Freche Darstellerinnen, raue Töne

No Wave - Underground und Nihilismus

Während New York City einem Trümmerhaufen glich, brach eine junge Künstlergeneration aus dieser Verfallsszenerie mit ihren Super-8-Kameras aus. Es war eine "Neue Welle inhaltsreicher, Performance-orientierter Spielfilme".

Frust und Aggressionen

"War Postpunk-Rock noch ein soziales Phänomen, ist No Wave aus unserem Gefühl der Sinnlosigkeit entstanden, aus unseren persönlichen Frustrationen, Aggressionen und Enttäuschungen", sagt Lydia Lunch. "Wir mussten die bösen Geister austreiben, die in der bankrotten Stadt New York existierten. In einem Land, das uns den Idealismus der 'Sixties' genommen hat. Mit dem Vietnam-Krieg, dem Präsidenten Nixon und Charles Manson, der den 'Summer of Love' beendet. Als ich mit 17 den Song 'Orphans' geschrieben habe, habe ich mich selbst wie eine Waise gefühlt. Waisen, Witwen, Rebellen, Mörder und Krieger sind noch heute Thema für mich. Man sieht, der Kreis schließt sich."

Keine verkörperte den ungenierten Crossover der No-Wave-Bewegung besser als die Musikerin und Performerin Lydia Lunch. John Lurie hatte über No Wave gemeint, "jeder tat was, er nicht konnte" - Lydia Lunch jedoch konnte: Eine sexhungrige billige Detektivin in Scott und Beth B.'s Film-Noir-Trash "Vortex" sein. In den poetisch räudigen No-Wave-Frauenporträts "Guerillere Talks" vor Vivienne Dicks Super-8-Kamera auf den desolaten Dächern New Yorks posieren und auch auch eine der ersten No-Wave-Bands, Teenage Jesus & The Jerks gründen.

Anti-Haltung zum Kommerz

1978 presste Produzent Brian Eno die Songs einer wütenden Generation auf Vinyl: "No New York" war der Titel dieser Platte, die vielen Namensgeber der aufkommenden Subkultur war. Mehr noch als Musikgenre lässt sich No Wave mit seiner nihilistischen Anti-Haltung zum Kommerz vor allem als künstlerisches Umfeld definieren. Die Künstlerin Vivienne Dick kam in ihren Zwanzigern aus Dublin nach New York. Heute zählt sie zu den wenigen No-Wave-Filmemacherinnen, die auch im Kanon des US-Avantgarde-Kinos auftauchen.

Für Vivienne Dick hat der Term "No Wave" mehrere Lesarten: "Dieses Nein kam aus verschiedenen Reihen - etwa von Leuten, die gegen die Kapitalismus waren, oder von Gegnerinnen des patriarchalischen Systems, die die Frau nicht mehr als Ware behandelt wissen wollten. Auf jeden Fall bin ich mit dem Begriff No Wave glücklicher als mit der Bezeichnung Punk für unsere Filme. Denn Punk hat mich nicht interessiert. Ich habe mir mehr von der Musik angezogen gefühlt, die jetzt unter No Wave firmiert. "

Rotzigkeit und Vehemenz

Frontale Inszenierungen mit primitiven Stilmitteln - das war der interdisziplinäre Zugang von No Wave - egal ob in der Performancekunst, Musik oder eben auch im Film. Die ungestümen Super-8-Arbeiten im No-Wave sind für Christian Höller, Kurator der Filmschau "No Wave. New York 1976-84" das bisher wenig aufgearbeitete visuelle Pendant zu Punk und Postpunk. Seiner Erinnerung nach gebe es kaum Phasen im Underground, in denen mit so einer Rotzigkeit und Vehemenz ans Werk gegangen wäre, sagt Höller.

Kathryn Bigelow, mittlerweile Oscarpreisträgerin, startete ihren ersten Filmversuch im No-Wave-Kontext. Ihr Kurzfilm "The Set-up" zeigt stark ausgeleuchtet einen Männerkampf.

Im East Village Ende der 1970er Jahre stand auch der damalige Student und spätere Independent-Film-Regiestar Jim Jarmusch als Sänger und Keyboarder der No-Wave-Gruppe Del-Byzanteens auf der Bühne. Jarmusch drehte seinen mit No Wave assoziierten Abschlussfilm "Permanent Vacation" an der New Yorker Tisch School of Art.

"Die Musik hatte mit Sicherheit den größten Einfluss in der No Wave Bewegung. Sie war nihilistisch", erzählt Jim Jarmuschs Bandkollege James Nares. "Die Musikszene hatte den überproduzierter Rock 'n' Roll in der Zeit satt. Nimm eine Gitarre in die Hand und spiele, war ihre Devise. Und wir nahmen diese Idee auf und sagten uns, lasst uns nach der Kamera greifen und einen Film machen."

Direkter Ton, eigene Ästhetik

Das Instrument von James Nares und seinen Künstlerfreunden war die Super-8-Kamera. Handlich und billig, mit der Möglichkeit den Ton roh, direkt und ungefiltert mitaufzunehmen, markiert Super-8 die Ästhetik das No-Wave-Kinos. "Rome 78" heißt der erste und einzige Langfilm von James Nares.

90 Minuten, schnell und in langen Takes gedreht, ist "Rome 78" ein queeres und ironisches Projektionsbild des alten Roms auf die Untergangstimmung im New Yorker Underground Ende der 1970er Jahre.

Ära der schnell verglühenden Stars

Viele Protagonisten der No-Wave-Szene haben die aktuelle Aufarbeitung ihres rotzigen Schaffens nicht überlebt. Der hohe Drogenkonsum und Aids hatten Anfang der 1980er Jahre auch in dieser Gegenkultur ihre Opfer gefordert. James Nares hat 1985 mit dem Rauchen - und wie er unspezifisch weiter sagt - mit allem anderen aufgehört. Heute ist der 57-Jährige für seine Malerei bekannter als für seine Filme.

"No Wave musste einfach verpuffen. Die Leute zerstreuten sich in alle Richtungen. Irgendwann musste das ganze explodieren. Es war eine wunderbare, sehr maßlose Zeit. Das war befreiend und zerstörerisch gleichzeitig", sagt Nares. "No Wave war eine Ära der schnell verglühenden Stars. Den Leuten selbst war das egal, denn sie haben für niemanden und in nichts eine Zukunft gesehen. Unsere Devise war: Lasst uns jetzt alles ausleben, eine gute Zeit, so was wie ernsten Spaß haben. Diese Anti-Idee, Spaß zu haben, ist in der etablierten Kunstszene nicht gut aufgenommen worden."

Service

Filmreihe "No Wave. New York 1976-84", 4. bis 14. Juni 2010, Filmmuseum

Filmmuseum