Zum Phänomen Helmut Qualtinger

Vom Travnicek bis zum Namen der Rose

Qualtinger - das ist ein Phänomen: Der Name steht nicht bloß für den Menschen, der am 8. Oktober 1928 geboren und am 29. September 1986 gestorben ist und von dem man weiß, dass er in Film, Funk und Fernsehen tätig war.

Das Wort "Phänomen" heißt "Erscheinung" und ein Phänomen wird man nur dadurch, dass man etwas Wesentliches verkörpert, etwas Wesentliches zur Erscheinung bringt.

Ein Gesicht für Österreich

Was war also das Wesentliche an Helmut Qualtinger, das ihm bis heute Bedeutung gibt? Auf die Frage, was denn nun das Wesentliche an Helmut Qualtinger war und ist, wird es viele Antworten geben. Die Antwort, die Sie hier lesen werden, gründet auf zwei einander ergänzende Thesen. Die erste These lautet: Helmut Qualtinger war bisher der letzte Österreicher, der Österreich - dem Land, der Nation, dem Volk - ein Gesicht hatte geben können. Eine solcher Verkörperung aller durch einen ist natürlich nur durch akzeptiert optische Täuschungen, durch gewollt verzerrende Blickwinkel möglich.

Solche Blickwinkel erzeugen den Volksschauspieler, wer so angesehen wird, ist einer. Aber Qualtinger fiel auch als Volksschauspieler aus der Rolle: Während gewöhnlich Volksschauspieler dem Volke, ihrem Publikum, schmeicheln, schmeichelte Qualtinger nicht. Aber andererseits war er auch keineswegs ein extremer Österreich-Kritiker - was ja auch nichts Schlechtes gewesen wäre. Nur: Solche Typisierungen, wie zum Beispiel die Travnicek-Figur, sind durchaus ambivalent angelegt; im Rahmen seines Spießertums ist dieser Travnicek nicht weit entfernt von der ewig gültigen Weisheit des Nörglers.

Was, Travnicek, glauben Sie, weswegen Sie zur Wahl gehen?
Travnicek: Weil i an Zettel krieg.
Nein! Der Politiker braucht den Kontakt mit dem Volke. Durch diesen Zettel erfährt er, was Sie als Wähler von ihm halten.
Travnicek: Des kann i ihm auf'n Zettel aufschreiben?
Nein, dann ist er ungültig!
Travnicek: Also, was is des für a Kontakt?
Die abgegebenen Stimmen sagen den Politikern, was das Volk von ihnen hält.
Travnicek: Und das stört sie nicht?

Qualtinger als Volksschauspieler

In Qualtingers Kunst steckt eine seltene Ausgeglichenheit Österreich-kritischer und Österreich-affirmativer Momente. "Ausgeglichen" heißt eben nicht versöhnlerisch oder beschönigend, sondern Qualtingers Kritik, die künstlerisch keine Rücksicht nimmt, hat patriotische Züge, weil sie zur Selbstreflexion des Nationalcharakters provoziert.

Das kommt aber weniger daher, dass das in irgendeiner ideologischen Absicht, in irgendeiner vorgefassten Meinung läge; es liegt in Qualtingers schauspielerischer Methode. Diese ist strikt mimetisch, das heißt: Einführend und nachahmend und gerade in den Karikaturen bewahrt Qualtinger sehr viel von den Eigenheiten, mit denen die ursprünglichen Vorbilder seiner Darstellungskunst geschlagen waren. Daher kann man sagen: Qualtingers Österreichkritik kam nicht von außen, sondern von innen heraus und sie war nicht wenig fasziniert von dem, das sie kritisieren sollte.

Aber dass einem Helmut Qualtinger mit Recht als Volksschauspieler erschien, ist noch aus einem offensichtlichen Grund erstaunlich. Wenn er überhaupt für etwas typisch war, dann für die Ostösterreicher, näher: für die Wiener. Einen für ganz Österreich generalisierbaren Wiener, den österreichtypischen Wiener, den kann es nicht geben!

Die Herrschaft des "Herrn Karl"

Wieso konnte aber bei Qualtinger dennoch der Eindruck entstehen? In seinem Gesicht, in seiner Stimme, in seinem Gestus ist Österreich? Als Antwort darauf eine riskante These: Es kommt vom Unbewussten, und Qualtinger hat in vielen seiner Figuren, mit vielen seiner Redeweisen auf ein kollektives Unbewusstes angespielt, welches sich nicht in neun Bundesländer teilen lässt. Das nämlich hatten die meisten, auf jeweils andere Art, miteinander gemein:

"(...) Furchtbar, das Verbrechen, wie man diese gutgläubigen Menschen in die Irre geführt hat. Der Führer hat geführt - aber: Persönlichkeit war er (...), vielleicht ein Dämon, aber man hat die Größe gespürt. (...)"

Die These ist also: Helmut Qualtinger als Darsteller (und die beiden Autoren des "Herrn Karl", Helmut Qualtinger und Carl Merz) bearbeiteten ein historisches Fundament, eine geschichtliche Grundlage der Zweiten Republik. Diese Grundlage war die Herkunft dieser Republik Österreich aus dem Dritten Reich, war die Tatsache, dass nicht wenige der Zeitgenossen Parteigenossen, also überlebende Kollaborateure eines Systems waren, das Millionen Menschen umgebracht hatte. Für die Darstellung dieser Kollaborateure war es wurscht, ob die Hauptfigur, an der man das Problem demonstrierte, ein Wiener war oder nicht. Hier stand einer, und sei es ein Wiener, für alle Mitläufer und alle standen für den einen.

Das den Österreichern gemeinsame "Problem" war nun die Schuld und die (Un-)Logik der Entschuldigung, die sich in jener merkwürdig verwurschtelten Sprache ausdrückte, durch die man alles zugab und zugleich leugnete. Für die anderen, die entweder Opfer waren oder nichts entschuldigen wollten, war die Frage die: Kann so etwas wieder an die Macht kommen, ist die Herrschaft des "Herrn Karl" ungebrochen?

Es ist klar, dass der "Herr Karl" nur eine, wenngleich die endgültige Figur war, die Qualtinger auf der Suche nach den österreichischen Erben der Hitler-Zeit fand - und ebenso klar (und von innerer Logik) ist, dass Qualtinger eines Tages wohl versuchen musste, auch Hitler selber zu so einer, zu seiner Figur zu machen. So geschehen, bei Helmut Qualtingers Interpretation von "Mein Kampf".

Helmut Qualtinger als Erzieher

Die erste These als Antwort auf die Frage, worin denn Helmut Qualtingers Bedeutung bis heute besteht, lautete: Helmut Qualtinger war bisher der letzte Österreicher, der Österreich - dem Land, der Nation, dem Volk - ein Gesicht hatte geben können.

Die zweite These ist aufs Erste überraschend, nämlich: Qualtinger war ein Erzieher. Wie soll man das verstehen - Qualtinger als Erzieher?

Als Beleg für diese These kann man sich in eine charakteristische Lebensgeschichte einblenden; Willy, unmittelbar nach dem Krieg geboren, war als Jugendlicher im Gymnasium immun gegen die überkommene Pädagogik, aber deshalb brauchte er nicht blöd zu sterben.

"Ich habe den 'Herrn Karl' passagenweise zitieren können. Das hat so weit geführt, dass - weil unser Idol Qualtinger 'Die letzten Tage der Menschheit' gelesen hat - wir uns auch dieses Werk hineingezogen haben und daraus zitieren konnten. Qualtinger hat uns auch auf Nestroy gebracht, der uns sprachlich sehr gelegen ist. Das war alles 4., 5. Klasse Mittelschule", erzählt Willy Resetarits.

In diesem Sinn war also Qualtinger ein Erzieher: Seine Darstellungskunst gründete in einer österreichischen Tradition, die mit den Namen Nestroy und Karl Kraus gekennzeichnet ist. Qualtingers Erziehungsberechtigung wirkte umso mehr, als er einer der wenigen war, die die E- und U-Kultur in einer Person vereinigten. Man konnte die Texte zum Teil auswendig, den "Herrn Karl", aber auch "Die letzten Tage der Menschheit", und dieses freiwillige Auswendigkönnen ist der klassische Beweis für eine lebendige Kultur. Lebendig daran war nicht nur die zweckfreie Freude an den Texten; diese Freude hatte, so Willy Resetarits, auch einen politischen Sinn: Als Kind erlebte er auf diesem Weg die Kritik an einem reaktionären Österreich.

Qualtinger und die Tradition der Satire

Qualtinger hat die österreichische Tradition der Satire für viele Menschen lebendig gemacht; er war - man muss es so sagen - ein Erzieher der Jugend, vor allem jener, die aus der Unterschicht kam und deren Teilnahme am kulturellen Leben keinesfalls selbstverständlich ist. Im Zuge dieser Erziehungstätigkeit hatte Qualtinger auch den Dialekt vom Vorurteil befreit, unkultiviert zu sein, weshalb man ihn zu unterdrücken habe.

Dabei stand er nicht allein, der Dialektkünstler seinerzeit war H. C. Artmann und es gibt einen schlagenden Beweis ihrer Zusammenarbeit. 1964 wurde eine Schallplatte produziert, die die Poesiefähigkeit von allem Niedrigen, die Schönheit von Suff und Puff und von körperlichem Behagen zu Gehör brachte. Artmann hatte die Gedichte von Francois Villon ins Wienerische übersetzt. Und Artmanns Übersetzung wird von Helmut Qualtinger vorgetragen und von Fatty George vertont.

Eine österreichische Institution

Die meiste Zeit seines Künstlerlebens war Helmut Qualtinger eine österreichische Institution, das heißt: Er gehörte zu den umschmeichelten Lieblingen, zu den "Originalen". Mit Recht hat vor allem Peter Turrini darauf hingewiesen, dass die Art, wie man Helmut Qualtinger hierzulande eingemeindete, auf Kosten einer Auseinandersetzung mit seiner wirklichen künstlerischen Bedeutung ging: Qualtinger wurde geliebt und umarmt, wohl auch deshalb, damit man ihn nicht allzu ernst nehmen musste. Dieses Problems war sich Qualtinger selber bewusst. Seinen Rückzug aus dem Kabarett im Jahre 1960 begründete er später mit den Worten, "dass diese Form der politischen Kritik, oder der Satire, eigentlich effektlos war. Sie hat nichts Wesentliches verändert. Im Gegenteil, sie wurde anerkannt, es entstand eine Art Vernichtung durch Anerkennung."

Von Qualtinger könnte zum Schluss auch das bleiben, was noch gar nicht anerkannt ist: Der Schriftsteller Qualtinger zum Beispiel, dessen gesammelte Werke bei Deuticke vorliegen. Aus seinen Schriften geht besonders deutlich hervor, dass er nicht einer der Vorreiter der heutigen Spaßkultur, also des auf sich selbst beschränkten Witzelns und der von allem Ernst abgespaltenen Lächerlichkeiten, gewesen ist. In Qualtingers Witz spiegelten sich die Konflikte wider, die die Menschen tatsächlich hatten. Dieser Witz war nicht ohne Bitterkeit und er ließ vor allem die Repräsentanten der beginnenden sogenannten "Wohlstandsgesellschaft" schlecht aussehen, nämlich: innen hohl, sich nach Erfüllung sehnend und nach außen hin gemein.

Aber, und das wollte dieser Beitrag zeigen, Qualtingers Wirkung ging jedenfalls tiefer, als er es selber hatte wissen können: Er war einer derjenigen, die das kulturelle Leben Österreichs liberalisiert, freier gemacht haben, und ohne die vieles, das man heute ganz selbstverständlich durchschaut, noch gar kein sofort erkennbares Gesicht hätte.

Text: Franz Schuh, Textbearbeitung: Silvia Lahner

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Österreichisches Kabarettarchiv - Helmut Qualtinger
YouTube - Helmut Qualtinger liest Adolf Hitler