Zum 100. Geburtstag von Mutter Teresa

Eine Heilige für Kalkutta und die Welt

Als Tochter einer bürgerlichen Familie wurde Agnes Bojahxiu im heutigen Albanien am 26. August 1910 geboren. 2003, nur sechs Jahre nach ihrem Tod, wurde Mutter Teresa seliggesprochen, ihre Heiligsprechung wird erwartet. Ein Lokalaugenschein in Kalkutta zeigt, dass ihre Arbeit weitergeführt wird.

Mittagsjournal, 21.08.2010

Kalkutta - oder Kolkata, wie die Stadt heute heißt, ist mit 16 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt Indiens. Das Mutterhaus der "Missionaries of Charity" liegt 20 Minuten zu Fuß vom Zentrum entfernt. "Missionarinnen der Nächstenliebe", so heißt der Orden, den Mutter Teresa vor mehr als 60 Jahren hier gegründet hat.

In der Kapelle des Mutterhauses befindet sich ihr Grab, das eine Pilgerstätte für Inder und Touristen ist. Mutter Teresa zieht auch nach ihrem Tod im Jahr 1997 viele Menschen an, die mitarbeiten wollen an ihrem Projekt der Nächstenliebe. Zudem empfehlen viele Reiseführer als besondere Attraktion der Megacity einen Kurzaufenthalt als freiwillige Helfer in einem der Häuser von Mutter Teresa.

Die Anfänge

Mutter Teresa, geboren vor hundert Jahren am 26. August 1910 in Skoplje, heute die Hauptstadt Mazedoniens, trat 1928 mit 18 bei den Loreto-Schwestern ein und wurde bereits im selben Jahr nach Indien geschickt. Die gebildete junge Albanierin sollte als Lehrerin in der Niederlassung des Ordens in Kolkata arbeiten.

Indien war damals britische Kronkolonie, und Kalkutta -so hatten die Briten ihre Gründung benannt - war eine der bedeutendsten Handelsstädte der Welt, ein Zentrum der kulturellen Avantgarde und des indischen Freiheitskampfes.

Sister Gertrud, heute 83-jährig, kennt Mutter Teresa noch als Lehrerin in der Schule des Loreto-Konvents. "Ich kam 1946 nach Kalkutta in die Schule, um mein Examen in Bengali zu machen. Und ich sah, dass diese Ausländerin so gut Bengali sprich - wir waren damals sehr gegen Europäer, denn wir gehörten zur Freiheitsbewegung, zur Gandhi-Bewegung, aber ich war begeistert von Mutter Teresa."

Indischer Orden mit internationaler Reichweite

Indien stand an der Schwelle zur Unabhängigkeit. Im Vorfeld der Teilung zwischen einem vorwiegend von Hindus bewohnten Indien und einem von Muslimen bewohnten Pakistan kam es im August 1946 in Kolkata zu furchtbaren Gemetzeln zwischen Hindus und Muslimen.

Mutter Teresa fuhr im September 1946 zu Exerzitien nach Darjeeling. Auf dieser Zugreise hatte sie die entscheidende Inspiration: sie wollte einen Orden gründen, um den Armen zu helfen. Und dieser Orden sollte ein indischer Orden sein und leben wie die Mehrheit der Inder, also wie die Armen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang die Gründung.

Sister Gertrud, die aus einer bengalischen Familie stammt, die seit 400 Jahren katholisch ist, und eine Schulfreundin, waren die ersten beiden Mitglieder des Ordens. Zum Erstaunen von Sister Gertrud hatte sich Mutter Teresa umorientiert. Sie trug einen Sari, und sie sprach nicht mehr Bengali, sondern Englisch - weil Englisch die internationale Sprache ist. Der neue Orden sollte nicht mehr nur in Kolkata tätig sein, sondern weltweit.

Die Gründung des Ordens entsprach den politischen Umständen: Nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 gab es - und gibt es bis heute - Stimmen, die keine ausländischen Missionare ins Land lassen wollen. Ein indischer Orden, der sichtlich mit dem europäischen kolonialen Lebensstil bricht, das war ein politisch sehr zeitgemäßes Projekt, auch wenn in der offiziellen Ordensgeschichte nur von der Vision von Mutter Teresa gesprochen wird.

Erstes Projekt 1952

Kolkata war damals voll von Flüchtlingen aus Ostpakistan, dem heutigen Bangladesh. "Wir fanden so viele Leute, die auf der Straße lagen und starben, dass sie im Spital nicht aufgenommen wurden", erzählt Sister Gertrud.

Am Kali Ghat gründete Mutter Teresa 1952 ihr erstes Projekt, das Sterbehaus Nirmal Hriday, das "Haus des reinen Herzens". International bekannt wurde Mutter Teresa ab Anfang der 1970er-Jahre.

Vor allem nach dem Friedensnobelpreis 1979 wurde sie immer mehr zu einer Ikone der Nächstenliebe - einer unpolitischen allerdings, denn im Unterschied zur Befreiungstheologie fragte sie nie nach den strukturellen Gründen der Armut.

Orden in 130 Ländern

2007 wurden Auszüge aus den privaten Aufzeichnungen von Mutter Teresa veröffentlicht. Die staunende Weltöffentlichkeit erfuhr, dass Mutter Teresa im Gefühl der Abwesenheit Gottes gelebt hatte.

"Das ist die Reinigung des Herzens", hatte Mutter Teresa selbst einmal gesagt. Das tut ihrer posthumen Anziehungskraft keinen Abbruch. ihr Orden hat keine Nachwuchssorgen und ist in mehr als 130 Ländern der Welt vertreten.