Weltkulturerbe in Gefahr

Sansibars Stone Town

Sansibar: Für viele ist dieser Ort ein Sehnsuchtsort. Sansibar klingt nach unerreichter Ferne und unerfüllten Träumen. Sansibar ist zwar tatsächlich sehr schön, aber nicht nur ein verträumtes Paradies. Die von Kolonialismus und Sklavenhandel geprägte Geschichte kollidiert mit der Gegenwart, mit Korruption, politischer Instabilität und Armut.

Kulturjournal, 03.08.2010

Kulturell ist Sansibar einzigartig: Seit Jahrhunderten haben sich hier unterschiedliche Kulturen gemischt und eigene visuelle und musikalische Stile hervorgebracht.

Den Fremdenverkehr im Blick

Die Altstadt, Stone Town genannt, mit den verwinkelten Gässchen, den kleinen Häusern aus Muschelkalk und den aufwändig geschnitzten Holztüren, ist seit 2000 UNESCO-Weltkulturerbe. Dennoch bröckeln viele Häuser vor sich hin, und Geld für die Renovierung fehlt. Dass die alten Häuser für die Stadtbewohner nicht nur eine Belastung, sondern auch - im Hinblick auf Tourismus - verwertbares Allgemeingut sind, dämmerte der Regierung von Sansibar Anfang der 1990er Jahre.

Das war spät, aber zumindest war man sich des Ernstes der Lage bewusst, meint Mohammed Mourghery von der Zanzibar Stone Town Heritage Society: "Die Bürger haben erkannt, dass die historische Altstadt ein wertvolles Gut ist, weltweit einzigartig. Wenn die Gebäude verfallen, sind sie unwiederbringlich verloren. Wir müssen uns zusammentun, um die Architektur zu erhalten und zu restaurieren. Deshalb haben wir diese Organisation ins Leben gerufen." Die Zanzibar Stone Town Heritage Society versucht seit 2002, die Bevölkerung über die Bedeutung der Gebäude aufzuklären.

Besitz und Verfall

Im Sozialismus, also von 1961 bis 1985, wurden die Häuser verstaatlicht und günstig vermietet. Da es nicht ihr Eigentum war, kümmerten sich die Bewohner nicht um die Häuser, unterließen Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen. Noch heute gehören die meisten Objekte dem Staat - die Privatisierung geht langsam voran.

Die UNESCO hat bereits mehrmals angedroht, Sansibars Stone Town den Status "Weltkulturerbe" zu entziehen, wenn nicht effizient gegen den Verfall vorgegangen wird. Doch das gestaltet sich schwierig: Nicht nur können es sich die Bewohner nicht leisten, ihre Häuser zu renovieren, auch sind es schlicht zu viele Gebäude, als dass man sie über Spendenaktionen und Sponsoring retten könnte. Sie brauchen ständige Aufmerksamkeit und keine einmalige Hilfe.

Über 2.000 Gebäude zählt die Altstadt, und das Besondere sind eben nicht einzelne Objekte, sondern die Stadt in ihrer Gesamtheit, meint der irische Architekt Peter Barry, der im Auftrag der Zanzibar Stone Town Heritage Society recherchiert. Die Häuser, ihre Details wie Balkone und Türen, sowie das verwinkelte Straßensystem machen die Einzigartigkeit Stone Towns aus, so Peter Barry. Und tatsächlich: die Architektur einzigartig zu nennen, ist keine floskelhafte Verklärung.

Einzigartiges Amalgam der Kulturen

Über die Jahrhunderte, als Sansibar als Handelsknotenpunkt im Indischen Ozean florierte, siedelten sich Araber und Inder an, deren Kulturen mit der ostafrikanischen Swahili-Kultur verschmolzen. Ein Beispiel dafür wäre ein Bauwerk arabischen Grundrisses, also mit einem offenen Innenhof und kaum Fenstern nach außen, mit indischen floralen Mustern an der Fassade dekoriert, und nach traditioneller Swahili-Bauweise aus Muschelkalkstein errichtet.

Einen Bruch in dieser inklusiven Entwicklung brachte auch nicht die Kolonialherrschaft der Briten. Zufällig wurde ein Architekt als Gouverneur eingesetzt, der Interesse am lokalen Baustil zeigte. Der Architekturhistoriker Abdul Sheriff erklärt, dass die Briten ihre Vorstellung von Orientalismus zwar umsetzten, aber auf sanfte Weise.

Unter dem Protektorat der Briten

Abdul Sheriff leitet das Zanzibar Indian Ocean Research Institute und hat als Architekturhistoriker und Kulturwissenschaftler zahlreiche Standardwerke publiziert. Nach Abschaffung der Sklaverei und während des britischen Protektorats, also etwa von 1890 bis 1960, so erzählt er, stagnierte die Wirtschaft in Sansibar:

"Die Leute hatten kein Geld - und das sollte sich nachträglich und aus architekturhistorischer Sicht als Segen erweisen. Denn statt Häuser abzureißen und neue zu bauen, sorgte man sich darum, dass nicht die Dächer über den Köpfen einstürzten. Daher blieb die Stadt für etwa ein halbes Jahrhundert weitgehend unverändert."

Was die Briten jedoch anrichteten war eine städtebauliche Maßnahme mit nachhaltigen Folgen: Standen früher feste Häuser und Hütten nebeneinander, wurden die Ärmsten aus der Innenstadt verbannt. Räumliche Segregation bedeutet Kontrolle.

"Ich selbst kam aus seiner Händlerfamilie, die damals als gut situiert galt", erzählt Abdul Sheriff. "Wobei: Auch ich ging in aus Autoreifen gebastelten Schuhen zur Schule. Der Unterschied zwischen Reich und Arm war also nicht sehr groß - was die Briten machten, war, diesen Unterschied hervorzuheben. Die räumliche Aufspaltung war eine britische Erfindung. Reichtum und große Armut nebeneinander gab es hier immer schon."

Denkmalschutz ohne Zähne

Bezüglich der Schwierigkeiten, die historische Bausubstanz für die Nachwelt zu retten, verweist Abdul Sheriff auf die mangelnde Autorität der zuständigen Regierungsbehörde, der er empfiehlt: Zähne zeigen. Es gibt sowohl einen Masterplan, als auch entsprechende Gesetze, dennoch können reiche Leute immer noch zum Präsidenten gehen und die Regulierungen in Einzelfällen ohne weiteres kippen, so Sheriffs Vorwurf. Immer wieder stößt man in der Altstadt auf Schutthaufen, die den Weg versperren: dass ein Haus einfällt kommt vor. Ist es einmal unbewohnt, geht das schnell.

Unter dem Pflaster

Für den Architekten Peter Barry bieten diese Verluste jedoch auch neue Möglichkeiten für den Stadtraum: "Freilich muss der Verfall aufgehalten werden. Aber wenn ein Gebäude eingestürzt ist, könnte man durchaus darüber nachdenken, die entstandene Baulücke nicht zu verbauen. Stone Town ist eine der am dichtesten bewohnten Flächen Afrikas. Es gibt sehr wenige Parks oder Spielplätze. Wenn Baulücken vom Schutt befreit und als Grünflächen erhalten werden könnten, wäre das eine Entlastung des dichten Stadtgefüges."

Manche Orte, so Peter Barry, scheinen nach Begrünung zu schreien: wenn Pflanzen und Bäume aus den von Regenwasser brüchigen Mauern wachsen. Die Natur bahnt sich ihren Weg. Morbider Charme und Ruinenromantik - auch daraus ließe sich ein glattes Fremdenverkehrskonzept basteln, doch ist es nicht das, was eine Stadt auf Dauer lebenswert erhält.