Schuldig dank "Verbotener Kunst"

Russisches Gericht verurteilt Kurator

Am Montag, 12. Juli 2010 wurde der russische Kunsthistoriker und Kurator Andrej Jerofejew von einem Moskauer Bezirksgericht schuldig gesprochen, durch die umstrittene Ausstellung "Verbotene Kunst" zu religiösem Hass aufgerufen zu haben. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteit.

Kultur aktuell, 13.07.2010

Die Werke in der Ausstellung missfielen radikalen Nationalisten und der orthodoxen Kirche. Das Urteil ist die Folge eines Kulturkampfes, bei dem die Fronten allerdings alles andere als klar sind.

Glaubenswächter in Fantasieuniformen

Die drückende Schwüle eines Sommertages verwandelte den Platz vor dem Moskauer Bezirksgericht in einen Hexenkessel: Selbsternannte Glaubenswächter in Fantasieuniformen schwangen Kreuze und Kirchenfahnen. Eine bis dahin unbekannte Künstlergruppe setzte tausende Küchenschaben frei, um so gegen den Prozess zu protestieren - oder einfach nur um aufzufallen.

Dann sprach die Richterin das Urteil: Geldstrafen für die beiden Angeklagten. Das ist weniger, als die Fanatiker forderten, aber auch nicht der erhoffte Freispruch, für den sich eine aufgeklärte Moskauer Öffentlichkeit seit Monaten einsetzt.

"Es ist zu früh, sich zu freuen", meinte einer der Angeklagten, der Kunsthistoriker Andrej Jerofejew in einer ersten Reaktion.

Ausstellung im Sacharow-Zentrum

Gegenstand der Verhandlung war eine Ausstellung mit dem Titel "Verbotene Kunst", die im März 2007 im Sacharow-Zentrum für Menschenrechte gezeigt wurde. Der Direktor des Zentrums, Juri Samodurow, hatte damals Andrej Jerofejew, den bekannten Moskauer Experten für zeitgenössische Kunst, eingeladen, in seinem Haus russische Künstler der Gegenwart zu versammeln, die sich in den letzten dreißig Jahren kritisch mit der Russisch-orthodoxen Kirche und anderen Religionsgemeinschaften auseinandergesetzt hatten.

Was war zu sehen? Jesus als Werbefigur einer amerikanischen Fastfood-Kette. Eine bekannte Comic-Figur in der Pose des Erlösers. Alles eigentlich nur wenig skandalös und auch nur leidlich kritisch. Das einprägsamste der etwa zwanzig Werke war wohl ein Bild, das einer Ikone glich. Es zeigte schwarzen Kaviar, belegt mit einem traditionellen Goldbesatz, der sonst die Gottesmutter und das Jesuskind umrahmt. Die Ausstellung nahm die weltzugewandte Seite der Orthodoxie aufs Korn und wäre im Alltag des Moskauer Ausstellungsgeschehens untergegangen, hätte nicht eine Gruppe von empörten Gläubigen, der von unbekannter Seite spürbar die Hand geführt wurde, Anzeige erstattet.

Prozess als Farce

Der Prozess gegen Andrej Jerofejew und den Direktor des Sacharow-Zentrums war von Anfang an eine Farce. Dass keiner der empörten Gläubigen die Ausstellung gesehen hatte, war nur ein bezeichnendes Detail am Rande. Die unklare Haltung der Orthodoxen Kirche, die sich zwar offiziell gegen eine Verurteilung Jerofejews ausgesprochen hat, deren Führung aber mehrfach ihre Befriedigung über den Prozess gezeigt hatte, legte eine Spur. Kulturminister Awdejew hingegen hat die Kunst verteidigt.

Bei der Moskauer Menschrechtsorganisation Memorial wurde der Prozess, der sich ja Jahre hinzog, genau verfolgt. Wer stand da eigentlich am Pranger? Die Moskauer Intelligenz, die der Kreml bis heute nicht ganz unter seine Kontrolle zwingen kann?

Gegen das Moderne

"Das sind die Intellektuellen, die Weltöffentlichkeit", so Irina Scherbakowa von Memorial. "Die Intellektuellen, die keine Fundamentalisten sind, sondern wirklich offen, frei modern denken und auch in der Kunst modern denken."

Dass diese Weltoffenheit nicht jedem in Russland passt, versteht sich von selbst und hat eine lange Tradition. Mit der krausen Ideologie der russischen Dunkelmänner ist aber offenbar auch kein Staat zu machen, jedenfalls kein moderner und wirtschaftlich erfolgreicher.

Verdeckt geführter Machtkampf

"Wenn man dem allen folgt, was da propagiert wird, heißt das, dass sich Russland abkapselt, gegen den Westen, gegen das Moderne. In meine Augen steht das in einer Diskrepanz zu dem, was unser Präsident jetzt propagiert", betont Scherbakowa.

Der Nebenschauplatz Jerofejew-Prozess ist Folge eines internen Machtkampfes über die Zukunft des Landes. Dieser Machtkampf wird verdeckt geführt, aber er wird entscheiden, in welche Richtung letztlich die Reise geht.