Erstmals alle in einem Band

Alle Gedichte von Gert Jonke

Der vor knapp einem Jahr verstorbene Schriftsteller Gert Jonke ist mit seinen Erzählungen, Romanen und Theaterstücken weit über die Landesgrenzen Österreichs bekannt geworden. Nun ist ein Band mit allen seinen Gedichten erschienen.

Seine Bekanntheit verdankt Jonke sicherlich seinem Ideenreichtum wie seiner Sprachkunst, die von Konkreter Poesie über Sprachkritik bis zu unbändiger Erzähllust reicht.

Wer das erzählerische Oeuvre Jonkes einigermaßen kennt, dem wird auch das musikalische und kompositorische Element dieser Prosa nicht entgangen sein. Immerhin war Gert Jonkes Mutter Konzertpianistin und Klavierlehrerin gewesen und so lernte er über zehn Jahre lang mit großer Leidenschaft das Klavierspiel.

Verstreut im Prosawerk

Und damit darf man fragen, ob der Schriftsteller denn keine Gedichte geschrieben hat. Er hat es getan. Nur findet man sie oft verstreut in seinem Prosawerk - etwa im "Geometrischen Heimatroman" von 1969 oder im Roman "Der ferne Klang" von 1979. 1974 veröffentlichte Jonke unter dem Titel "Im Inland und im Ausland auch" bewusst Prosa und Gedichte. Und doch ist der Autor als Lyriker weitgehend unbekannt. Das will der eben erschienene Band "Alle Gedichte" nun ändern.

OFT GEHE ICH stundenlang pausenlos
in meinem Zimmer auf und ab ohne zu wissen warum
ich stundenlang pausenlos
in meinem Zimmer auf und ab gehe.
Und während ich wieder stundenlang pausenlos
in meinem Zimmer auf und ab gehe ohne zu wissen warum
ich stundenlang pausenlos
in meinem Zimmer auf und ab gehe
erkenne ich plötzlich dass mein ganzes Dasein
nie etwas anderes gewesen ist als
ein einziges stundenlanges pausenloses
Aufundabgehen im Zimmer.


Nein! - dieses Gedicht ist nicht Thomas Bernhard gewidmet. Doch fast jedem Helden Bernhards würde dieses Gedicht in seiner Hermetik und in seinem Zwang zur gedanklichen Wiederholung gut zu Gesicht stehen. Doch Jonkes Gedicht spricht eben auch vom Gehen, vom "Aufundabgehen" der Dichter wie wir es seit Hölderlin kennen - erst im Gehen kann der Rhythmus des Gedichts seine ihm eigene Form gewinnen.

Aber Jonkes Gedicht zeigt noch etwas anderes: Der Autor hat auch eine Prosafassung des Gedichts erstellt, für den Band "Beginn einer Verzweiflung" von 1970. Und selbst 26 Jahre später hat Jonke diese Prosafassung im Buch "Stoffgewitter" leicht variiert abgedruckt. Das heißt, viele Gedichte Jonkes nähern sich dem poème en prose, dem Prosagedicht an.

Und einige Texte im Band "Alle Gedichte" sind es dann auch wirklich - etwa die vier Seiten lange "Opferlitanei des Saftleckerspechts". Das verwundert bei Jonke wenig. Denn das lyrische Element bestimmt oftmals seine Prosa, dies geschieht durch den Willen zur Komposition. Beim Lesen einiger Gedichte ist man dann allerdings schon verwundert.

WANDERT DER HIMMEL
durch deine Augen
beginnt es zu regnen

treten erwachende Wolken
in deine Pupillen
über die Ufer
an denen der Grünspan
keimender Weingärten

beginnt wie ein
hummelschwanzschimmerndes
Bodenrestmuster im ausgetrunkenen Glas


Gedichte wie dieses verwundern deswegen, weil Jonke hier eindeutig an die extreme Metaphernbildung des Surrealismus anknüpft. In solchen Gedichten geht es weniger um das kompositorische Element, sondern Wachzustand und Traum sollen sich durch die Sprachbilder annähern. Und solch surreale Wortbindungen sind Jonkes Prosa eher fremd.

Was man in Jonkes Prosa wie auch in seinen Gedichten findet, ist der Hang zur Bildung absurder Wortmonster - etwa "die ehrlichst bemeineideten Krokodilstränenschwurwitze", oder die "Aufsichtsgerätephilosophiegesellschaftshaftversammlung".

Wenn sich Lyrik und Prosa berühren

Im Band "Alle Gedichte" ist erstmals auch die Jugendlyrik Jonkes abgedruckt. Hier zeigt sich ein werdender Dichter, der stark durch Georg Trakl und durch den Expressionismus beeinflusst ist. Diese Gedichte sind keine ganz große Entdeckung, aber sie zeigen den Weg an, den Gert Jonke ging, um ein bedeutsamer Autor zu werden. Ein Autor, der wusste, dass Lyrik und Prosa sich in der dichterischen Komposition berühren. Und so heißt in einem seiner letzten Gedichte:

ja, ich bin sowohl der besagte Dichter, als auch dieser Sänger,
aber ich bin auch der Komponist.


Gert Jonke scheint wie nebenbei Lyrik verfasst zu haben. Doch ohne ein Ohr für das Lyrische ist eben seine Prosa nicht verstehbar. So sind die Gedichte fester Bestandteil des Oeuvres von Gert Jonke, ein Werk, das nicht vergessen, sondern weiterhin gelesen werden sollte.

Service

Gert Jonke, "Alle Gedichte", Jung und Jung Verlag

Jung und Jung Verlag|Gert Jonke