Meister, Trickster, Bricoleure

Eröffnung des steirischen herbstes

In Graz wurden am Wochenende kulturell alle Register gezogen und zwar bei der Eröffnung des steirischen herbstes. Es gab Tanzperformances, Ausstellungseröffnungen im Stundentakt, Kunst im öffentlichen Raum, Neue Musik. Alles unter dem Festivalmotto "Meister, Trickster, Bricoleure - Virtuosität als Strategie für Kunst und Überleben".

Kultur aktuell, 27.09.2010

Maschinenmusik

Der größte Luxus ist heuer die "Ruhelounge" beim steirischen herbst. Der Pianist Marino Formenti lebt seit Samstag in einem straßenseitigen Raum des Stadtmuseums Graz. Dort isst, schläft und spielt er - acht Tage lang, ohne zu sprechen. Festivalflaneure können auf Matratzen ruhend der Klausur der Pianisten beiwohnen; per Livestream kann man Formenti auch übers Netz beobachten.

Nicht eines, sondern zwölf Klaviere tönten bei der Eröffnungsproduktion in der Helmut List-Halle. "Maschinenhalle 1", Musik: Bernhard Lang, Choreographie: Christine Gaigg. An den Längswänden der Riesenhalle waren zwölf Podeste mit Klangplatten aufgestellt. Auf jedem Podest bewegte sich eine Tänzerin oder ein Tänzer schwingend oder ruckartig, in Wiederholungsschleifen wie eine Maschine. Die Automatenklaviere produzierten Klänge, die von den Tänzern mit ausgelöst wurden.

Das ergab ein zugleich spielerisches und ernstes Spektakel: Die Chimären des Maschinenzeitalters über den Trümmern des Futurismus - und wo wir heute mit alldem stehen. Kleiner Einwand: Kürzer wäre noch radikaler gewesen. Trotzdem eine geglückte Eröffnung.

Retrospektive Franz West

Besonders gelungen auch die Retrospektive Franz West im Grazer Kunsthaus. Nicht Menge, sondern Essenz aus dem Werk des Bildhauers, der das glatt Gebürstete nie mochte und fleckige, muldenreiche Oberflächen produziert; ob aus Pappmaché oder Metall. "Ich habe abgenutzte Materialien genommen", so West. "Mich interessierten diese Flecken, in die man seine Fantasien hineinprojizieren kann".

Eine schmerzhafte Erfahrung steht hinter der Installation "Plural". Ein Stück Boden aus einem ehemaligen Atelier Franz Wests, darauf zwei eiserne Sesselskulpturen. Gegenüber den Sesseln hängen vier weißliche Bildtafeln. Es sind Teile aus der Wand jenes früheren Ateliers.

"Ich habe damals ein Atelier verlassen", erzählt West. "Das war auch etwas Dramatisches: Mein Bruder ist damals gestorben. Der hat die halbe Woche bei mir im Atelier gelebt. Dann wollte ich nicht mehr dort bleiben. Er ist mir immer abgegangen und ich habe immer eine Leere empfunden, wenn ich dort war. Da bin ich ausgezogen, habe aber ein Stück vom Boden und ein Stück von der Wand mitgenommen".

Produktionsbudget am Sparbuch

Die bizarrste und lustigste Aktion des Eröffnungswochenendes lieferte das Linzer Kollektiv qujOchÖ. Das vom steirischen herbst gewährte Produktionsbudget - 16.000 Euro - haben die Künstler auf ein Sparbuch gelegt und dieses dem steirischen herbst geschenkt, in einer öffentlichen Zeremonie samt Notarin.

"Das genannte Sparbuch ist mit einer Fixverzinsung von 4,185 Prozent pro anno und einer Laufzeit von 100 Jahren bei der Steiermärkischen Bank- und Sparkassen AG angelegt." Fällig wird das Sparbuch also erst in 100 Jahren. Dann allerdings wird das Guthaben auf eine Million angewachsen sein. Diese fließen im Jahr 2110 dem steirischen herbst zu - sollte es das Festival dann noch geben.