Essays von Ruth Klüger

Was Frauen schreiben

Mit ihrem autobiographischen Buch "Weiter leben" hat Ruth Klüger 1992 einen Klassiker der sogenannten Holocaust-Literatur vorgelegt. Im Zsolnay-Verlag hat die überzeugte Feministin nun ein neues Buch vorgelegt: "Was Frauen schreiben" heißt es.

Mittagsjournal, 19.07.2010

Ruth Klüger, sie hat es in "weiter leben" beschrieben, war schon als Kind eine fanatische Leserin. "Ich hab immer gelesen", sagt sie. "Und in der Nazizeit als Kind, als ich nicht mehr in die Schule gehen durfte, als ich die Parks in Wien nicht mehr besuchen durfte, war das Lesen das einzige, das einen bei Verstand gehalten hat. Und da hab ich alles durcheinander gelesen." Goethe, Schiller, Grillparzer und die anderen Klassiker vor allem.

Ruth Klügers neues Buch versammelt Essays und Literaturkritiken aus den letzten Jahren, Texte über Nadine Gordimer, Barbara Honigmann, Margaret Atwood, Agota Kristof und drei Dutzend andere Autorinnen. Ausschließlich um Literatur von Frauen geht's. Mit einer Ausnahme: Als einziger Mann hat es Henning Mankell in Ruth Klügers Auswahl geschafft – mit seinem proletarischen Frauenroman "Daisy Sisters".

"Er ist derartig eingestellt auf die Probleme von Frauen, daß es wirklich erstaunlich ist", meint Klüger über Mankell. "Ich hab das nicht von einem Mann erwartet."

Skandinavische Feministen

"Seufzend stelle ich fest, daß manche der besten Feministen in der Literatur skandinavische Männer sind und waren", schreibt Ruth Klüger. Namentlich nennt sie Henrik Ibsen, Henning Mankell, und den Thrillerautor Stieg Larsson.

"Diese skandinavischen Länder sind fortschrittlicher", findet Klüger. "Der Stieg Larsson hat ja diese ungewöhnliche Gestalt, diese Salander, die autistisch ist und sich durchsetzen kann, obwohl alles dagegenspricht, dass sie das kann. Das ist reine Phantasie, aber wunderbar. Durchaus lesenswert."

Keine Emanzipation im Literaturbetrieb

Neue Ansätze zur feministischen Literaturtheorie wird man in Ruth Klügers Buch vergeblich suchen. In profunden kleinen Einzelstudien allerdings weist Klüger nach, dass sich auf dem Feld der Literatur in Sachen Emanzipation so viel nicht verändert hat in den letzten Jahrzehnten, wie man vielleicht meinen könnte.

Dank der passiven Rolle, die man den Frauen jahrhundertelang unter dem Vorwand, es sei das ihnen Natürliche, aufgezwängt hat, sind noch immer mehr Autoren männlichen und - paradoxerweise - mehr Leser weiblichen Geschlechts.

Eine Behauptung, die kritischer Überprüfung standhält. Im aktuellen Herbstprogramm des Carl-Hanser-Verlags zum Beispiel finden sich 19 belletristische Neuerscheinungen von Männern – und ganze zwei von Frauen!

Die "gerechte Sprache" der Herta Müller

Eine dieser Novitäten immerhin stammt von Herta Müller, einer Autorin, die Ruth Klüger außerordentlich schätzt. Herta Müllers Roman "Atemschaukel" lobt Klüger in ihrem Buch über den grünen Klee.

"Sie hat eben diese poetische Sprache, die das Ganze ungemein hebt", so Klüger. "Und diese poetische Sprache ist keineswegs sentimental, falls man das glauben sollte, obwohl es um Lager und Zwangsarbeit geht. Die Sprache ist gerecht, sie rückt das Geschehen ins Rampenlicht."

Ein Faible für Harry Potter

Ruth Klüger ist bekennender Harry-Potter-Junkie. Joanne K. Rowlings Fantasy-Heptalogie hält sie für große Literatur, wie man in ihrem neuen Buch nachlesen kann.

"Was der Rowling gelingt, ist, dass sie sozusagen die Mythologie aller Länder plündert und zusammenstellt auf einer kindlichen Ebene", meint Klüger. "Dann kommt noch hinzu diese große Toleranz, die sie hat für alle ethnischen Gruppen, das muss wirklich gesagt werden, das sind total humanistische Bücher, die nie irgendwo mit erhobenem Zeigefinger daherkommen."

Wie Frauen schreiben, was sie schreiben, und vor allem, dass sie sehr, sehr unterschiedliche Zugänge zu ihren jeweiligen Sujets haben, das hat Ruth Klüger in ihrem neuen Buch eindrücklich herausgearbeitet.

Service

Ruth Klüger, "Was Frauen schreiben", Zsolnay Verlag, das Buch erscheint am 27. Juli 2010.