Wege aus der Zwangsprostitution

In Freiheit leben, das war lange nur ein Traum

SOLWODI steht für "Solidarity with Women in Distress" - Solidarität für Frauen in Not. Es ist der Name einer Hilfsorganisation, die 1985 von der deutschen Ordensschwester Lea Ackermann für kenianische Frauen und Mädchen gegründet wurde, die sich aus Geldnot prostituieren.

Erfolgreiches Projekt

Was mit einer Idee, viel Engagement und wenig finanziellem Aufwand in einem leer stehenden Lagerhaus in Ostafrika begann, ist inzwischen zu einem Erfolgsprojekt geworden: SOLWODI verfügt mittlerweile über zehn Beratungsstellen in Kenia, eine in Ruanda und eine weitere, seit heuer, in Rumänien.

Die Organisation ist aber auch in Deutschland an vierzehn Standorten aktiv und berät dort ausländische Frauen, die nicht mehr weiter wissen. Viele sind in Menschenhandel und Prostitution hineingeraten, andere wiederum flüchteten aus erzwungenen Ehen und anderen gewalttätigen familiären Milieus.

Als Kind verkauft

Vielen dieser Opfer hat SOLWODI in den vergangenen 25 Jahren zu einem neuen, selbstbestimmten Leben verhelfen können. Anlässlich des Jubiläums ist nun ein Buch erschienen, in dem Frauen aus verschiedenen Weltregionen ihre bewegte und bewegende Lebensgeschichte schildern.

Mein Onkel verkaufte mich als Kind in Izmir an einen reichen Mann. Er interessierte sich nur fürs Geld, und als dieser Mann auftauchte, war ihm alles andere egal. "Du weißt, wir haben viele Schulden, und bei ihm wirst Du gut leben können", säuselte er mir ins Ohr. Wer weiß, woher mein Exmann sein Geld überhaupt hatte. Mein Onkel jedenfalls gab ihm sofort das Eheversprechen. Von da an gab es kein Zurück mehr. Die "Ehre" der Familie hängt daran, und die Wünsche der Frau sind egal. Dass ich erst 13 war, spielte keine Rolle.

Zwang, Gewalt und Unterdrückung sind Erfahrungen, die das kurdische Mädchen Zehra mit vielen Geschlechtsgenossinnen teilt. Mit Hilfe von SOLWODI gelang es der jungen Frau, sich von ihrer Familie zu lösen, unterzutauchen und in Deutschland ein neues Leben zu beginnen:

Ich kann jetzt in den Spiegel schauen und mir sagen: Heute habe ich mich für mich geschminkt. Heute habe ich meine eigene Entscheidung getroffen. Heute habe ich Schwimmen gelernt. Das fühlt sich wunderbar an.

Der Titel ist Programm

"In Freiheit leben, das war lange nur ein Traum" - das gilt für die Lebensgeschichten aller zehn Frauen, die im Hauptteil des Buches erzählt werden: Die einen waren von frühester Jugend an gezwungen, sich in ihrer jeweiligen Heimat als Sexarbeiterinnen zu verdingen, andere glaubten den Versprechungen von Menschenhändlern und wurden dann im vermeintlich "goldenen Westen" zur Prostitution gezwungen. Wieder andere - wie Zehra - wurden von ihren Familien zwangsverheiratet.

Die in dem Buch porträtierten Frauen stammen aus Nigeria, Indien und Afghanistan, aber auch aus europäischen Staaten wie Litauen und Rumänien, und es ist ihnen - mit Unterstützung von SOLWODI- gelungen, sich zu befreien und in Deutschland ein neues, selbstbestimmtes Leben zu beginnen.

Sextourismus ist keine Entwicklungshilfe

Ein eigenes Kapitel des Buches ist Kenia gewidmet, wo die Arbeit von SOLWODI vor fünfundzwanzig Jahren begonnen hat. Der ostafrikanische Staat gilt als einer der Hauptumschlagplätze für Menschenhandel und ist eine Hochburg des Sextourismus aus Europa, wie eine der Autorinnen, die Politikwissenschaftlerin Mary Kreutzer, erläutert: "Allein in der Küstenregion von Kenia, von Mombasa, nördlich und südlich, spricht man von ca. 20.000 bis 40.000 Prostituierten, da gibt es unterschiedliche Zahlen.

Davon seien 3.000 Kinderprostituierte, und bis zu 15.000 Kinder seien sporadisch als Sexarbeiter/innen tätig. Was das mit einem Kind anrichtet, könne man sich gar nicht vorstellen. Immer wieder mache sie die Ignoranz von Sextouristen wütend, die allen Ernstes behaupten, sie leisteten mit ihrem Geld so etwas wie "Entwicklungshilfe".

Blick auf die Wirtschaftsstrukturen

Mary Kreutzer und Alicia Allgäuer, die seit Jahren in den Bereichen Frauenrechte und Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, schildern in dem Buch die Lebensumstände betroffener Frauen und Kinder in Kenia anhand konkreter Beispiele sehr anschaulich.

Dazu kommt eine Fülle gut aufbereiteter Fakten zum politischen Hintergrund - ein Prinzip, das auch bei den anschließenden biographischen Porträts beibehalten wird: "Wir wollten nach den Geschichten der Frauen, die in der Ich-Form erzählen, das Ganze noch in Politik und Gesellschaft der Herkunftsländer kontextualisieren, natürlich mit dem Schwerpunkt auf Geschlechterverhältnisse, aber auch auf politische Entwicklung", erläutert Mary Kreutzer.

"Wir haben uns für diese Kapitel auch Expert/innen ins Boot geholt", sagt Kreutzer, "Unser Wunsch ist natürlich auch, dass das Buch für Schulen verwendet werden kann, weil es doch ein bisschen breiter ist als 'nur' die persönlichen Schicksalsgeschichten von den Frauen - es steht ja auch ein politischer Kontext dabei."

Die persönlichen Schicksale bilden dennoch das Herzstück des Buches. Vielen Betroffenen habe ganz einfach das Erzählen gutgetan, meint Mary Kreutzer: "Unter anderem auch, weil uns viele gesagt haben, dass es für sie eine Möglichkeit ist, etwas zurückzugeben, in diesem Fall an SOLWODI. Sie werden durch das Erzählen ihrer Geschichte auch zu Akteurinnen."

Unverstanden von den Familien

Besonders schlimm für Frauen sei es, wenn an ihrem Leid die eigene Familie zumindest mit-schuldig ist. Dies sei einerseits damit zu begründen, dass die Familien selbst unter dem Druck der Zuhälter stünden, und andererseits, dass sie ökonomisch davon profitieren.

SOLWODI kann dabei helfen, mit der Familie zu brechen und anonym in einer Schutzwohnung unterzutauchen. Das bedeutet aber auch, einen Teil der eigenen Identität aufzugeben. Im Ausland und ohne familiäres Auffangnetz, gibt die Co-Autorin Alicia Allgäuer zu bedenken, hätten es die Frauen extrem schwer.

Kein Ende in Sicht

Zu tun, das führt das Buch eindrucksvoll bis erschreckend vor Augen, gibt es trotz 25 Jahre erfolgreich praktizierter Solidarität noch mehr als genug. Das Vorwort stammt von der türkisch-kurdischen Frauenrechtlerin und Autorin Seyran Ates, die ihr Einsatz gegen Zwangsheirat, Ehrenmord und Unterdrückung von Frauen selbst schon in Lebensgefahr gebracht hat. Gerade deshalb lautet Ihre Botschaft, dass der Kampf unermüdlich weiterzuführen sei.

Immerhin sei es in 25 Jahren gelungen, nicht nur enorme Hürden zu überwinden, sondern auch Neues aufzubauen, schreibt der Ordenspriester Fritz Köster, ein langjähriger Mitstreiter der geistlichen SOLWODI-Gründerin Lea Ackermann:

In der Vergangenheit hat sich bewahrheitet, was Goethe schreibt: "Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt wurden, kann man Schönes bauen." Die Steine werden auch in Zukunft nicht fehlen. Möge immer wieder Schönes aus ihnen gemacht werden!

Service

Lea Ackermann, Mary Kreutzer und Alicia Allgäuer, "In Freiheit leben, das war lange nur ein Traum", Kösel Verlag

Kösel Verlag - Die Freiheit leben, das war lange nur ein Traum
SOLWODI