Apichatpong Weerasethakul bei der Viennale

Onkel Boonmee und die Geister

Lange Zeit war der thailändische Film ein weißer Fleck auf der internationalen Kinolandkarte. Das änderte sich schlagartig, als Apichatpong Weerasethakul 2002 seinen ersten Spielfilm in Cannes präsentierte, der auch prompt ausgezeichnet wurde. Am 23. Oktober 2010 wird der Siegerfilm "Uncle Boonmee who can recall his past lives" auf der Viennale präsentiert.

Cannes scheint ein gutes Pflaster für den heute 40-jährigen Thailänder zu sein, denn 2004 wurde er dort mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, bevor er im heurigen Frühjahr, als bisherigen Höhepunkt seiner Karriere, die Goldene Palme mit nach Hause nehmen durfte. In Anwesenheit von Apichatpong Weerasethakul wird nun sein Cannes-Siegerfilm präsentiert. Weerasethakul ist heuer auch für den Viennale-Trailer verantwortlich.

Kulturjournal, 22.10.2010

Kindheitserinnerungen gefolgt

Onkel Boonmee ist Witwer und betreibt in Nordostthailand eine kleine Plantage. Jetzt ist er schwer erkrankt und erwartet den Tod. In seinen letzten Tagen erinnert er sich an sein Leben aber auch an seine früheren Existenzen.

"Ich verbrachte meine Kindheit und Jugend in Nordostthailand und irgendwann fiel mir auf, dass diese Region nie in meinen Filmen vorkam", so Apichatpong Weerasethakul. "Also beschloss ich, mein nächstes Projekt dort zu entwickeln, ohne noch irgendeine Ahnung zu haben, wie es aussehen könnte. Ich gab ihm den Arbeitstitel 'primitive' und fuhr einfach los, reiste durch die Region und sah mich dort um. Ich wollte wissen, was von meinen Kindheitserinnerungen übrig geblieben ist."

Immer wieder begegnet ist Weerasethakul dabei der Glaube an Geister und Seelenwanderung, Themen, die er auch regelmäßig in seinen Filmen behandelt. Bei Onkel Boonmee taucht da eines Abends dessen lange verschollener Sohn auf, in Gestalt eines rotäugigen Affen. "Ich weiß nur, dass ich hier geboren wurde, aber nicht, ob ich Mensch war oder Tier", erzählt das geheimnisvolle Wesen.

Verschwimmende Grenzen zwischen Mensch und Geist

"Heutzutage hat sich zwar die Landschaft verändert und die Technologie hat Einzug ins Alltagsleben gehalten", sagt Weerasethakul. "Tief in ihrem Inneren glauben die Thailänder aber noch immer an Seelenwanderung und Geister. In den alten thailändischen Filmen und Comics, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere, kommen auch dauernd Geister vor. Heutzutage aber sind die Geister aus dem Kino weitgehend verschwunden. Wenn sie noch vorkommen, dann werden sie nicht seriös behandelt, sondern als komödiantisches Element."

Wenn bei Weerasethakul Geister auftauchen, dann geschieht das jenseits von Klamauk, aber auch jenseits von esoterischem Hokuspokus. So selbstverständlich befinden sie sich im Raum, dass die Grenzen zwischen Mensch und Geist verschwimmen. Geister sorgen hier nicht für Spuk und Nervenkitzel, sondern sind Verwalter von Erinnerungen.

Verbingung von Spiritualität und Politik

Was Weerasethakuls Filme so ungeheuer komplex und ungewöhnlich macht, ist der Spagat, den er von dieser Spiritualität hin zu hoch politischen Themen schafft, denn Thailands jüngere Vergangenheit findet ebenfalls Eingang in seinen Film.

"Von den 60er bis in die 80er Jahre hinein wurde Thailand von verschiedenen Militärjuntas regiert", so Apichatpong Weerasethakul. "Bei ihrer Verfolgung von Kommunisten durchstreiften die Soldaten auch die nördlichen Regionen des Landes und vertrieben viele Bauern, die daraufhin gezwungen waren, sich diesen kommunistischen Widerstandsgruppen anzuschließen. Als ich jetzt, 40 Jahre später, in die Region reiste, redete ich dort mit den Jugendlichen über jene Zeit und ihre oft verschwundenen Großväter und entwickelte gemeinsam mit ihnen Geschichten. Meine eigene Erinnerung wurde dann zur Erinnerung meines Onkel Boonmee. Wir beide wurden zu einer Person."

"Gewaltsames" Thailand

Die politische Situation in Thailand ist auch weiterhin Thema für Weerasethakul. Muss sie auch sein, ist sie doch bei weitem nicht gelöst. Wegen gewaltsamer Ausschreitungen in Bangkok, wäre es ihm fast nicht möglich gewesen, im Mai nach Cannes zu reisen. Auf der Pressekonferenz dort betonte er auch noch einmal, dass die Situation im Land eine ganz andere ist, als sie dem urlaubshungrigen Europäer gewöhnlich vorgestellt wird:

"Thailand ist ein Land, in dem es sehr gewaltsam zugeht. In der Darstellung der Tourismusbehörde erscheint zwar alles ganz friedlich, tatsächlich wird das Land aber von verschiedenen Mafia-Gruppen beherrscht und wenn man etwas Falsches sagt, kann man sehr leicht verschwinden oder ums Leben kommen."

Wer mehr über Apichatpong Weerasethakul und seine Filme erfahren möchte, der sei auf die umfassende, vom Wiener Filmmuseum herausgegebene Monografie verwiesen. Und natürlich auf die beiden Vorführungen seines Films bei der Viennale, wo er dem Publikum Rede und Antwort stehen wird.

Service

Kick the Machine - Apichatpong Weerasethakul
Viennale