Zwischenbilanz von Opferanwältin Klasnic

193 Missbrauchsfälle gemeldet

Vor rund zwei Monaten hat Kardinal Christoph Schönborn Waltraud Klasnic als Opferanwältin für Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche präsentiert. Seither haben sich bei ihrer Kommission 193 Betroffene gemeldet, jeden Tag kommen zwei bis drei weitere dazu. Heute tagt die Klasnic-Kommission zum vierten Mal.

Morgenjournal, 09.06.2010

Betroffene glaubwürdig

Rund 250 ausführliche Telefonate hat Waltraud Klasnic bereits geführt. 19 Betroffene hatten mehrstündige Gesprächstermine, bei denen Klasnic und Psychotherapeuten mit Traumaausbildung dabei sind. Je nach Wunsch werden auch ein Anwalt oder andere Mitglieder der Klasnic-Kommission beigezogen. Außerdem gibt es Einzelgespräche mit Psychotherapeuten. Von 193 von Gewalt oder sexuellem Missbrauch Betroffenen spricht die Kommission nun und hat laut Weißer Ring Präsident Udo Jesionek keine Zweifel an ihren Angaben: "Bei jenen, die sich bisher an uns gewendet haben, ist die Situation relativ klar. Sie waren in Einrichtungen, von denen wir durch andere Zeugen wissen, was vorgefallen ist."

Viele Opfer ohne Hoffnung

Rund ein Drittel der Betroffenen sind laut Waltraud Klasnic Frauen, die eher Opfer von Gewalt waren. Zwei Drittel sind Männer, großteils Opfer von sexuellem Missbrauch. Die Beweggründe, sich an die Opferkommission zu wenden, sind unterschiedlich. Die einen wollen einfach einmal darüber reden, schildert Klasnic. Andere Opfer erzählen: "Ich habe versucht, mit dem Täter Kontakt aufzunehmen, der war nicht bereit mich anzuhören. Ich werde mit meinem Leben nicht gut fertig. Ich habe Selbstmordversuche hinter mir", zitiert Klasnic. Man müsse das Wort "Hoffnung" wieder vermitteln, weil viele hoffnungslos geworden seien, dass je die Zeit kommt, wo sie jemand versteht.

"Boden unter den Füßen fehlt"

Vielen Betroffenen sei nicht geglaubt worden: "Sie sind zum Pfarrer gegangen, sie sind zu ihren Eltern gegangen, sie haben es im Kollegen- und im Freundeskreis erzählt und sie wurden nicht verstanden! Im Grunde genommen ist es die verletzte Seele, die keinen findet, der sie versteht", sagt Klasnic. Auch durch Abhängigkeit und Zuneigung zum Täter komme es bei manchen Missbrauchsopfern zu gravierenden Folgen, wie Beziehungsunfähigkeit, Entscheidungsschwäche, Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit. "Der Boden unter den Füßen fehlt", so Klasnic.

Keine Verjährung

Das Angebot einer Gratis-Therapie für kirchliche Opfer haben bisher sieben Betroffene angenommen. Für andere werden Gespräche mit den Tätern vermittelt. Über Entschädigungen hat die Kommission noch nicht entschieden, die Richterin Carolin List sagt aber: "Verjährung spielt für die Kirche keine Rolle, wir werden uns an der Judikatur der Gerichte messen und versuchen, großzügig zu sein, auch wenn schon Verjährung eingetreten wäre."

Fehlverhalten zuordnen

In zwei Wochen wird Waltraud Klasnic der Bischofskonferenz über ihre Arbeit berichten, ein Zwischenbericht soll folgen, bis Jahresende soll ein Endbericht vorliegen. Der Publizist Hubert Feichtlbauer: "Wir wollen das Fehlverhalten Personen zuordnen, wenn das eindeutig möglich ist. Wir wollen es aber auch Strukturen, Organisationsformen in der Kirche zuordnen, wenn wir glauben, dass diese solches Fehlverhalten begünstigen."

Scholz für staatliche Kommission

Inwieweit der Zölibat und die Sexualmoral der Kirche Missbrauch begünstigt haben, werde auch Thema sein. Vor allem der frühere Wiener Stadtschulratspräsident Kurt Scholz, selbst Mitglied von Klasnic´s Kommission, spricht sich neuerlich auch für eine staatliche Kommission für Missbrauchsfälle aus. Zumal jetzt der Eindruck entstehe, solche Fälle habe es nur in der katholischen Einrichtungen gegeben.

Bandion gesprächsbereit

Die Reaktionen der Bundesregierung auf den Ruf nach einer staatlichen Untersuchungskommission fallen spärlich aus. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner ist das einzige Mitglied der Bundesregierung, das am Vormittag zu diesem Thema erreichbar war. Sie sagt: "Ich bin gern bereit mit Mitgliedern der Kommission darüber zu sprechen, reden kann man über alles."

Mittagsjournal, 09.06.2010

Zentrale Anlaufstelle

Aus dem Büro von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) heißt es, beim Bundessozialamt gebe es zwar die Möglichkeit von Schmerzensgeld und psychosozialer Betreuung für Verbrechensopfer, tatsächlich fehle aber eine zentrale bundesweite Anlaufstelle. Man werde mit der ÖVP darüber reden. Denn entstanden sind unterdessen einzelne Einrichtungen in den Bundesländern: Wien, Tirol und Kärnten haben längst Opfer-Hotlines, Tirol auch eine Kommission, Salzburg plant ähnliches und Wien will eine historische Aufarbeitung der Erziehungsmethoden in Wiener Heimen.

Bessere Koordinierung

Angesichts des Wildwuchses von Landesstellen, Opferschutzeinrichtungen und Ombudsstellen wünscht sich ein anderes Mitglied der Klasnic Kommission - nämlich der Präsident des Weißen Ringes, Udo Jesionek, zumindest eine Koordinierungsstelle des Bundes. Bei Ministerin Bandion-Ortner scheint er damit auf offene Ohren zu stoßen: "Ich glaube auch, dass wir eine bessere Koordinierung brauchen. Wir werden jetzt auch ein Kompetenzzentrum für Opferschutz machen im Justizministerium, um für eine bessere Koordination der verschiedenen Stellen zu sorgen." Wann es dieses Kompetenzzentrum geben wird und wie genau seine Aufgaben sein sollen, bleibt vorerst aber noch unklar.

Präsidentschaftskanzlei ohne Kommentar

"Kein Kommentar" heißt es heute übrigens aus der Präsidentschaftskanzlei zu den Forderungen der Klasnic-Kommissionsmitglieder. Die Kommission hat sich gestern Bundespräsident Heinz Fischer vorgestellt. Es sei aber keine Bitte an ihn herangetragen worden, sich für eine staatliche Kommission einzusetzen. Die Arbeit der Klasnic-Kommission sehe der Bundespräsident aber sehr positiv.

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