EU-Abgeordnete hätten gern "Finanz-Peace"

Hilferuf gegen Finanzlobby

Ein ungewöhnlicher Hilfeschrei kommt derzeit aus dem EU-Parlament in Brüssel. 22 Mitglieder des Sonderausschusses zur Finanzkrise aus allen Parteien wollen sich im Tauziehen um strengere Regeln gegen die Lobbys der Finanzindustrie wehren. Die Parlamentarier wünschen sich eine Kontrollorganisation nach dem Vorbild der Umweltschutzgruppe Greenpeace.

Morgenjournal, 23.06.2010

Mit guten Vorschlägen überflutet

Die Politik will die Finanzwirtschaft an die kurze Leine nehmen. Bei den Reformen geht es um die Regulierung von Managergehältern, Hedgefonds, speziellen Finanzprodukten sowie die Schaffung einer europäischen Finanzaufsicht oder die Kontrolle von Ratingagenturen. Doch die Gegenwehr der Betroffenen ist groß, erklärt die für die Hedgefonds-Regulierung zuständige SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner. Täglich kämen sehr gut und klug begründete Vorschläge zu einzelnen Themen, "das zu durchschauen ist eine große Arbeit."

"Greenpeace, aber kein Finanz-Peace"

Die Banken- und Börsenlobby brauche dringend ein Gegengewicht, sagt der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Er hat die Unterschriftenaktion gemeinsam mit einem französischen Parteifreund organisiert. Den ausgeklügelten Vorschlägen der Finanzwelt müsse die Zivilgesellschaft Vorschläge entgegenstellen, die am Gemeinwohl orientiert seien. Bei anderen Themen wie Umwelt, Entwicklung und Menschenrechten gebe es das: "Es gibt Greenpeace, es gibt aber kein Finanz-Peace."

Karas: Politiker machen die Gesetze

Das Schreiben der Abgeordneten sei ein Armutszeugnis für die Politik, sagt ÖVP-Europaabgeordneter Othmar Karas, der wie er betont nicht unterschrieben habe. Seine Begründung: Verantwortlich für die Gesetze seien nicht die Lobbyisten, sondern die Politiker. "Diese Verantwortung nehme ich wahr. Ich verstecke mich nicht hinter Lobbyisten."

Bessere Regeln mit Gegenexpertise

Der Grün-Abgeordnete Giegold widerspricht Karas: "Durch die Finanzkrise haben wir derzeit so viele anspruchsvolle Dossiers hier, dass jeder hier, der ernsthaft was will, auch der Kollege Karas, über die Grenzen dessen arbeitet, was man selber leisten kann." Man sei nicht ohnmächtig, könnte aber bessere Regeln setzen, wenn es eine Gegenexpertise gäbe zur Finanzindustrie.

Der "Maschinerie" zu sehr ausgesetzt

Unabhängiger Sachverstand sei zu selten, ergänzt die SPÖ-Europaabgeordnete Regner: Die Argumente von Karas seien die des "lauteren europäischen Abgeordneten". Aber: "Wir sind dieser Maschinerie zu sehr ausgesetzt." Es sei nun an der Zivilgesellschaft, an den Gewerkschaften, Konsumentenschutzverbänden, Nichtregierungsorganisationen eine oder mehrere "Finanz-Peaces" zu bilden.

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