Mehr Gewalt in der Familie

Wien: Krisenzentren überbelegt

Die Wirtschaftskrise hat offenbar zu mehr Gewaltsituationen in Familien geführt. Die Zahl der Kinder, die von ihren Eltern getrennt und in Wohngemeinschaften untergebracht werden, ist gestiegen. Die Wiener Krisenzentren sind überbelegt, kritisieren Gewerkschafter, und verhandeln mit der Stadt. Die habe zwar die Unterkünfte ausgeweitet, aber nicht ausreichend.

Morgenjournal, 13.09.2010

Überbelag zu Lasten der Opfer

Wenn Kinder in ein Krisenzentrum kommen, dann meist nach traumatisierenden Erlebnissen. Doch in den 13 Wiener Krisenzentren bekommen sie dann oft nicht was sie brauchen, sagt Wilma Nestelberger, Personalvertreterin der Wiener Sozialpädagogen. Denn im Jahresschnitt würden in einem Krisenzentrum 12 Kinder zusammen leben, statt wie vorgesehen sieben. Dass manche dann auf Matratzen statt in Betten schlafen, sei nur ein Problem, das größere: Oft leben Kleinkinder mit Jugendlichen und auch Opfer mit Tätern zusammen. Nestelberger: "Die Kinder haben Strategien im Umgang mit Gewalt, mit sexuellem Missbrauch entwickelt. Manche davon werden zu Tätern, und zu uns kommen auch Kinder, die sehr viel Schutz brauchen. Das verträgt sich nicht, es kommt zu Übergriffen."

Kinder brauchen Ruhe und Kontinuität

Und das, wo die Trennung von den Eltern an sich schon belastend sei, selbst wenn den Kindern zu Hause Schlimmes widerfahren ist: "Sie haben teilweise Dinge erlebt, die mancher Erwachsener nicht gut überleben würde. Sie brauchen Ruhe, Kontinuität, Zuneigung. Und wenn wir das nicht erfüllen können, dann ist es für diese Kinder besonders schlimm, von den Eltern getrennt zu werden." Soweit die unabhängige Gewerkschafterin Nestelberger, die vor einigen Wochen mit einem Brief an den Bürgermeister einen Vorstoß gestartet hat.

Sechs Monate im Krisenzentrum

Der sozialdemokratische Gewerkschafter Andreas Walter sieht die Probleme ähnlich und sagt auch, dass die Krisenzentren im Schnitt um 50 Prozent überbelegt sind. Eigentlich sollten die Kinder dort maximal sechs Wochen bleiben und dann entweder zu den Eltern zurück oder in eine fixe Wohngemeinschaft kommen. Doch weil es laut Personalvertretung zu wenige Wohngemeinschaften gibt, bleiben manche Kinder sechs Monate im Übergangsstadium Krisenzentrum. Die Burnout-Rate unter den Sozialpädagogen sei enorm, sagt Nestelberger. Die Arbeitsbedingungen seien derzeit krankmachend.

Unterschiedliche Bedarfseinschätzung

SPÖ-Stadtrat Christian Oxonitsch sieht durchaus das Problem, führt auch Gespräche mit der Personalvertretung, verweist aber auf eine bereits erfolgte Personal- und Budgetaufstockung und auf neue Einrichtungen: Vier neue Wohngemeinschaften würden allein heuer errichtet, ein neues Krisenzentrum, dazu eine sozialpsychiatrische Wohngemeinschaft. Doch die unabhängigen Gewerkschafter schätzen den Zusatzbedarf auf bis zu 24 Wohngemeinschaften und fünf neue Krisenzentren, was Oxonitsch angesichts der erfolgten Maßnahmen für stark überzogen hält: "Also ich würde mir wünschen, dass es ausreichend ist. Denn was ich mir besonders wünsche, dass Kinder und Jugendliche in ihren Familien bleiben können. Realist bin ich genug, ich glaube, wir werden weiterhin ausbauen." Zumindest auf erste Zugeständnisse hoffen die Personalvertreter noch vor der Wiener Wahl im Oktober.

Bundesweites Problem

Nicht nur in Wien, auch in anderen Bundesländern scheint die Situation ebenso problematisch zu sein. Die Zahl der sogenannten Kinder-Gefährdungsmeldungen bei den Jugendämtern hat sich innerhalb von zehn Jahren verfünffacht. Das geplante österreichweit einheitliche neue Jugendwohlfahrtsgesetz liegt auf Eis.

Mittagsjournal, 13.09.2010