Ein Punkt im Raum

Bloomsday

Wer möchte, der hat etwas zu feiern. Am 16. Juni. Bevor er das Glas erhebt, sollte er aber ein wenig ins Grübeln kommen. Es geht um Grundsätzliches. Etwa um die Frage, was uns so sicher macht, dass unser Leben einen Sinn hat.

Der 16. Juni ist "Bloomsday", und das ist für den einen wichtig, für den anderen nicht. Wie bei Geburtstagen eben: Wir können uns nicht um jeden kümmern, und die paar, die wir uns merken, bringen uns von Jahr zu Jahr in Verlegenheit. Rituale haben etwas enervierendes, sie täuschen Normalität vor, Regelmäßigkeit, das Leben als gerade Linie, stetig an- oder absteigend, je nach Temperament.

Vielleicht ist es ja notwendig, uns etwas vorzumachen, wenn wir das Leben aushalten wollen. Vielleicht wäre die Erkenntnis, dass die Existenz in alle Richtungen offen und damit im Grunde sinnfrei ist, zu niederschmetternd, um uns durch die Jahre zu tragen, die uns unser genetischer Bauplan zubilligt. Vielleicht ist der Ernst, mit dem wir unser Leben formen wollen, mit dem wir Pläne schmieden, Ziele formulieren, eine Profession ausüben, Karrieren planen, nichts weiter als der Irrtum, der uns davor bewahrt, die Wahrheit zu sehen: Dass man ein Punkt im Raum ist, der in die verschiedensten Richtungen treibt, ausdünnt und schließlich verpufft.

Daran ändert auch der "Bloomsday" nichts, jener jährlich von einer kleinen Menschenschar weltweit zelebrierte Jahrestag in Erinnerung an Leopold Bloom, dem Anzeigenakquisiteur aus Dublin, Protagonist des Romans "Ulysses" von James Joyce, von dem wir ziemlich genau wissen was er am 16. Juni 1904 gemacht hat.

Nicht viel, einerseits. Aufstehen, Frühstück machen, Ehekrise, berufliche Krise, Zeitunglesen, Herumhängen im Pub, Gespräche mit Menschen, die man schon ewig kennt, manche mag er, manche nicht. Zugleich aber ist dieses scheinbare Nichts, ist diese Anhäufung von Belanglosigkeiten, dieses Treiben in einer trüben und reichlich geschmacksarmen Suppe alles, was sich über das Leben sagen lässt.

Die einzige Gewissheit, die wir haben, ist jene, dass wir sind. Wir sind, weil wir denken können, dass wir sind, weil wir sagen können: "Ich bin". Das ist aber auch schon alles. Das würde ja eigentlich reichen: zu sein. Niemand verlangt von uns, Staaten zu gründen, Bücher zu schreiben oder Geld zu akkumulieren. Wir müssen nichts hervorbringen und nichts zerstören, nichts aufbauen und nichts hinterlassen. Das alles macht uns nicht wertvoller, es macht das Leben auch nicht richtig oder rechtschaffen, das alles ist überzuckerter Kaffee.

Der 16. Juni ist "Bloomsday", und da gilt es zu bedenken, dass kein Leben sinnvoller ist als ein anderes, weil Sinn nur der Traum davon ist, im Unendlichen einen Fuß auf den Boden zu kriegen. Und was macht Leopold Bloom am Ende des 16. Juni 1904? Er macht, was er immer macht, um immer wieder zu machen, was er immer macht. Am 17. Juni, am 18. Juni usw. Das schützt ihn vor der Verzweiflung:

Er legte die Kleidungsstücke auf den Stuhl, zog seine eigene noch verbliebene Kleidung aus, holte unter dem Keilkissen am Kopfende des Bettes ein zusammengefaltetes langes weißes Nachthemd hervor, steckte Kopf und Arme durch die dafür vorgesehenen Öffnungen des Nachthemds, legte ein Kissen vom Kopfende ans Fußende des Bettes, richtete entsprechend das Bettzeug und begab sich ins Bett.