Prozess neu aufgerollt

Kosovos Ex-Premier muss erneut vor UNO-Tribunal

Der ehemalige Kurzzeit-Ministerpräsident des Kosovo, Ramush Haradinaj muss wieder vor Gericht. Das Berufungsgericht des UNO-Tribunals für Ex-Jugoslawien stufte dessen Freispruch vor zwei Jahren als Fehlurteil ein und ordnete an, den Prozess zum Teil neu aufzurollen. Im ersten Prozess wurden angeblich Zeugen eingeschüchtert.

Abendjournal, 21.07.2010

Haradinaj bereits festgenommen

Das UNO-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) hat am Mittwoch verfügt, das Gerichtsverfahren gegen den früheren kosovarischen Premier Ramush Haradinaj und zwei mitangeklagte ehemalige Angehörige der "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK), Idriz Balaj und Lahi Brahimaj, zum Teil neu aufzurollen. Der Richtersenat akzeptierte damit den Antrag der Anklage auf Neubehandlung von sechs Anklagepunkten, darunter Morde. Haradinaj war schon am Dienstag im Kosovo festgenommen und an das Haager Tribunal überstellt worden, berichtete die private Belgrader Nachrichtenagentur Beta unter Berufung auf Tribunalssprecherin Nerma Jelacic.

Zugleich bestätigte das Gericht die in erster Instanz verhängte sechsjährige Haftstrafe für Brahimaj (40). Haradinaj (42) und Balaj (38) waren im April 2008 in erster Instanz freigesprochen und auf freien Fuß gesetzt worden. Am Mittwochvormittag war nach Angaben des ICTY-Richters Patrick Robinson auch die Überstellung Balajs im Gange. Dieser saß bisher im Kosovo wegen anderer Straftaten Gefängnis. Das internationale Gericht teilte bei der Verhandlung am Mittwoch mit, schon am 19. Juni im Geheimen einen Haftbefehl gegen den Ex-Premier ausgestellt zu haben.

Morde und Folter an Gefangenen

Haradinaj ist Chef der oppositionellen "Allianz für die Zukunft des Kosovo" (AAK) und der prominenteste Kosovo-Albaner, der sich vor dem UNO-Tribunal verantworten muss. Haradinaj war einige Monate lang Ministerpräsident des damals noch nicht unabhängigen Kosovo, bevor er sich im März 2005 nach Veröffentlichung der Anklage dem UNO-Tribunal stellte. Nun hat seine Polit-Karriere einen neuen Knick erfahren.

Die Anklage wirft Haradinaj und den beiden anderen Angeklagten vor, mitverantwortlich für Morde und die grausame Behandlung von Gefangenen im Westkosovo 1998 gewesen zu sein. Zudem sollen sie gegen die Kriegsgepflogenheiten verstoßen haben. Nun soll das Verfahren nach dem erstinstanzlichen Freispruch in sechs von insgesamt 37 Anklagepunkten neu aufgerollt werden.

Erster Prozess nicht gerecht

Der Tribunalssenat ließ die Argumente der Anklage gelten, wonach der erstinstanzliche Prozess gegen Haradinaj nicht gerecht war. Der damals zuständige Senat habe nicht die notwendigen Anstrengungen unternommen, um zwei Kronzeugen anzuhören. Diese lehnten es ab, vor Gericht auszusagen, nachdem sie nach eigenen Angaben Einschüchterungen ausgesetzt waren. Zuvor hatten sie belastende Aussagen gemacht.

Mehrere potenzielle Zeugen - laut Medienberichten zwischen neun und zwölf Personen - kamen ums Leben. Weil er Druck auf einen im Haradinaj-Prozess geschützten Zeugen ausgeübt haben soll, musste sich vor dem Haager Gericht später auch der frühere kosovarische Kulturminister Astrit Haraqia verantworten.

Belgrad begrüßt Entscheidung

In Belgrad, wo der Freispruch für Haradinaj kurz nach der Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo für große Empörung gesorgt hatte, wurde die Entscheidung des UNO-Tribunals begrüßt. Der stellvertretende serbische Sonderstaatsanwalt für Kriegsverbrechen, Bruno Vekaric, bezeichnete den Beschluss einer Teilwiederholung als "großen Sieg der Haager Anklage im Ringen um die Rechte der Opfer".

Der führende AAK-Politiker Besnik Tahiri sagte in Prishtina zum Fall Haradinaj: "Wir sind nach wie vor von seiner Unschuld überzeugt." Auch Haradinajs Anwalt Michael O'Reilly äußerte sich laut dpa erstaunt über das Urteil der Berufungskammer und verwies auf den klaren Freispruch vor zwei Jahren.