Eine musikalische Selbstwerdungsgeschichte

Claude Debussy und der "Prix de Rome"

Wer im Frankreich des 19. Jahrhunderts Komponistenkarriere machen wollte, musste es zumindest einmal schaffen, den "Rompreis" zu gewinnen. Dirigent Hervé Niquet versammelt erstmals alles von Claude Debussy, dem Gewinner von 1884, rund ums Thema "Prix de Rome" auf zwei CDs.

Nur die Französische Revolution unterbrach die Tradition: Seit 1666 hatte die Académie royale de peinture et de sculpture den Prix de Rome vergeben, der angehenden bildenden Künstlern die Gelegenheit gab, mit einem Stipendium mehrere Jahre in Rom zu verbringen. Aber erst der "neue" Rompreis, den ab 1803 die Pariser Académie des Beaux-Arts ausschrieb, stand neben Studierenden der Fächer Architektur, Bildhauerei, Malerei und Radierung auch Komponisten des Conservatoire am Ende ihrer Ausbildungszeit offen.

Die Liste der Gewinner gleicht einem "who is who" französischer Musik: Méhul, Hérold, Halévy, Berlioz, Thomas, Gounod, Bizet, Massenet, Dukas, Charpentier... Lili Boulanger war 1913 als Rompreis-Gewinnerin die erste Frau, die für vier Jahre subventioniert in der prunkvollen Villa Medici residieren durfte, Alain Louvier 1968 der letzte Preisträger: Mit den Studentenunruhen endete auch die Geschichte des Prix de Rome.

"Nationalsport" zu antiquiertem Reglement

Die strikten Regeln, unter denen der prestigeträchtige Prix du Rome vergeben wurde, mussten allerdings schon im späten 19. Jahrhundert hoffnungslos antiquiert wirken. In einer Vorrunde hatten die maximal 25-jährigen Bewerber in einwöchiger Klausur eine Fuge und einen Chorsatz über einen vorgegebenen Text zu komponieren; wer diese Hürde nahm, den ließ das Professoren-Kollegium an die Abfassung einer opernhaften Kurz-Kantate für (ab 1831) mehrere Gesangssoli und Orchester heran, die ein mythologisches, biblisches oder historisches (und damit jedenfalls antiquiertes) Sujet zu behandeln hatte.

Junge Opernkomponisten brauchte das Land, der Rompreis siebte sie aus, in "jährlichen Wettkämpfen, denen ein hartes Training vorausgeht" - so, im Rückblick, Claude Debussy. Als Schüler Ernest Guirauds (Guiraud über Debussy: "Intelligent, muss aber gelenkt werden") beteiligte sich Debussy 1882 erstmals an diesem kompositorischen "Nationalsport", scheiterte aber schon in der Vorauswahl. Im Jahr darauf durfte er erstmals "in den Kantaten, die in den vorangegangenen Jahren prämiert wurden, nach der Zauberformel" suchen, "mit der man den Preis gewinnt", und stieg mit "Le Gladiateur" in den Ring, den die Jury "feurig bis an die Grenze der Maßlosigkeit" fand. Dennoch: Zweiter Platz für Debussy, der "Le Gladiateur" noch unter seinem wahren Vornamen Achille eingereicht hatte. 1884, mit dem biblischen "Verlorenen Sohn", "L'Enfant Prodigue", gelang Debussy dann der Schritt aufs Gewinnerpodest.

Debussys Rompreis-Kompositionen neu auf CD

Der mit seinem Ensemble "Le Concert Spirituel" aus der historischen Aufführungspraxis kommende französische Chorleiter und Dirigent Hervé Niquet, sonst mit dem Repertoire zwischen Lully und Charpentier beschäftigt, hat nun alle erhaltenen Kompositionen von Claude Debussy rund ums Thema "Prix du Rome" auf zwei CDs versammelt: "Le Gladiateur" und "L'Enfant Prodigue", dazu die drei Vorrunden-Chorstücke der Jahre 1882 bis 1884, ergänzt durch zwei der "Sendungen" ("envois"), zu denen die in der römischen Villa Medici residierenden Gewinner verpflichtet waren, um ihr Tätigsein zu belegen.

Von "Achille" zu "Claude"

So lässt sich erstmals Schritt für Schritt nachverfolgen, wie der "Gladiator" noch hochromantische Musik zwischen Wagner und Saint-Saens bietet, mit Tschaikowsky-Einschlüssen. Wie im "Verlorenen Sohn", zwischen standardisiertem Opernmelos der Ära, in Momenten "schwimmender" Harmonik und ein paar "exotisch" flirrenden Orchestertakten erstmals Vorahnungen des späteren Debussy-Stils auftauchen. (Niquet, seine Solisten, unter denen Tenor Bernard Richter besonders hervorsticht, der Belgische Rundfunkchor und die Brüsseler Philharmoniker bieten mehr als nur klangliche Information: Sie holen aus den Stücken alles an - fallweise "aufgesetztem" - romantischen Schmelz heraus.)

Und wie dann in den zwei "envois", "Printemps" und "La Damoiselle Élue", hier in der Ur-Version mit Klavierbegleitung, alles Verstaubte und musikalisch Wohlgesittete vergessen ist. "Wir bemerken mit Bedauern, dass dieser Stipendiat sich derzeit ausschließlich damit zu beschäftigen scheint, Merkwürdiges, Bizarres, Unverständliches und nicht Aufführbares zu schaffen", war die Reaktion der Académie. Achille Debussy war dabei, auch musikalisch Claude Debussy zu werden.

Service

Claude Debussy, "Music for the Prix de Rome", Gulaine Girard, Sophie Marilley, Bernard Richter, Alain Buet, Marie-Josèphe Jude, Jean Francois Heisser, Flemish Radio Choir, Brussels Philharmonic, Hervé Nique (Dirigent), Glossa

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