Enthüllungen um Geheimbündnis "P3"

Skandalwelle weitet sich aus

Italiens Regierung scheint derzeit wie ein absturzgefährdeter Ballon. Um den Aufprall zu verhindern, wird während der Talfahrt Ballast abgeworfen. So musste vor einigen Minister Scajola zurücktreten, dann sein Amtskollege Brancher und jetzt ein Staatssekretär. Es ist also etwas faul im Staate Italien. Und die jüngsten Enthüllungen um ein "P3" genanntes Geheimbündnis machen die Sache nur komplizierter.

Mittagsjournal, 16.07.2010

Sardischer Unternehmer als Drahtzieher

Begonnen hat die jüngste Skandalwelle wie viele andere in Italien auch: mit schweren Korruptionsvorwürfen. Schmiergeldzahlungen rund um die Errichtung eines Windparks auf Sizilien riefen die Ermittler auf den Plan. Der Mann dahinter machte die Untersuchungen aber besonders brisant: Flavio Carboni, sardischer Unternehmer, 78 Jahre alt. Einer der seit Jahrzehnten faktisch in allen großen Skandalen verwickelt war, sei es die Ermordung des Bankiers Roberto Calvis, der Fall Parmalat oder die Affäre um die Bank Ambrosiano.

Geheime Treffen

Seine vielen Verurteilungen machten ihn aber nicht zur persona non grata. Im Gegenteil: Carboni war bis zu seiner erneuten Verhaftung Anfang des Monats unverzichtbarer Gast im Hause des Berlusconi-Intimus Denis Verdini. Verdini, seines Zeichens Koordinator der Regierungspartei PDL, organisierte die Parteibelange aber offenbar auf seine Art. In geheimen Treffen mit Carboni und den Ministern La Russa und Bondi versuchte er überall dort einzugreifen, wo die Dinge nicht so liefen, wie man wollte - in der Wirtschaft, der Justiz und der Politik.

Gerichtsakten und Abhörprotokolle

Das Beziehungsgeflecht, das sich hinter diesen Geheimtreffen aufgetan hat, füllt seit Tagen Italiens Zeitungen. Von einer Geheimloge ist da die Rede. Von einer P3 - in Anlehnung an die P2, also jener illegalen "Propaganda due" genannten umstürzlerischen Organisation, die in den 1980ern aktiv war - und der auch Silvio Berlusconi angehört hatte. Was sich wie mediale Überhöhung anhören könnte, findet seine Bestätigung aber in Gerichtsakten und Abhörprotokollen.

Berlusconi: "Pensionistentreffen"

Einige Verhaftungen waren die Folge und ein Staatsekretär musste zurücktreten: der Neapolitaner Nicola Cosentini, dem beste Kontakte zur Camorra nachgesagt werden. Silvio Berlusconi stellte sich anfangs schützend vor seine Freunde und bagatellisierte die Geheimtreffen als Ansammlung harmloser Pensionisten. Doch die Flut an täglich Enthüllungen hat ihn etwas kleinlauter gemacht. Er selbst taucht in den Protokollen immer wieder mit dem Decknamen Cäsar auf. Nun soll Berlusconi überlegen, die Partei PDL im Sommer neu aufzustellen. Nach dem Motto: rette, was zu retten ist.

Netz aus Korruption und Illegalität

Denn der Ruf nach Neuwahlen - oder zumindest nach einer Übergangsregierung - wird angesichts der publik gewordenen Geheimloge immer lauter. Ein riesiger Filz wird hier den Italienern vor Augen geführt. Politiker, Unternehmer sowie hohe Richter und Staatsanwälte schieben sich Posten und Aufträge zu. Richterliche Entscheidungen werden beeinflusst, Gesetze gebeugt. Ein dichtes Netz aus Korruption und Illegalität haben die Ermittler bisher aufgezeigt. Eines das direkt zum organisierten Verbrechen führt, sprich Cosa Nostra, Camorra und N´drangheta. Ein Ende der Aufdeckungen ist noch nicht in Sicht.