Der Terrorist als Rockstar

Carlos - Der Schakal

Seit 1994 sitzt Ilich Ramírez Sánchez, besser bekannt unter seinem Decknamen Carlos, in Paris in einem Gefängnis und verbüßt eine lebenslange Haftstrafe. Nun spürt der französische Film "Carlos - Der Schakal" dem Leben und Wesen dieser Persönlichkeit nach.

Mittagsjournal, 29.10.2010

In den 1970er und 80er Jahren galt Carlos als einer der gefährlichsten Terroristen und war unter anderem für den Anschlag auf das OPEC-Gebäude in Wien 1975 mit anschließender Geiselnahme verantwortlich.

Am Freitag, 29. Oktober 2010 hat der Film bei der Viennale seine Österreich-Premiere, ab Ende nächster Woche ist er auch regulär in den heimischen Kinos zu sehen.

Kompromisslose Bereitschaft zur Gewalt

Am Anfang spricht noch der überzeugte Revolutionär. Er heuert bei der palästinensischen Terrororganisation Volksfront zur Befreiung Palästinas an und verschafft sich dort vor allem wegen seiner kompromisslosen Bereitschaft zur Gewalt Respekt.

Der Mythos Carlos nimmt seinen blutigen Lauf und ihm folgt auch der Film "Carlos - Der Schakal", wobei Regisseur Olivier Assayas von vornherein klar macht, dass es sich nicht um eine Filmbiografie handelt, sondern um eine "fiktionale Interpretation".

Synchron, 04.11.2010

Olivier Assayas im Interview mit

Che lässt grüßen

Assayas orientiert sich dramaturgisch zwar an der Spur des Terrors, also an einer Abfolge von Terroranschlägen, unter anderem jenen auf das OPEC-Hauptquartier in Wien 1975, doch von Anfang sucht er den Menschen hinter der Fassade Carlos, vor allem seine Widersprüchlichkeit. Da wäre einmal ein geradezu erotisch aufgeladenes Verhältnis zu Waffen und auch sonst schätzt der Revolutionär durchaus die angenehmen Seiten des Lebens, etwa schöne Frauen, Zigarren und Whiskey, und er weiß sich früh als Träger eines revolutionären Images zu inszenieren, Baskenmütze - Che Guevara läßt grüßen - und Lederjacke inklusive.

Carlos hätte sich wie ein Rockstar benommen, meint Olivier Assayas, genau das wäre auch sein persönliches Drama gewesen, denn man könne nicht Terrorist und Star zugleich sein.

Geld statt Ideale

Doch zunehmend wird Carlos ein Opfer seiner eigenen Eitelkeit und Radikalität, seiner Selbststilisierung und Selbstüberschätzung. Er gefällt sich in der Rolle des allseits gefürchteten Terroristen. Dabei verliert er die einstigen Ideale aus den Augen, der Revolutionär wandelt sich zum banalen Söldner im internationalen Terrorgeschäft.

Olivier Assayas arbeitet auch den politischen Kontext auf, vor allem die Fronten und Strategien des Kalten Kriegs. Als dieser zu Ende ist, brechen die Feindbilder, die der der Terrorist Carlos so geschickt zu nutzen wusste, zusammen. Das ist nicht nur schlecht fürs Geschäft, sondern auch für die eigene Sicherheit. Ursprünglich hat Regisseur Assayas eine fünfeinhalb-stündige Filmversion als Dreiteiler angefertigt, doch auch die nunmehrige Kinoversion ist mit ihren mehr als drei Stunden jede Minute wert. Sehenswert.

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