Vom "Zigeina" zur Gitarren-Legende

Harri Stojka

"Wenn ich ein Lied komponiere, dann braucht das eine bestimmte Stimmung. Es ist der Blues, den auch die Schwarzen fühlen", sagt Harri Stojka. Der Gitarrenvirtuose zwischen Jazz und Gipsysoul ist Angehöriger der Lovara-Dynastie, die zum Volk der Roma gehört.

Die Bilder, die vor Harri Stojkas Auge aufscheinen, wenn er komponiert, stammen aus einer anderen Zeit - aus jenen Tagen, die man im Familienkreis heraufbeschwor, wenn Großmutter, Eltern, Tanten und Cousins beisammen saßen und einander singend Geschichten erzählten, aber auch einer grauenvollen Vergangenheit gedachten:

"Mein Vater wollte immer Jazzsänger sein und hat zu Hause immer gesungen, meine Mutter war ein totaler Elvis-Presley-Fan und hat auch Gitarre gespielt, also ich bin praktisch mit Musik aufgewachsen. Hauptsächlich war es aber die Lovaramusik, unsere traditionelle Musik, die eigentlich nur Gesang ist und irrsinnig traurige Melodien beinhaltet. Irgendwann hat sich alles nur mehr um die Konzentrationslager gedreht, und das hat sich in mir festgesetzt."

Der größte Teil von Harri Stojkas Vorfahren wurde in den Konzentrationslagern der Nazis getötet, auf der CD "Gitancoeur" hat der Musiker die Erzählungen darüber verarbeitet.

Kein Drill vom Vater

Blickt Harri Stojka zurück zu seinen Wurzeln, sieht er als erstes seinen Vater Mongo Stojka. Der Sänger und Autor, der vor einigen Jahren die berührende Familiengeschichte "Papierene Kinder" veröffentlichte, verhieß seinem Sohn schon früh ein Leben als Künstler: "Mein Vater hat mir die Freiheit mitgegeben, das zu tun, was ich am liebsten mache, nämlich Musik. Er hat mich nicht gezwungen zu arbeiten oder zu studieren oder besondere Schulen zu besuchen, da war überhaupt kein Drill dahinter, sondern er hat gesagt: 'Harri, du bist Musiker, das sehe ich, also übe, bis deine Finger rauchen.'"

Mit sechs Jahren erhielt Harri Stojka von seinem Vater eine Spielzeuggitarre, die ihm eine erste Ahnung davon vermittelte, dass Gedanken und Gefühle durch Musik zum Ausdruck gebracht werden können. Einen schmerzhaften Anstoß, sich der Musik zuzuwenden erfuhr der 1957 in Wien-Floridsdorf Geborene durch das Leben als Außenseiter:

"Außerhalb dieser Familie, etwa in der Schule, erlebte ich eine grauenhafte Zeit", erinnert sich Stojka. "Wir waren für die Leute einfach nur 'die Zigeina aus Floridsdorf', wir sind aufs Ärgste beschimpft worden, meine Schwestern und ich, und wir sind von den Lehrern traktiert worden und von den Mitschülern gepiesakt bis zum Geht-nicht-mehr. Es hat geheißen: 'Heit pass ma di o', und das heißt, die haben vor dem Schultor gewartet, und dann hat es Hiebe gegeben, völlig grundlos. Und die Nachbarschaft in diesem Bezirk hat zu dieser Zeit zu 80 Prozent aus Altnazis bestanden, da waren wir nur die verachtete Zigeunerfamilie. Wir haben also eher nur nach Innen gelebt, innerhalb unserer Familie."

Die "Magie der Sologitarre"

Auf Anregung seiner älteren Schwestern hörte Stojka erstmals die Beatles, und George Harrison wurde sein frühes Idol. Er glaubte plötzlich zu begreifen, was die "Magie der Sologitarre" ist, sagt Stojka. Darüber hinaus entbrannte der Wunsch, sein Leben und Leiden musikalisch zu meistern: "Es war für mich lebensrettend, mich auf mein Instrument zu konzentrieren und zu sagen: Eines Tages zeig ich euch allen, dass ich entweder genauso gut bin oder sogar besser."

Harri Stojka, der akademische Ausbildung, soweit es möglich war, "sorgfältig vermied", wie er bekennt, fand den besten Lehrer seines Lebens in seinem Cousin Karl Ratzer, der bei der Roma-Verwandtschaft bereits in den 1960er Jahren als Legende galt. "Die Begegnung mit meinem Cousin Karl Ratzer bleibt mein Leben lang in meiner Seele, mich hat nie mehr ein Musiker so in den Grundfesten erschüttert wie Karl Ratzer. Ich hab ein Jahr Unterricht bei ihm gehabt, bevor ich in seine Band eingestiegen bin, und da merkte ich erst, was für ein Instrument die Gitarre überhaupt ist, was man damit überhaupt alles tun kann. Karl hat mir zum Beispiel mit dem Plektron zu spielen beigebracht, das hab ich bis zu dem Zeitpunkt nicht gekannt, oder mit allen vier Fingern am Griffbrett zu spielen. Er vermittelte mir theoretisches Wissen, er hat mir gesagt, was Technik auf der Gitarre überhaupt ist, was Virtuosität bedeutet, und auf dieser Basis habe ich alles aufbauen können."

Seinen ersten professionellen Auftritt hatte Harri Stojka mit 13: Mit seinem Cousin Jano stand er auf der Bühne der Arena, dem damals wichtigsten Auftrittsort der Wiener Jugendszene. "Wir sind auf der Bühne gestanden und die Leute haben uns behandelt wie Außerirdische, weil wir kleine Gschrappen da oben stehen und so geile Musik spielen, das war ein Erlebnis der Extraklasse!"

Wurzeln in Indien

Über das Leben des Harri Stojka wurde soeben ein Film gedreht. "Back to the Roots" heißt die Dokumentation des Regisseurs Klaus Hundsbichler, die Anfang September in die Kinos kommt. Bei den Dreharbeiten dazu begab sich das Filmteam auch nach Indien. In Rajastan befinden sich die ethnischen und die musikalischen Wurzeln der Lovara: Es sei "irgendwie ein Gefühl wie heimkommen" gewesen, sagt Stojka gerührt. "Es war interessant, die Gipsys in diesen Dörfern zu sehen, die dort leben und handeln und Musik machen", erzählt Stojka. "Diese irrsinnig dunklen Gesichter, und die haben zu mir immer gesagt: 'Welcome home Harri!' Das war eine schöne Sache."

Idol Django Reinhardt

Neben Karl Ratzer und dem Modern Jazzer Pat Martino gibt es ein Idol für Harri Stojka, das er über alle stellt: Django Reinhardt. Die Technik des legendären Gitarristen und der Seelenzustand, in den dieser eintauchte, wenn er musizierte, das sei alles, was er in seinem Leben noch erreichen wolle, sagt Harri Stojka: "Dass es Möglichkeiten auf der Gitarre gibt, die so ungeahnt sind, die ein eigenes Universum sind, die man sich nicht vorstellen kann, das hat er erreicht. Diese Glückseligkeit, die er beim Spielen haben hat müssen - ich weiß ja nicht, ob er ein glücklicher Mensch war, aber man spürt eine Glückseligkeit, die der Man gehabt hat, wenn er Gitarre gespielt hat, man spürt das. So eine Glückseligkeit zu haben, dort will ich auch hin."

Service

Konzert Harri Stojka und Mosa Sisic anlässlich des Dreh-Abschlusses von "Harri Stojka - Back to the Roots", Sonntag, 30. Mai 2010, Interspot Filmstudios in Wien-Liesing. Für Ö1 Hörer, so Stojka, liegen Gratiskarten bereit.

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