Eingegrenzte Orte der Erholung

Gärten

Er ist eine zivilisatorische Errungenschaft, der den sesshaften Menschen seit Urzeiten begleitet: Im Garten, heißt es, findet der Mensch zu sich selbst. Robert Harrison versucht in seinem Buch nicht mehr und nicht weniger als das Wesen des Menschen zu ergründen.

Robert Harrison schreibt so liebevoll und so fundiert über Gärten und ihre Bedeutung für den Menschen, dass man meinen könnte, er selber habe sich einen Garten angelegt, den er in jeder freien Minute hingebungsvoll hegt und pflegt. Doch dem ist nicht so. Sein "persönlicher Garten" ist am Campus der Universität Stanford in Kalifornien, wo er italienische Literatur lehrt.

Der kleine Garten am Universitätscampus war für Robert Harrison ein stiller Ort, wo er über das Wesen des Gartens nachdenken konnte. Der Autor ging diese Fragestellung über einen Umweg an, und das hat damit zu tun, wie das Buch über Gärten zustande kam.

Natur mit und ohne Grenzen

Robert Harrison hatte ein Buch über Wald und dessen Bedeutung in der westlichen Kultur geschrieben. Das führte zu einer Einladung, einen Essay über Gärten zu verfassen und schließlich zu seinem jüngsten Buch. Der Ausgangspunkt der Überlegungen war also: Sowohl Gärten als auch Wälder sind Natur. Was gibt der Garten dem Menschen, was er vom Wald nicht bekommt?

"Ungezähmte Natur gibt uns das Gefühl von Raum, von grenzenloser Wildnis. Es hat den Anschein, als hätte jedes Wort für Garten in den indo-europäischen Sprachen in seiner Wurzel die Bedeutung eines eingegrenzten Ortes in sich", sagt Harrison. "Der Garden ist also ein kleiner, eingezäunter Raum, ein Platz mit Grenzen, wo man verschnaufen und sich orientieren kann. Das ist der Unterschied zwischen dem Wald und dem Garten. Der Wald hat keine Grenzen. Man findet sich nur schwer zurecht und kann sich leicht verirren."

Der Garten bietet also Zuflucht und Erholung. Beispiele dafür gibt es aus der Vergangenheit sowie der Gegenwart. In Boccaccios "Decamerone" fliehen sieben junge Frauen und drei Männer vor der Pest aus Florenz in eine Villa mit einem idyllischen Garten, wo sie einander Geschichten erzählen. In New York verwandeln Anrainer und Obdachlose unbebaute Grundstücke in sogenannte Gemeinschaftsgärten, die in der Folge die Atmosphäre eines ganzen Viertels verwandeln.

Symbol und Metapher

Ein Garten will gepflegt und bestellt sein. Robert Harrison sieht ihn daher auch als Symbol und Metapher. So wie den Garten, muss der Mensch auch soziale Beziehungen und Tugenden kultivieren. Wenn dies einem menschlichen Grundbedürfnis entspricht, stellt sich die Frage, wann Gärten sich entwickelt haben. Forscher streiten darüber, was zuerst das war: die Landwirtschaft oder der Garten. Der Autor glaubt letzteres.

"Ich zitiere den italienischen Gelehrten, Pietro Laureano. Er meint: Da die erfolgreiche Domestizierung von Pflanzen sich erst nach mehreren Generationen auszahlt, können Gärten keine utilitaristische Funktion gehabt haben. Viel mehr waren sie von ritueller Bedeutung," sagt Harrison. "Das ist auch mein Argument: Ich meine, Gärten decken ein menschliches Bedürfnis ab im Gegensatz zum dem tierischen Bedürfnis zu überleben."

Bei seinen Recherchen stieß Robert Harrison auf Karel Capek, einen der wichtigsten tschechischen Autoren im 20. Jahrhundert. Doch Karel Capek war nicht nur vielseitiger Schriftsteller, sondern auch ein leidenschaftlicher Gärtner.

"Er hat ein Büchlein geschrieben, in dem er das zwanghafte Verhalten des Gärtners beschreibt. Ich fand in diesem Buch die archetypische Figur des Gärtners als jemanden, der für seinen Garten Sorge trägt. Davon ausgehend konnte ich den Gedanken über die gärtnerischen Aktivitäten hinaus zu andern Arten menschlichen Anliegens ausdehnen", so Harrison." Capek selber war nicht nur ein Gärtner, sondern er kultivierte auch die Sprache und viele literarische Genres wie Kurzgeschichte, die Detektiv- oder Science-Fiction-Geschichte."

Karel Capek schloss auch die Politik in sein Gedankengebäude ein. Der Bürger müsse für den Staat Sorge tragen, damit dieser blühe wie ein Garten.

Sorge versus Arroganz

Der Garten repräsentiert für Robert Harrison überwiegend Positives, wie etwa das Bedürfnis, Sorge zu tragen. Als Gegenbeispiel führt er den französischen Garten des Schlosses Versailles an. Er repräsentiere für ihn die Arroganz des Menschen, der glaubt, er kann die Natur dominieren.

"Ein ganzes Team von Ingenieuren war nach Versailles gekommen, hat die Fläche planiert und ihr dann menschliches Design aufgezwungen", erzählt Harrison. "Es ist perfekt, aber es unterdrückt die Natur. Mir sind italienische Gärten lieber. Die Beziehung zwischen Natur und Kunst ist kooperativer und harmonischer. Kunst unterdrückt die Natur nicht, sondern hebt sie hervor. Dieses Miteinander fehlt in Versailles. Die Künstlichkeit ist überwältigend. Ich werde panisch, wenn ich mich ein oder zwei Tage in Versailles aufhalte."

Freiraum oder Dressur?

Englische Gärten vermitteln das Gefühl von Freiraum. Sie werden gerne als das ungezähmt wuchernde Gegenteil der französischen mit ihrer dressierten Natur betrachtet. Doch der Schein trügt: Auch in englischen Gärten steckt viel Planung und Architektur.

Minimalistische japanische Zen-Gärten verfolgen einen anderen Zweck als westliche Gärten. Sand und Steine sind Meditationshilfen, um über den Platz des Menschen im Kosmos zu reflektieren: "Ich glaube, jeder, der einen Garten kultiviert, hat in gewisser Weise die japanische Einstellung", sagt Harrison. "Die Erkenntnis über die Zyklen der Natur, über die Beziehung zwischen Steinen, Wasser, Pflanzen und Luft trägt dazu bei, dass die großen Zusammenhänge auf der Erde eben durch die Gärtnerei erfahrbar werden. Das heißt: Auch ein westlicher Gärtner befindet sich in gewisser Weise in einem Zen-Zustand."