voraussagen, ebenso, wann sie sich wieder auflösen, ist der Züricher Finanzwissenschaftler Didier Sornette überzeugt. Neue mathematische Prognosemodelle könnten Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern. Und er betont, dass sich die Weltwirtschaft nach dem Ausbruch der jüngsten Finanzkrise noch immer in einer riesigen Blase befindet.

Morgenjournal 05.05.2010

Immobilienblase vorhergesagt

Didier Sornette, Professor für unternehmerische Risiken an der ETH Zürich, erforscht seit Jahren extreme Entwicklungen auf den Finanzmärkten. So prognostizierte er schon 2004 das Ende der amerikanischen Immobilienblase auf Mitte 2006 und hatte Recht. Nun wollten er und sein Forscherteam zeigen, dass sich Spekulationsblasen mit mathematischen Modellen vorhersagen lassen.

Experiment geglückt

Vor sechs Monaten wählte Sornette vier Börsentitel aus, bei denen er eine Blase erwartete. Zudem nannte er ein Zeitfenster, in dem diese in sich zusammenfallen würden. Bei zwei Titeln trafen die Prognosen zu, einem ging die Luft schon früher aus und der letzte befindet sich noch immer in einer Blase. Das Experiment sei geglückt, meint Didier Sornette: "Ich bin zufrieden, wenn auch nicht hundertprozentig. Aber das Leben lässt sich eben nicht ganz exakt vorhersagen."

Bessere Warnsysteme

Sornette definiert Blasen als Prozesse, die sich selbst verstärken, ähnlich wie Erdbeben. Das sei bei Finanztiteln der Fall, deren Wachstumsraten höher seien als ein exponentielles Wachstum. Nun wollen die Risikoforscher der ETH Zürich ihr Rechenmodell verfeinern. Ziel sei, das Risikomanagement in Wirtschaft und Gesellschaft zu verbessern, meint Finanzwissenschafter Sornette: "Wir brauchen in vielen Bereichen Risiken bessere Warnsysteme, nicht nur im Finanzsektor. Auch Politiker sollten gewisse Risiken im Voraus abschätzen können, zum Beispiel Naturkatastrophen oder die Kostenexplosion im Gesundheitswesen"

"Verantwortung übernehmen"

Mit seiner Theorie, dass sich Finanzblasen vorhersagen lassen, widerspricht Sornette der gängigen Meinung, Spekulationsblasen würden aus heiterem Himmel platzen: "Wer das behauptet, will keine Verantwortung für solche Blasen übernehmen. Man kann sie berechnen und wir alle, Wissenschaftler und Politiker, sollten uns bemühen, die Messmodelle weiter zu verbessern."

Regierungen als Schuldenmanager

Auch die aktuelle Wirtschaftskrise sei eine enorme Blase, die sich langfristig aus vielen kleinen Spekulationsblasen gebildet habe, meint Sornette. Und deren Ursache trotz der vielen Rettungspakete noch nicht behoben sei. "15 bis 10 Jahre lang haben die Menschen in Europa und den USA über ihre Verhältnisse gelebt und Schulden angehäuft. Nun managen nicht mehr die Banken diese Schulden, sondern die Regierungen. Am Problem selbst hat sich nichts geändert".

Aktuelle Krise ist nur Vorgeschmack

Es reiche nicht, einfach Geld in die Märkte zu pumpen, kritisiert Didier Sornette. Vielmehr müsse in die Realwirtschaft, in die Bildung und in Innovationen investiert werden. Und daher sieht der Prognostiker auch die unmittelbare wirtschaftliche Zukunft düster. Man habe es versäumt, die Wurzeln der Krise, nämlich die Schuldenblase, zu bekämpfen: "Die aktuelle Krise ist erst ein Vorgeschmack darauf, was noch kommt. Und ich hoffe auf jenen Moment, der uns so erschüttern wird, dass wir umdenken. Denn die Geschichte zeigt, dass die Menschen nur dann Fortschritte machen, wenn eine wirklich große Gefahr besteht." Doch dafür, bilanziert Finanzwissenschaftler Sornette, sei die jüngste Wirtschaftskrise zu wenig heftig ausgefallen.