Ausstellung in der Pinakothek

Geteilte Ansichten zu Rekonstruktion

In der Pinakothek der Moderne ist derzeit eine Ausstellung des Architekturmuseums der Technischen Universität München zu sehen, die sich mit Rekonstruktion befasst. Im Mittelpunkt steht die alte Brücke von Mostar, deren Wiederaufbau kontroversiell diskutiert wurde.

Kulturjournal, 15.09.2010

Ein wichtiges Bauwerk in Mostar

Die Stadt Mostar ist berühmt für ihre alte Brücke, die einst Sultan Süleyman der Prächtige auf Wunsch der Bevölkerung des zum Osmanischen Reichs gehörenden Orts errichten ließ. 1566 war die steinerne Brücke über die Neretva, ein von der Konstruktion her beeindruckender Bau mit einem Bogen von 29 Metern Länge und 19 Metern Höhe, vollendet.

Die Brücke ist eines der bedeutendsten historischen Monumente auf dem Balkan, Gegenstand zahlreicher Legenden, Gedichte und Romane und Anziehungspunkt für viele Touristen. Am 9. November 1993 wurde sie im Feuer kroatischer Verbände zerstört, und alle Steine stürzten in den Fluss. Das Bild der ruinierten Brücke wurde zum Sinnbild des ruinierten Jugoslawien, für manche sogar des ruinierten Verhältnisses zwischen Orient und Okzident, christlicher und muslimischer Welt.

Widerwilliger Wiederaufbau

Nach dem Ende des Bürgerkrieges taten sich Weltbank, UNESCO und die Stadt Mostar zusammen, um die legendäre Brücke wiederaufzubauen - gegen den Willen vieler Kroaten. Zwar konnten fast alle alten Steine geborgen werden, dennoch entschied man sich aus bautechnischen Gründen, beim Wiederaufbau vor allem neues Material zu verwenden.

Im Juli 2004 wurde die Brücke in Mostar feierlich eingeweiht, 2005 wurde sie in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. Sie ist die erste als Kopie bezeichnete Rekonstruktion eines zerstörten Denkmals.

Ein Zeichen für Verbindung

"Es ist ganz eindeutig so, dass die Rekonstruktion dieser im jugoslawischen Bürgerkrieg zerstörten Brücke als Symbol gedacht der Versöhnung zwischen diesen zerstrittenen Ethnien ist, also auch ein Zeichen für Bosnien-Herzegowina, und dass damit in gewisser Weise auch eine Brücke wieder geschlagen werden soll", sagt Winfried Nerdinger, der Leiter des Architekturmuseums der Technischen Universität München.

So sei diese Brücke auch von vielen Literaten verstanden worden. Sie sei deshalb ein Symbolbau, der über die Materialität hinaus - denn es handelt sich ja um neue Steine - von größter Bedeutung ist, meint Nerdinger.

Für ihn ist die Brücke von Mostar eines von vielen Beispielen eines architektonisch und politisch ebenso komplexen wie kontrovers diskutierten Themas - der Rekonstruktion. "Geschichte der Rekonstruktion - Konstruktion der Geschichte" heißt die von Nerdinger kuratierte ambitionierte Übersichtsausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne, die die Geschichte der Wiederherstellung beleuchtet und für einen sachlichen, ideologiefreien Umgang mit dem Begriff der Rekonstruktion plädiert.

"Es gab und gibt den Wunsch der Bürger zur Rekonstruktion von bestimmten Bauwerken. Demgegenüber steht oft die Meinung von modernen Architekten, von Denkmalpflegern, manchmal auch Politikern, die sagen, das kann man nicht wiederholen, Geschichte ist vorbei, wir müssen etwas ganz Neues schaffen", so der Kurator.

Rekonstruktion gibt es schon lange

Obwohl zu allen Zeiten zerstörte Gebäude wiederaufgebaut wurden, geriet seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Architektur der Rekonstruktion zunehmend in Misskredit. Von Ruskin über Gropius bis hin zu zeitgenössischen Architekten - immer wieder wurde das Ziel, etwas zu rekonstruieren, als unschöpferisch, unehrlich und unzeitgemäß abgetan.

Das zerstörte Erbe dürfe nicht historisch rekonstruiert werden, hieß es, die Rekonstruktion sei "eine Lüge vom Anfang bis zum Ende". Historische Formen, nachgebaut mit neuem Material und moderner Technik, vermittelten kein authentisches Bild von Geschichte.

"Deswegen hat die Denkmalpflege diese Rekonstruktionen als Fälschungen, Lüge und Betrug bezeichnet, weil das nicht Originalzeugnisse einer bestimmten Zeit sind. Man kann das durchaus auch anders sehen, indem ich sage, eine solche Rekonstruktion vermittelt mir einen historischen Eindruck, ein historisches Ambiente, und ob das nun der originale Stein ist oder ob es ein neugeschaffener Stein ist, das hat eigentlich gar nicht so große Bedeutung", widerspricht Nerdinger den Kritikern.

Rekonstruktion bringt immer Neues

Wiederaufbauten sind immer auch Neubauten, sagt Winfried Nerdinger und verweist darauf, dass es neben einer Geschichte der Novitäten und Veränderungen immer auch eine der Tradition und des Bewahrens gegeben hat. Nicht zuletzt ist diese relevant, wenn es um Erinnerungskultur geht. Rekonstruktion heißt Erinnern - an Personen und historische Ereignisse, an nationale und politische Identität, an religiöse Tradition oder vergangene Macht. Die Ausstellung unterscheidet zehn Motive, aus denen rekonstruiert wurde und wird. Das erste ist der "heilige Ort".

Winfried Nerdinger meint dazu: "Ein berühmtes Beispiel ist San Paolo in Rom, der Ort, an dem Apostel Paulus begraben ist. Als die Kirche 1823 abbrannte, ordnete der damalige Papst Leo XII an, die Kirche sei wie unversehrt wiederherzustellen. Nicht nur, weil es der heilige Ort ist, wo der Apostel begraben ist, sondern weil auch im Laufe der Jahrhunderte der Glaube mit den Formen verwachsen ist. Weil also alle Pilger, die dort im Laufe der Jahrhunderte hingekommen sind, auch diese Kirche als heiligen Ort wahrgenommen haben. Darum wird der Bau in den alten Formen rekonstruiert."

Ob es der Tempel der Artemis in Ephesos oder der Dom zu Speyer ist, das Globe Theatre in London oder das Konzentrationslager in Dachau, das Goethehaus in Frankfurt oder das Kapitol in Washington, der Campanile von San Marco in Venedig oder der Chinesische Turm im Englischen Garten in München - nichts ist original, alles ist rekonstruiert.

Stadtmauern, Kastelle, Klöster, Burgen, Brücken, Kathedralen, Synagogen, Ghettos - was geschichtsträchtig schien und zerstört war, wurde und wird nachgebaut, Ausstellung und Katalog wiederum "rekonstruieren" diese Geschichte der Rekonstruktion zitatenreich und mit viel Bildmaterial, erläutern Umstände und Gründe, warum ein Einbruch in die Geschichte wieder aufgehoben werden sollte.

Rekonstruktion in Moskau

Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde beispielsweise die Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau wiederaufgebaut. Die gewaltige Kirche aus dem 19. Jahrhundert, mit ihren gut hundert Metern Höhe einst das größte Gebäude Moskaus, war ein Symbol der Zarenzeit, der Einheit von kirchlicher und weltlicher Macht.

Stalin ließ sie sprengen, Chruschtschow auf ihrem Platz die "Moskva", das größte Freibad der Welt, errichten. Wie der Bolschewismus das Zarenreich so wollte später die Perestrojka den Stalinismus aus dem Gedächtnis löschen und setzte den Wiederaufbau der Kirche in Rekordtempo durch.

"Jede Rekonstruktion ist eine Konstruktion von Geschichte von der jeweiligen Gegenwart aus. Wenn im Osten heute eine Kirche rekonstruiert wird, die Stalin zerstören hat lassen, dann wird eine Geschichte vor der Stalinzeit durch architektonische Rekonstruktion konstruiert: Man tut so, als ob dieser Einbruch der Stalinzeit nicht gewesen wäre. Geschichte wird konstruiert", meint Nerdinger.

Rekonstruktion im großen Stil

Nicht nur einzelne Gebäude wurden rekonstruiert, auch ganze Stadtteile. In Lissabon hat Alvaro Sizo 1989 damit begonnen, den ein Jahr zuvor durch einen Brand zerstörten Stadtteil Chiado in der alten Form des 18. Jahrhunderts wiederaufzubauen und dabei die "räumliche Qualität" des Ensembles zu modernisieren.

In Monte Carasso im Tessin hat Luigi Snozzi ein altes Kloster wiederhergestellt und das komplette Dorfzentrum restrukturiert. In Warschau wurde schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die der deutschen Zerstörungswut zum Opfer gefallene Altstadt rekonstruiert - und zwar nicht ihr Zustand vor der Zerstörung, sondern in ihrer Baugestalt bis zum Klassizismus.

Auch beim Wiederaufbau vieler im Ersten Weltkrieg zerstörter belgischer und nordfranzösischer Städte ging es den Bürgern um die Wiedergewinnung von historischen Fassaden und nicht um Zeichen eines Neubeginns.

Unterschiedliche Erinnerungskulturen

Bauwerke als Träger von Erinnerungen gibt es in allen Regionen und Kulturkreisen. Die Intentionen sind aber verschieden: Während im Westen Erinnerung an Materie gebunden ist und darum der Erhalt der alten Substanz im Vordergrund steht, geht es im asiatischen Raum um die Weitergabe eines authentischen Geistes.

In Japan beispielsweise gibt es einen Schrein, den Schrein von Ise, der von Generation zu Generation abgetragen und wieder neugebaut wird - seit mehr als 1300 Jahren.

"Da geht es darum, dass die Fähigkeiten, die eine Vorgängergeneration hatte, an die nächste Generation weitergegeben werden. Da wird ein gewaltiger Tempel alle 20 Jahre kopiert, direkt daneben wird mit einem unglaublichen Aufwand der Tempel noch einmal errichtet, exakt so, wie er da schon steht, und dann wird der alte Bau abgerissen. Nach 20 Jahren wird wieder eine Kopie des bestehenden Baus mit einem unglaublichen Aufwand daneben errichtet und der Vorgängerbau wird abgerissen. ", erläutert Winfried Nerdinger das Prinzip.

Diese Praxis wird seit 690, sagt der Kurator: "Da sieht man, dass das Entscheidende ist, dass jede Generation die Fähigkeiten, den Glauben, den Ritus an die nächste Generation weiter gibt. Das ist eine zyklische Wiederholung. Und die Idee, die dahintersteckt, ist: Bauten wurden zerstört, die Materie löst sich irgendwann auf. Aber wenn ich den Geist weitergeben kann, dann lebt das ewig weiter."

Rekonstruktionen zeigen Geschichtsbewusstsein

Das Thema der Rekonstruktion in der Architektur ist ein spannendes und schwer einzugrenzendes, und das Verdienst der Münchener Ausstellung ist es, die Vielfalt dieses Themas vor Augen zu stellen, brauchbare Gliederungsvorschläge zu machen und für mehr Unvoreingenommenheit in der Debatte zu sorgen.

Befürworter einer Wiederherstellung sind keine Fälscher, und sie gehören auch nicht auf die Galeere, wie ein Modernist forderte. Sie wollen die Erinnerung an Vergangenes wachhalten, mögen sie das vielleicht auch nostalgisch verklären, politisch instrumentalisieren oder touristisch ausschlachten.

Die Altstadt in Warschau, der Campanile am Markusplatz oder die Brücke von Mostar sind nicht authentisch und doch kein Betrug. Sie symbolisieren Geschichtsbewusstsein und zeigen, wie gut und unverzichtbar Architektur für große Teile der Bevölkerung sein kann.

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