Identität für urbane Räume

Kunst im öffentlichen Raum Südafrikas

Seit sechs Jahren versucht die Kuratorengruppe The Trinity Session Johannesburg mittels Kunst Sicherheit und Zugänglichkeit zu ermöglichen. Künstler wie Willam Kentridge wurden eingeladen, urbanen Orten eine Identität zu gegeben und sie damit wieder frei zugänglich zu machen.

Die Straßen Johannesburgs zählen mit zu den gefährlichsten Orten der Welt. Vor allem nächtens geschehen laut Polizeistatistik auf der Pritchard, der Commisioner und der Small Street Raubüberfälle und Vergewaltigungen besonders häufig. Das Zentrum gilt für viele Johannesburger, wie auch für WM-Touristen als "No go area", als eine unsichere Zone, trotz der über 240 Videokameras auf Straßen und Plätzen und den unzähligen privaten Sicherheitsfirmen, die das subjektive Sicherheitsgefühl ambitioniert verbessern sollen.

Viele der Bürogebäude, Hochhäuser und kolonialen Prachtbauten aus der Zeit des Goldrausches stehen leer oder werden von illegalen Immigranten als Wohn- und Schlafstätten benutzt. Die Anstrengungen der Stadt und privater Investoren, die in den 1990er Jahren von weißen Bankern und Unternehmern verlassene Downtown wiederzubeleben, gehen nur langsam voran. Alleine im Jahr 2010 investiert die Stadt über 1,4 Milliarden Euro in die Umgestaltung des sogenannten Central Business Districts Johannesburg. Gleichzeitig wird mit dem Geld auch Kunst im öffentlichen Raum finanziert.

Problematischer öffentlicher Raum

Von jedem südafrikanischen Rand, der in infrastrukturelle Maßnahmen wie das neue öffentliche Bussystem BRT oder Gebäuderenovierungen investiert wird, muss ein Prozentsatz in Kunstprojekte einfließen, erklärt Marcus Neustetter, einer der Kuratoren für Kunst im öffentlichen Raum. Der 34-Jährige - mit österreichischen Wurzeln - glaubt, dass die Neudefinition und die Wiederaneignung von Räumen gerade in Südafrika schwierige und langwierige Prozesse sind.

"Der öffentliche Raum in der Stadt und um die Stadt ist sehr problematisch", meint Neustetter, "weil es bestimmte layers of Geschichte gibt. Das hat angefangen in der Goldzeit und hat sich weiterentwickelt, dass sich mit der Postapartheidzeit ein ganz neues Publikum in Johannesburg angesiedelt hat."

Geschichte mit Hilfe der Kunst aufarbeiten

Die räumliche Zersplitterung des urbanen Raumes von Johannesburg geht auf das Apartheits-Regime zurück. Die rassistische Ideologie war auf den Stadtraum übertragen. Viertel und Straßen wurden an Hand von Rassenzugehörigkeit aufgeteilt. Die von Marcus Neustetter kuratierten Kunstwerke und künstlerische Interventionen versuchen, die Geschichte von Orten und Plätzen aufzuarbeiten und so integrativ zu wirken - mit dem Nebeneffekt, dass auch die lokale Kunstszene davon profitiert.

Der Künstler Winston Intuthi hat bisher drei großflächige Skulpturen für die Stadtentwicklungsbehörde JDA angefertigt. Alle drei gehen auf die Vergangenheit und die Gegenwart des Ortes ein, an dem sie stehen - wie der bunte Stahlengel am Rande der Innenstadt.

"Ich kann von meiner Kunst finanziell überleben", so Intuthi. "Ich weiß nicht, wie es für andere Künstler ist, aber ich kann nichts anderes machen außer Kunst, da ich nichts anderes gelernt habe. Daneben kann ich mich durch Kunst weiterentwickeln und mit helfen mein Land zu verändern. (...) Ich habe den Engel speziell für Constitutional Hill angefertigt. Ich dachte mir, dieser Ort ist wichtig für die Menschen und repräsentiert unsere Freiheit. Wenn Menschen den Engel dort sehen, haben sie einen sichtbaren Beweis dafür, dass sich unsere Stadt und unsere Gesellschaft verändert haben und dass wir nicht nur von Kriminalität beherrscht werden. Kunst ist gerade deshalb wichtig, weil sie das Bewusstsein von Menschen verändern kann."

Sozial Benachteiligte begeistern

Durch Kunst soll ein Bewusstsein entstehen, dass die Stadt allen Menschen gleichermaßen offen steht und benutzbar ist. Als Marcus Neustetter und Steven Hobs von der Künstlergruppe The Trinity Session vor sechs Jahren damit begannen, mussten sie die sozial benachteiligten Bewohner der Innenstadt für Kunst im öffentlichen Raum sensibilisieren. Manche der aufgestellten Objekte wurden anfangs gestohlen, oder das verwendete Material wie Kupfer und Stahl abmontiert und verkauft.

"Man darf nicht vergessen, der öffentliche Raum und die Straßen, die gehören nicht den Leuten, die hier leben", sagt Neustetter. "Ob es die Immigranten sind von anderen Nationen oder Menschen sind, die früher raus gedrängt wurden: Der Space hier gehört noch immer der Mentalität des alten Governments von der Apartheitszeit. Man muss das überschreiten können."

Zuerst die Kunst

Im Stadtviertel Hillbrow, an einem versiegten Wasserfall inmitten von Wohnhausschluchten, erklärt Markus Neustetter, wie Kunst pragmatisch zur Verbesserung der Stadt beitragen kann:

"Wir sind einfach mit ein paar Künstlern hergekommen und haben gesagt, versuchen wir hier etwas zu machen, ohne das wir der Stadt zu viel mitteilen und haben dann auch diese Stufen hier gemacht und die Brücke renoviert, haben den Wasserfall mit Mosaik neugemacht, mit der community und den Künstlern und haben der Stadt gesagt, das haben wir jetzt. Und die haben dann mitgekriegt, damit das Kunstwerk nicht beschädigt wird, müssen sie den Zaun reparieren. Und in der zweiten Phase haben sie einen Park angelegt und das hier eigentlich ziemlich sauber gemacht. Also dadurch, dass Künstler etwas gemacht haben im öffentlichen Raum hat sich die Stadt mehr und mehr interessiert und die Stadt hat langsam angefangen, wieder aufzukaufen."

Kunst wird auf diese Art für den sozialen Verdrängungsprozess instrumentalisiert. Werden politisch Verantwortliche erst durch ein Kunstobjekt auf eine leblose Straße oder ein heruntergekommenes Viertel aufmerksam, dauert es nicht lange und private Investoren legen Entwicklungspläne vor und die Mieten und Preise steigen an. Kunst im öffentlichen Raum wird so zum Komplizen der kapitalgetriebenen Gentrifizierung. Doch, so wendet Marcus Neustetter ein, gäbe es keine Alternative dazu, wenn man Johannesburg nicht sich selbst und möglicherweise dem finanziellen und sozialen Ruin preisgeben möchte.